Neue Studien zu Gewalt bei Domspatzen

Ein geschlossenes System

Kontrollen von innen und außen gab es nicht. Ein in sich geschlossenes System hat die Übergriffe bei den Regensburger Domspatzen erst möglich gemacht. Zu diesem Schluss kommen zwei wissenschaftliche Studien für die Jahre 1945 bis 1992.

Autor/in:
Barbara Just
Regensburger Domspatzen / © Sebastian Widmann (KNA)
Regensburger Domspatzen / © Sebastian Widmann ( KNA )

Vor zwei Jahren wurden die Zahlen des Grauens bekannt: 547 Mitglieder des weltberühmten Chores der Regensburger Domspatzen wurden laut Abschlussbericht eines unabhängigen Sonderermittlers seit 1945 "mit hoher Plausibilität" Opfer von Übergriffen. Die Dunkelziffer könnte bei 700 liegen, hieß es.

Auf sich selbst bezogenes institutionelles Geflecht

Seither ist einiges an Wiedergutmachung gelaufen. So erhielten 376 Personen Entschädigungsleistungen für erlittene Gewalt in Höhe von insgesamt 3,785 Millionen Euro. Die Einzelsummen lagen bei bis zu 25.000 Euro. Das Bistum Regensburg wollte es dabei nicht belassen. Im Rahmen der Aufarbeitung gab es zwei Studien in Auftrag, um sozialwissenschaftlich und historisch das System "Domspatzen" von 1945 bis 1992 zu ergründen. Die Arbeiten wurden am Montag in Regensburg vorgestellt.

Dass ein solch weltberühmter Chor mit dem Hauptauftrag, zur höheren Ehre Gottes zu singen, nicht die beteiligten Menschen in den Mittelpunkt stellte, sondern nur die Qualität des Chores sah, das zu hören tut weh. "Der Chor zuerst" hat der bayerische Landeshistoriker Bernhard Löffler von der Universität Regensburg das Ergebnis seiner Studie überschrieben. Mit seinem Mitarbeiter Bernhard Frings sieht er ursächlich für die Gewalt ein weitgehend auf sich selbst bezogenes institutionelles Geflecht mit vielen Beharrungskräften, aufgebaut vom einstigen Domkapellmeister Theobald Schrems (1893-1963).

Keine Kontrollen von innen und außen

Ein unvoreingenommener Blick von außen sei nicht möglich gewesen, so der Historiker. Reformen seien nicht zugelassen worden. Auch als der spätere Papstbruder Georg Ratzinger 1964 die Leitung übernahm, habe sich daran nichts geändert. Um aus dem Schatten seines Vorgängers herauszutreten, war dem neuen Domkapellmeister daran gelegen, die Qualität des Chores weiter zu verbessern. Dafür brauchte er gute, neue Stimmen, die aus der Vorschule rekrutiert wurden.

Welches Leid die Jungen dort aber durchmachten, welchen kreativ-widerlichen Gewaltmethoden des dortigen Chefs Hans M. sie ausgesetzt waren, das war kein Thema. Der verantwortliche Priester war beherrscht von "Sadismus und Allmachtsfantasien", heißt es unumwunden in dem Bericht. Wobei das Argument, dass Ohrfeigen damals in der Erziehung üblich gewesen seien, hier nicht greife, betonen die Historiker.

Bestraft wurden die Schüler für angebliche Delikte am Tag und in der Nacht, mal sofort, mal erst später. Bisweilen wurden Mitschüler angehalten, etwa einen Bettnässer ihrerseits fertigzumachen. Besser wurde die Situation erst, wenn für einen Buben ein Wechsel ans Gymnasium der Domspatzen folgte, obwohl auch dort die meisten Verantwortlichen keine pädagogische Ausbildung besaßen. Eltern und auch das Domkapitel vertrauten ihren kirchlichen Einrichtungen. Und wer seinen Sprössling irgendwann doch von der Schule nahm, gab meist keine Gründe an.

Welche Rolle spielte Domkapellmeister Georg Ratzinger?

Georg Ratzinger wird wie bereits in der bisherigen Aufarbeitung als ambivalent beschrieben. Auch er neigte zu Jähzorn und überzogener Strenge, wenn er dem Probendruck für das nächste Konzert ausgesetzt war. Aber er konnte auch väterlich und liebenswürdig gegenüber seinen Jungs sein, - "wenn die Chorprobe vorbei war", so Löffler.

Martin Rettenberger von der kriminologischen Zentralstelle (KrimZ) in Wiesbaden erwartet von ehemals Verantwortlichen bei den Domspatzen, sofern sie noch leben, "keine rationale Einsicht" in ihr heutzutage als falsch angesehenes Verhalten. Meist versuchten die Betroffenen, das Geschehene für sich in ihr Leben zu integrieren.

Bischof Voderholzer zeigte sich konsterniert

Für den Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer ist es stets aufs Neue bedrückend, mit diesen Dingen konfrontiert zu werden. Da er mit vielen Opfern selbst gesprochen habe, verbindet er mit jedem Fall auch ein Gesicht und einen Namen. Die Studien sind ihm wichtig, denn: "Nur die Wahrheit wird uns frei machen."

Für die Zukunft gibt sich der Bischof keinen Illusionen hin. Selbst die besten Präventionsmaßnahmen könnten das Problem nicht völlig aus der Welt schaffen. Dennoch müsse es Ziel kirchlicher Einrichtungen sein, Übergriffe soweit wie möglich zu verhindern. Im Gebäude der Domspatzen soll ab 2020 ein eigenes Denkmal an die Opfer erinnern.


Bernhard Löffler (r), Professor für Bayerische Landesgeschichte an der Universität Regensburg, spricht neben Rudolf Voderholzer, Bischof von Regensburg, während einer Pressekonferenz / © Armin Weigel (dpa)
Bernhard Löffler (r), Professor für Bayerische Landesgeschichte an der Universität Regensburg, spricht neben Rudolf Voderholzer, Bischof von Regensburg, während einer Pressekonferenz / © Armin Weigel ( dpa )

Georg Ratzinger (m.l.) und Papst Benedikt XVI. (m.r.) mit den Regensburger Domspatzen nach einem Konzert 2005 in der sixtinischen Kapelle im Vatikan / ©  Aturo Mari (KNA)
Georg Ratzinger (m.l.) und Papst Benedikt XVI. (m.r.) mit den Regensburger Domspatzen nach einem Konzert 2005 in der sixtinischen Kapelle im Vatikan / © Aturo Mari ( KNA )
Quelle:
KNA