Bischof Ackermann räumt nach "Spiegel"-Vorwürfen Klärungsbedarf ein

Gratwanderung im Umgang mit den Tätern

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann weist die "Spiegel"-Kritik gegen seine Arbeit als Missbrauchsbeauftragter zurück. Gleichzeitig räumt er im domradio.de-Interview ein, dass die Frage nach dem Umgang mit Tätern neu gestellt werden muss.

 (DR)

domradio.de: Was sagen Sie zu den Vorwürfen, die "Der Spiegel" erhebt?

Ackermann: Ich habe den Eindruck, dass "Der Spiegel" versucht, das Thema wieder neu in die breite Diskussion zu bringen und eine neue Empörung zu erzeugen - allerdings mit bereits bekannten Tatsachen, die keinen Neuigkeitswert haben, aber neu zusammenstellt und gedeutet wurden.



domradio.de: Stimmt es denn, dass die Interessen einseitig auf die Interessen der Kirche ausgerichtet sind - und nicht die der Opfer?

Ackermann: Man muss bei dem Artikel sehen, dass Vergangenheit und heute zusammengeschoben werden. Dadurch wird der Eindruck erzeugt, was früher praktiziert wurde, gilt heute weiterhin: dass der Schutz des guten Rufes der Kirche vor den Blick auf die Opfer das Handeln bestimmte. Das kann man heute wirklich nicht mehr sagen. Aber durch die Darstellung in dem Artikel klingt es, als gälte das unverändert so, auch durch die mit den Tätern geführten Interviews.



domradio.de: Können Sie erklären, wo die Schwierigkeit für Sie als Missbrauchsbeauftragten liegt, pädophile Priester, die nicht verurteilt sind, weiter zu beschäftigen?

Ackermann: Der Punkt ist der, dass wir mit breiter Beteiligung - auch der von Experten aus dem außerkirchlichen Raum - 2010 die Leitlinien überarbeitet und dann in Kraft gesetzt haben. Mit Blick auf die Täter versuchen wir hier den richtigen Weg zu finden, nämlich den der null Toleranz gegenüber dem Verbrechen sexueller Gewalt. Da gibt es überhaupt keine Abstriche. Nur ist null Toleranz gegenüber den Tätern eine zweite Perspektive. Natürlich müssen die Taten ganz klar und angemessen bestraft werden. Aber die Fälle, über die wir sprechen, sind in den meisten Fällen verjährt. "Der Spiegel" nennt Täter, die rechtskräftig verurteilt wurden. Und die Leitlinien sehen vor, dass es nach einer forensisch-psychiatrischen Begutachtung die Möglichkeit eines Einsatzes gibt, natürlich nicht in der Kinder- und Jugendarbeit, nicht als normaler Pfarrer, sondern in eingeschränkten Feldern und mit Auflagen. Das ist der Weg, mit dem wir versuchen, mit den Tätern als Menschen und Priestern umzugehen - ohne das Verbrechen zu tolerieren. Das ist die Gratwanderung, die auch die Schwierigkeit ausmacht.



domradio.de: Wo ist die Grenze? Wann ist der Punkt erreicht, dass ein Priester ganz aus dem Dienst entfernt wird?

Ackermann: Das hängt natürlich von der Schwere des Vergehens, der Taten ab. Das Zweite ist, wenn jemand keine Einsicht zeigt; wenn Täter bagatellisieren und nicht sehen, was ihre Taten in den Opfern über Jahrzehnte bewirkt haben, wie schwer die Menschen traumatisiert wurden. Wenn sich jemand überhaupt nicht seiner Verantwortung, seiner Neigung und seiner Schuld stellt, gibt es keine Möglichkeit mehr für einen Einsatz in der pastoralen Arbeit, selbst unter eingeschränkten Bedingungen nicht.



domradio.de: Seit 2010 gibt es die neuen Leitlinien. Wo gibt es - auch mit der Erfahrung der vergangenen Jahre - Nachbesserungsbedarf?

Ackermann: Wir haben die Leitlinien ja ad experimentum für drei Jahre in Kraft gesetzt. Im kommenden Jahr steht auch die Bewertung noch mal neu an, dann wird man neu schauen müssen, ob es Punkte die Praktikabilität betreffend gibt, bei denen nachjustiert werden muss. Im Moment sehe ich keinen grundsätzlichen Änderungsbedarf. Aber eine Frage stellt sich natürlich schon: die nach der Glaubwürdigkeit. Kann ein Priester, der Missbrauchstäter geworden ist, glaubwürdig in der Seelsorge auch in beschränkten Bereichen tätig sein? Hier geht es nicht um Prävention, im Sinne von Gefährlichkeitsgesichtspunkten. "Der Spiegel" wirft vor, es sei absolut unverantwortlich, solche Männer weiter einzusetzen. Aber: Es hat hier eine Begutachtung stattgefunden. Und ich als verantwortlicher Bischof gehe noch eine Nummer sicherer als der Forensiker in seinem Gutachten und seiner Prognose. Unter gefährlichkeitsprognostischen Gesichtspunkten weise ich die Vorwürfe deshalb zurück, sie sind vollkommen überzogen. Aber der Punkt bleibt natürlich: Wie kann jemand weiter glaubwürdig als Priester arbeiten, wenn er Täter geworden ist. Das ist die Frage, der wir uns noch mal zu stellen haben.



domradio.de: Wie noch könnte man denn Priester einsetzen, die Täter geworden sind?

Ackermann: In früheren Jahrzehnten im Archiv, in der Bibliothek oder im Bereich der Verwaltung. Aber auch das ist problematisch: Jemand muss ja auch in diesen Bereichen eine Qualifikation mitbringen. Und da haben die Experten uns Bischöfen auch immer gesagt: Unter Präventionsgesichtspunkten - auch im Sinne einer Überwachung - ist es besser, wenn jemand in der Kirche als Mitarbeiter bleibt. Wenn jemand aus dem Klerikerstand entlassen wird, ist der Bischof der Verantwortung entledigt. Es kann darum gehen, zu sagen: Jemand ist Täter, er wird weggesperrt und damit Schluss. So einfach dürfen wir es uns nicht machen!



Das Gespräch führte Christian Schlegel.