Fleischverzicht und Askese in der Kirchenhistorie

Wer Fleisch isst, kommt nicht in den Himmel?

In der Debatte um Tierwohl und Fleischkonsum wird immer wieder vorgeschlagen, den Fleischkonsum zu reduzieren. Ist der Verzicht auf Fleisch "näher am Paradies"? Einblicke zu Fleischverzicht und Askese in der Kirchenhistorie vom Theologen Daniel Weisser.

Verzicht auf Fleisch? Wie war das in der Kirchenhistorie? / © wavebreakmedia (shutterstock)
Verzicht auf Fleisch? Wie war das in der Kirchenhistorie? / © wavebreakmedia ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: "Wer kein Fleisch isst, ist näher am Paradies als die, die nach dem Sündenfall leben", das hat vor ein paar Tagen der Theologe Professor Thomas Ruster DOMRADIO.DE gegenüber gesagt. Was haben Sie denn gedacht, als Sie den Artikel zum Interview mit Herrn Prof. Dr. Ruster gelesen haben?

Dr. Daniel Weisser (Theologe, Mitarbeiter im Büro des Generalvikars im Erzbistum Köln): Also mein Thema einer kirchenhistorischen Doktorarbeit (d. Red. "Quis maritus Salvetur"; übersetzt: Welcher Verheiratete kann gerettet werden?) war Askese. Askese als Ganzes: Das kann verschiedene Aspekte beinhalten, zum Beispiel den Verzicht auf Sexualität. Aber oft finden wir da auch noch andere Elemente: zum Beispiel den Verzicht auf Alkohol, auf Luxus, auf Fleisch – auf ganz viele verschiedene Dinge.

Weil wir uns heute mit diesem Thema "Verzicht auf Fleisch" beschäftigen wollen, habe ich dann nochmal in die altkirchlichen Quellen geguckt. Da haben wir in der Tat verschiedene Phänomene. Es gibt Leute, die sagen: "Es ist doch alles von Gott geschaffen worden. Es ist doch alles gut: Wir können alles essen." Es gibt aber auch Leute, die sagen: "Wir müssen auch auf Dinge verzichten."

Professor Ruster spricht das in seinem Interview auch an, indem er sagt: Paradiesische Nahrung, paradiesische Zustände – das ist eigentlich Vegetarismus. Der Fleischverzehr kam erst nach dem Sündenfall. Wir finden in der Tat ein paar Bewegungen in der Kirchengeschichte in der Zeit des dritten, vierten Jahrhunderts, die sagen sogar: Wer Fleisch isst, der kann nicht in den Himmel kommen. Wer Fleisch isst, der kann nicht erlöst werden, sondern das ist etwas, was unverzeihlich ist.

DOMRADIO.DE: War denn das denn damals eine allgemeine Überzeugung? Wer vertrat diese Meinung?

Weisser: Das war schon eher eine spezielle Meinung. Es gab kleinere Gruppen, die aber sehr wirkmächtig und sehr laut waren. Man könnte heute sagen, die agierten vielleicht etwas populistisch. Die verstanden es, die Werbetrommel zu rühren für ihre Forderungen. Sie konnten denjenigen, die Fleisch aßen, damit ein schlechtes Gewissen machen und konnten natürlich auch im Sinne einer gewissen Heilsangst drohen: "Macht das ruhig weiter so! Aber dann ist die Folge klar: Ihr kommt nicht in den Himmel".

Das ist natürlich ein wirkmächtiges Instrument, um Menschen einzuschüchtern. Um das deutlich zu sagen: Ich glaube schon, dass wir auch heute über unseren Fleischkonsum nachdenken müssen. Ich möchte aber wor einem Exclusivismus in dem Sinne warnen, den ich gerade benannt habe: "Wer Fleisch isst, der kann überhaupt nicht in den Himmel kommen."

DOMRADIO.DE: Das geht ja auch nicht, weil wir - so wir getauft sind - ja alle in den Himmel kommen können, oder?

Weisser: Wir können alle in den Himmel kommen. Und wenn wir nicht da reinkommen - zu der Behauptung lasse ich mich jetzt mal hinreißen - dann liegt es nicht daran, dass wir Fleisch gegessen hätten.

DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns nochmal ganz zurück in diese frühchristliche Zeit und zu den Leuten, die diese Askese so sehr propagiert haben. Askese ist ja jetzt nicht wirklich für jeden etwas. Das war wahrscheinlich damals auch schon so. Gab es da bessere und schlechtere Asketen?

