Was Bürger daran hindert, den Klimawandel zu bekämpfen

Ist es schon fünf vor zwölf?

Es ist eine entscheidende Woche für die Klimapolitik: Das Klimakabinett in Berlin legt die Klimastrategie in Deutschland fest. In New York tagt der UN-Klimagipfel. Doch Philosophen sehen nicht nur die Politik gefordert.

Autor/in:
Christoph Arens
Klimawandel: Ist es fünf vor zwölf? / © kelifamily (shutterstock)
Klimawandel: Ist es fünf vor zwölf? / © kelifamily ( shutterstock )

Wirbelstürme, schmelzende Gletscher und Hitzesommer: Der von Menschen gemachte Klimawandel wird kaum noch bestritten. Offen ist die Frage, ob es schon fünf nach zwölf oder erst fünf vor zwölf ist. Notwendig wäre eine Revolution: Doch wer sitzt an den Stellschrauben, um die Entwicklung aufzuhalten oder gar umzukehren?

Dass Politk, Staatengemeinschaft und Industrie in erster Linie gefordert sind, steht außer Frage. Doch trotz UN-Klimagipfel in New York und Klimakabinett in Berlin: Acht europäische Philosophen sehen auch jeden Einzelnen in der ethischen Pflicht, zu handeln - selbst wenn der jeweilige Beitrag noch so klein erscheint.

Weit verbreitete "moralische Blindheit"

"Da läuft etwas grundlegend falsch, doch wir tun nichts dagegen. Wie kann das eigentlich sein?", fragt der Karlsruher Professor für Philosophische Anthropologie, Christian Seidel, in seinem am Dienstag in Köln veröffentlichten Statement für das Wissenschaftsportal "Science Media Center". Der Verzicht auf die nächste Flugreise oder das Fleisch auf dem Teller fällt schwer.

Seidel diagnostiziert eine weit verbreitete "moralische Blindheit" und "Unvernunft": Moralisch blind seien viele Menschen, weil sie nicht einsähen, dass die Interessen zukünftiger Menschen genauso zählten wie die Interessen heute Lebender. Und Unvernunft zeigt sich, wenn der Mensch einsieht, dass es eigentlich falsch ist, mit dem SUV Brötchen zu holen, es aber aus Bequemlichkeit dennoch tut.

Auch die Wiener Philosophin Angela Kallhoff zählt vermeintliche Argumente auf, mit denen viele Bürger moralische Anforderungen wegdrängen: Der Einzelne könne sowieso nichts bewirken, lautet eines.

Für den herrschenden Lebensstil seien Politik und Industrie verantwortlich; sie müssten andere Rahmenbedingungen setzen - so lautet ein anderes. Es gebe "keine allgemeine Überzeugung davon, dass jeder eine Pflicht zum Klimaschutz hat", bedauert sie.

Energisch widerspricht diesem resignativen Abschieben von Verantwortung auch der Ethiker Dominic Roser vom Institut für Ethik und Menschenrechte der Universität Freiburg in der Schweiz: Er verweist auf Berechnungen, nach denen ein durchschnittlicher US-Bürger durch seine Emissionen für das Leiden und Sterben von ein bis zwei zukünftigen Menschen verantwortlich sei.

Verbot, andere zu schädigen

Auch Christoph Lumer, Moralphilosoph der Universität Siena, sieht ein klares moralisches Prinzip berührt, das von jedem Einzelnen aktives Handeln verlangt: das Verbot, andere zu schädigen - also etwa die besonders vom Klimawandel betroffenen Bewohner in Entwicklungsländern oder zukünftige Generationen.

Neben dieser prinzipiellen Forderung nach Gerechtigkeit nennen die Philosophen auch noch sehr praktische Begründungen für ein Handeln.

Revolutionen setzten sich schließlich aus den Taten Einzelner zusammen: Oft seien es zunächst einzelne Vorkämpfer gewesen, die das Denken und Handeln einer Gesellschaft verändert hätten - etwa bei der Abschaffung der Sklaverei oder jetzt bei der Frydays-for-Future-Bewegung. Auch wenn die hauptsächliche Verantwortung zum Handeln bei der Politik liege, schreibt Roser: Es sind immer noch Individuen, die diejenigen Politiker wählen müssen, die diese Verantwortung auch wahrnehmen.

"Gute Gesetzgebung fällt nicht vom Himmel", betont auch der Kieler Ethiker Christian Baatz. Bürger hätten die ethische Pflicht, sich für gerechte Institutionen einzusetzen. Und die derzeitigen Institutionen seien zutiefst ungerecht, weil sie durch von Menschen verursachten Klimawandel andere Menschen an der Ausübung ihrer Grundrechte hinderten. Wer klimafreundlich handele und entsprechende Konsumentscheidungen treffe, könne Mitmenschen verändern und politischen Druck aufbauen.

Eher pessimistisch zeigt sich der Bayreuther Philosoph Rudolf Schüßler. Bürger seien zu Opfern nur bereit, wenn es eine begründete Aussicht auf Besserung gebe, vermutet er. Kallhoff sieht das anders:

Die Debatte dürfe nicht nur um Emissionen und ökologischen Fußabdruck gehen; Klimaethiker könnten auch eine Ethik des guten Lebens zum Thema machen. "Wer sagt denn, dass energieärmeres Leben, Verzicht auf Flugreisen oder ein privates Auto zu einem schlechteren Leben führen?", fragt sie.


Quelle:
KNA