Die Würde der Toten - Ein Tag bei einem Kölner Bestatter

"Ruhe bewahren"

Verstorbene zu versorgen und sie zur ewigen Ruhe zu betten, ist kein Job wie jeder andere. Während eines Besuchs beim Bestatter kann man dem Besonderen dieser Tätigkeit auf die Spur kommen.

Autor/in:
Leticia Witte
Leo Nyssen, Mitarbeiter des Bestattungshauses Ahlbach Bestattungen, wartet am Hintereingang eines Krankenhauses auf die Abholung eines Verstorbenen am 19. September 2019 in Köln. / © Julia Steinbrecht (KNA)
Leo Nyssen, Mitarbeiter des Bestattungshauses Ahlbach Bestattungen, wartet am Hintereingang eines Krankenhauses auf die Abholung eines Verstorbenen am 19. September 2019 in Köln. / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Drei Männer stehen um den schmalen Körper herum und schauen ihn sich in aller Ruhe an. Er liegt auf einem Tisch aus glänzendem Metall.

"Ich habe ihm nicht den Bart rasiert, ich dachte, das steht ihm gut", sagt Leo Nyssen. Die anderen sind einverstanden. Gut stehen ihm auch der Anzug und die schwarzen Schuhe. Der schmale Körper gehört einem Mann um die 80 Jahre, der in einem Hospiz an Krebs gestorben ist. Man sieht ihm die Auszehrung an, die diese Krankheit mit sich bringt.

Sein Gesicht aber macht einen friedlichen Eindruck, die Augen sind geschlossen.

Nicht nur kämmen, rasieren und schminken

Nyssen arbeitet im Kölner Bestattungshaus Ahlbach. Der 55-Jährige holt Verstorbene aus Kliniken oder Privathäusern ab, fährt sie in den firmeneigenen Kühlraum, versorgt sie, bringt Särge und Urnen auf Friedhöfe. Versorgen bedeutet: Tote herrichten; waschen; eventuell vorhandene medizinische Schläuche und Zugänge aus der Haut entfernen; Verstorbene anziehen mit der Kleidung, die Hinterbliebene gebracht haben; kämmen; rasieren; schminken; Augenlider dauerhaft schließen; den Mund mit einer speziellen Verschlussnaht schließen.

Und manchmal sorgt Nyssen dafür, dass das Gesicht eines Verstorbenen entspannt aussieht - ohne Spuren eines Todeskampfes. "Wir nehmen die Verstorbenen in unsere Obhut", sagt Oliver Wirthmann. Dieser Satz trifft das Gefühl gut, das Besucher hier haben können, denn das Bestattungshaus verbreitet den Eindruck von Würde und Respekt den Toten gegenüber. Wirthmann ist Geschäftsführer der fünf zu Ahlbach gehörenden Institute mit 20 Mitarbeitern, evangelischer Pfarrer und war lange Geschäftsführer des Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur.

In seinem mit christlicher Symbolik ausgestatteten Büro, zwei Etagen über dem Kühl- und dem Hygieneraum, steht ein Schild in einem Regal:

Der Bestatter nimmt den Hintereingang

"Ruhe bewahren. Ihr Friedhofsgärtner". Das klingt programmatisch, denn trotz aller Geschäftigkeit herrscht in den Räumen im Stadtteil Bickendorf eine gelassene Atmosphäre. Wirthmann sagt: "Herz und Hand müssen zusammenpassen." Damit meint er die Balance zwischen Empathie, Nähe und Distanz im Zusammenspiel mit Seriosität. Jeden Tag.

An diesem Tag fahren Nyssen, Wirthmann und der dritte Mann im Bunde, Praktikant Roman Wojcik, auch in das Sankt Vinzenz-Hospital. Dort holen sie eine Frau ab. Nyssen und Wojcik gehen in die Verwaltung, man kennt sich, bringen ihr Anliegen vor und ergänzen: "Sie hat das Zeitliche gesegnet, leider." Die Herren fahren mit dem Fahrstuhl in ein unteres Geschoss, streifen sich Handschuhe über, gehen mit einer rollbaren Trage in den Kühlkeller und kommen nach einiger Zeit wieder heraus. Die Verstorbene liegt auf der Trage in einem diskreten schwarzen Stoffüberzug.