Weisser: Also Askese heißt vom griechischen Wort her einfach "Übung". Wir könnten heute "Training" sagen. Das heißt, es geht um die Einübung in eine bestimmte Lebensweise. Das kann in dem Fall dann oft eine Lebensweise der Enthaltsamkeit sein. Man verzichtet ganz bewusst auf Dinge. Ich habe eben schon ein paar genannt: auf Fleisch, auf Alkohol, auf Sexualität – auch auf Schlaf zum Beispiel wurde verzichtet.

Das war natürlich – das kann man sich leicht vorstellen – nicht für jeden etwas. Man wird daran denken müssen, dass das eine eher spezielle Lebensform war, die aber auch wiederum eine große Wirkmacht hatte. Das heißt: Viele Bischöfe haben asketisch gelebt. Umgekehrt: Viele Asketen hat man, weil sie asketisch gelebt haben, als geeignet für das Bischofsamt angesehen. Man hat gesagt: Guck mal, die haben die Begierden ihres Körpers so gut unter Kontrolle. Die sind auch dafür geeignet, eine Leitungsfunktion in der Gemeinde einzunehmen.

Die Askese war eigentlich ein Spezifikum des Mönchtums. Die Mönche lebten asketisch, großkirchliche Kleriker waren zu der Zeit häufig noch verheiratet. Das hat sich so miteinander vermischt, sodass wir dann also auch im Bischofsamt und dann später auch in Priesteramt und Diakonenamt dazu kamen, sexuell enthaltsam lebende Personen zu haben – und auch in anderer Weise sich dem asketischen ideal verpflichtende Personen zu haben.

DOMRADIO.DE: Das heißt, im Grunde genommen ging man dann davon aus, dass der der Himmel ist voll mit jungfräulichen Vegetariern ist?

Weisser: Die Frage ist, wen Sie jetzt mit "man" bezeichnen. Diese Gruppierungen selber, die taten das natürlich – sonst hätten sie sich einen Teil ihrer eigenen Motivation aberkannt, also ihres eigenen Lohnes, den sie sich erhofften.

Die Großkirche hat demgegenüber aber immer daran festgehalten: Nein, selbstverständlich ist das keine exklusive Angelegenheit da oben im Himmel. Es gab Konzilien, die haben gesagt: Wer also jemanden verurteilt, der Fleisch isst, der wird selber exkommuniziert. Also gerade diese Breite auch in der großkirchlichen Überlieferung zu haben, das war der Kirche immer wichtig.

DOMRADIO.DE: Heißt das denn eigentlich auch, dass das Bedürfnis des Menschen, sich auch von Fleisch zu ernähren, als ein gottgegebenes Ding angesehen wurde?

Weisser: Ja, in vielen Fällen wurde es als ein gottgegebenes Ding angesehen. Nur jetzt wiederum nicht von den Gruppen, die gesagt haben: Das soll man nicht machen. Die haben gesagt, das ist im Grunde eine Versuchung, der man widerstehen muss. Das ist also das, wo Gott uns eigentlich sagt: Im Paradies war es anders – und wir müssen jetzt versuchen, diesem Urzustand, oder diesem vermuteten Urzustand wenigstens – wie es da aussah, weiß ja keiner – wieder zu nähern, indem wir sagen: Wir essen kein Fleisch.

DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns noch dazu kommen, dass es ja gut ist, wenn man sich Gedanken über Moral und Ethik in Sachen Fleischkonsum macht. Zu behaupten, dass alle, die Fleisch essen nicht in Himmel kommen, geht also nicht. Aber inwieweit stünde es der Kirche gut an, doch nochmal intensiver für weniger Fleischkonsum zu werben und danach zu handeln?

Weisser: Also alles, was ich gesagt habe, ist natürlich vor einem kirchenhistorischen Hintergrund zu verstehen. Und es ist auch vor einem Hintergrund zu verstehen, den ich gerne nochmal stark machen möchte: Einen solchen Exclusivismus, den darf es nicht geben. Damit ist aber natürlich verbunden, zu sagen: Die Kirche hat einen Auftrag. Sie hat einen Auftrag, für menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu sorgen in solchen Betrieben, wie wir es jetzt gerade sehen.

Sie hat auch einen Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung, der auch das Tiereswohl mit umfasst. Insofern gilt es: Das eine tun, das andere nicht lassen – also sowohl in der Verkündigung, als auch in der Tat dafür zu sorgen, dass das Thema Tiereswohl und Fleischverzehr auf die Tagesordnung kommt und auf der Tagesordnung bleibt.

Wir sehen hier übrigens eine interessante Schnittstelle zwischen diesem Thema heute und damals. Es geht jeweils auch immer um Identität – um Identität und um Abgrenzung. Also was möchte ich sein? Wie möchte ich mich definieren, auch über meinen Konsum – und wie eben nicht.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR
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