An diesem Krankenhaus parken die Bestatter nicht etwa am Haupteingang - sie müssen mit ihrem Wagen an der Hintertür stehen, heute zwischen Transportern und jeder Menge Papierresten. Das wirkt auf Beobachter befremdlich; auch Wirthmann sagt, er hätte es gern anders.

"Wir fahren einen Verstorbenen, nicht irgendeine Fracht"

Er und seine Kollegen haben aber ein Ritual, das sie laut Wirthmann bei jedem Transport eines Verstorbenen anwenden, das hier, in diesem Hinterhof, jedoch eine besondere Wirkung hat: Kurz bevor sie die Heckklappe des Wagens schließen, verneigen sie sich vor der Toten:

"Uns muss immer bewusst sein, dass wir einen Verstorbenen fahren. Und nicht irgendeine Fracht."

Die Trage mit der Frau wird in dem Bestattungshaus zunächst in den Kühlraum geschoben. Dort stehen weitere Särge und Tragen, manche sind offen. "Im Kühlen liegen sie alle ganz friedlich nebeneinander", sagt Wirthmann. Zu sehen ist ein bereits versorgter Verstorbener im Anzug und mit einer Brille am Revers.

Vom Personenschützer zum Bestatter

Warum wird man eigentlich Bestatter? Als sein Vater starb, sei er nicht einverstanden gewesen mit der Behandlung des Verstorbenen, sagt Nyssen. "Ich dachte: Das muss auch anders gehen." Er, der im Personenschutz gearbeitet hat, machte eine neue Ausbildung. Der Quereinsteiger arbeitet nun seit drei Jahren bei Ahlbach.

"Kein Verstorbener sollte als etwas Selbstverständliches behandelt werden. Und wenn ich merke, dass ich nichts mehr empfinde, sollte ich den Job wechseln." Nyssen ergänzt: "Es ist eine Arbeit, die gemacht werden muss. Die auch Freude bringt."

Und Wojcik, der 34 Jahre alte Praktikant? Gibt sich wortkarg. Was er dann doch sagt, hat Wucht: "Ich wäre schon mal beinahe gestorben. Vielleicht ist das meine Motivation." Er und Nyssen erscheinen als ruhiges und höfliches Team.

"Preiswürdig, stimmig, standesgemäß"

"Die Bestattungskultur ist Abbild einer Gesellschaftskultur", sagt Wirthmann. Bundesweit seien bei den rund 3.250 im Bundesverband Deutscher Bestatter organisierten Betrieben 60 bis 70 Prozent Feuerbestattungen - Köln liege hier im Trend. Der Fachmann hat ein Süd-/Nord- beziehungsweise Ost-/Westgefälle ausgemacht: Rostock habe die größte Kremationsquote.

Angehörige seien zudem, nun ja, mitunter preisbewusst: Ihnen sei oft nicht klar, dass sie mit Kosten zwischen 2.500 und 4.000 Euro rechnen müssten. "Eine Bestattung muss preiswürdig, stimmig und standesgemäß sein", meint Wirthmann dazu.

In einer Gesellschaft, in der vieles denkbar und möglich ist, sei der Tod ein Tabu. "Mehr als 30 Prozent der Erwachsenen haben mit ihren Eltern nie über den Tod gesprochen", so Wirthmann. Auch in den Beratungsgesprächen mit Angehörigen zu den 800 bis 900 Bestattungen pro Jahr bei Ahlbach kämen immer wieder Tabus, Ambivalenzen und Widersprüche zu Tage.

Auch heute stecken die Berater in vielen Gesprächen. Besucher schauen sich Särge und Urnen in einer Ausstellung an oder besuchen ihre Verstorbenen im Kolumbarium - ein Bestattungsort für Urnen - auf dem Gelände, dessen Träger die altkatholische Kirche ist. Dort, auf einer ruhigen Bank unter einem Baum, sagt Wirthmann nachdenklich: "Der unspektakuläre Tod berührt uns manchmal mehr als etwas Tragisches." Weil er an die eigenen Vorstellungen vom Sterben rühre.


Trauerhalle des Bestattungsinstituts Ahlbach am 19. September 2019 in Köln. / © Julia Steinbrecht (KNA)
Trauerhalle des Bestattungsinstituts Ahlbach am 19. September 2019 in Köln. / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Trauerhalle des Bestattungsinstituts Ahlbach am 19. September 2019 in Köln. / © Julia Steinbrecht (KNA)
Trauerhalle des Bestattungsinstituts Ahlbach am 19. September 2019 in Köln. / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
KNA