Misereor: Umstieg auf Biomilch ist auch keine Lösung

Kranke Milchbranche

20 Cent für einen Liter Milch - das ist zu wenig für die Milchbauern, meint das katholische Hilfswerk Misereor. Viele kleine Betriebe dächten ans Aufgeben. Heute wird in Berlin beim Milchgipfel über Lösungen diskutiert.

Protestplakat eines Milchbauerns / © Carsten Rehder (dpa)
Protestplakat eines Milchbauerns / © Carsten Rehder ( dpa )

René Pilj sieht viele kranke Tiere in deutschen Kuhställen. "Und auch viele Menschen, die an den Folgen der Billigpreise für Milch zugrunde gehen - finanziell und psychisch", sagt der Klauenpfleger aus dem friesischen Jever. Pilj wird in die Ställe gerufen, wenn die Füße der Kühe, die Klauen, zu viel Horn gebildet haben - eine typische Folge von Stallhaltung, durch die es leicht zu Entzündungen kommt. Allerdings brechen ihm zurzeit die Aufträge weg: Den Landwirten fehlt das Geld für die Gesundheitspflege.

"Auch viele Tierärzte berichten, dass sie weniger und immer später zu kranken Tieren gerufen werden", sagt Pilj, der zusammen mit den in der Agrar- und Veterinärsakademie AVA vernetzten Tierärzten auf die "immer größer werdende Katastrophe durch den Preisverfall der Milch aufmerksam machen will". Krankheitsraten von 60 Prozent und vorzeitiges Sterben der Milchkühe bescheinigen Tierärzte und Forscher der AVA in der "Göttinger Erklärung 2016". Verursacht durch Leistungsdruck und die bereits darauf angelegte Zucht von "Turbokühen", die immer mehr Milch geben, dafür aber nach zwei Geburten schon am Ende ihrer Lebenskraft sind. "Der Preisdruck, unter dem die Milchbauern stehen, verschärft die Situation immer weiter", sagt Pilj.

Tatsächlich ist der Milchpreis seit Monaten auf Talfahrt: Auf 46 Cent senkte zum Beispiel Discount-Markführer Aldi den Liter Vollmilch für Verbraucher, gefolgt von der Konkurrenz. Landwirte erhalten von ihren Vertragsmolkereien derzeit rund 29 Cent für den Liter Milch - im Durchschnitt. "Zum Teil bekommen sie nur 20", sagt die Göttinger Agrarsoziologin Karin Jürgens. Für die Milcherzeugergemeinschaft Milch Board errechnet sie mit amtlichen Buchführungsdaten, was die Milchproduktion die Landwirte aktuell kostet: Es sind durchschnittlich fast 45 Cent.

Katholische Landvolkbewegung ruft zum Milchkonsum auf

Angesichts des Preisverfalls müsse das Bewusstsein dafür gestärkt werden, "dass Lebensmittel etwas Wertvolles sind", fordert die Katholische Landvolkbewegung (KLB). Auch die Landwirte müssten dafür das Gespräch mit den Menschen suchen, sagte ein KLB-Vertreter der Bistumszeitung "Kirche+Leben" aus Münster. Der Verband appelliert angesichts der niedrigen Milchpreise an die Verbraucher, kurzfristig mehr Milch, Joghurt und Käse zu konsumieren.

"Mehr als ein Drittel der Milchkosten werden inzwischen durch die Erlöse nicht abgedeckt", sagt Agrarsoziologin Karin Jürgens. Das hat Folgen: "Kredite können nicht bedient und Reparaturen und auch Tierarztkosten nicht gezahlt werden." Aus Angst vor dem Ruin würden dann noch größere Mengen Billigmilch produziert, um irgendwie das Einkommen zu sichern - und noch mehr Milch kommt auf den Markt und drückt den Preis. "Ein Teufelskreis", sagt Jürgens.

Die Milchmenge muss reduziert werden, das will Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). Die EU-Milchquote ist seit 2015 aufgehoben, seitdem darf unbegrenzt Milch produziert werden. Eine Lösung könne nur am Markt und durch die Beteiligten gefunden werden, äußerte der Minister bereits vor dem geplanten Milchgipfel am 30. Mai. Die Politik wolle aber mit finanziellen Hilfen und "im Rahmen ihrer Möglichkeit" unterstützen. Wie das aussehen soll, darüber beraten Ministerium, Molkereien und Handelsvertreter beim Gipfel.

Misereor rechnet nicht mit Anstieg des Milchpreises

Das katholische Hilfswerk Misereor rechnet allerdings nicht mit einem baldigen Anstieg des Milchpreises. Die Misereor-Referentin für Welthandel und Ernährung, Kerstin Lanje, sagte der Zeitung, viele Milchviehhalter dächten ans Aufgeben.Die Resignation ist nach den Erfahrungen der Expertin größer geworden. "Viele Milchbauern machen einen verzweifelten Eindruck." Ein Erzeugerpreis von 20 Cent pro Liter reiche "überhaupt nicht".

Möglichkeiten für kleine Betriebe gebe es daher am ehesten in der Nische. Erzeuger könnten auf Bio-Milch umsteigen, Milch direkt ab Hof vermarkten oder sich Kooperationen für regionale, nachhaltig produzierte Milch anschließen.

Zugleich warnte die Volkswirtin davor, Höfe in großer Zahl auf biologische Wirtschaft umzustellen: "Dann kommt es auch bei Bio-Milch, die bisher noch nicht so stark betroffen ist, zum Preisverfall."

Kritik an Zusammensetzung des Milchgipfels

Die Auswahl der Beteiligten an dem Milchgipfel sorgt für Kritik: Weder die zuständigen Landesminister - überwiegend Grüne - noch der Milchbauernverband BDM sind eingeladen. "Der Minister möchte seine Politik im dunklen Kämmerlein besprechen, wo ihn keiner kritisiert - und lieber nicht mit denen, die ganz praktisch konkrete Vorschläge zur Lösung der Krise machen können", kritisiert Friedrich Ostendorff, agrarpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.

Und auch der Bundesverband deutscher Milchviehhalter sieht die Milchbauern "von der Bundespolitik übergangen", wie Sprecher Hans Foldenauer sagt. Er fordert, dass finanzielle Hilfen für Milchbauern an die Reduzierung der Milchmenge gekoppelt werden. "Wer derzeit weniger produziert, muss unterstützt werden. Nur so kommen wir aus der Situation heraus", sagt er. "Sonst produzieren die Bauern mit dem Rücken an der Wand noch mehr Milch, um zu überleben." Schon jetzt müssten Betriebe schließen. "Allein auf freiwillige Branchenvereinbarungen zwischen Molkereien und Erzeugern zu setzen, kann nicht funktionieren", kritisiert der Landwirt. "Dafür sind die Interessen einfach zu unterschiedlich."

 


Quelle:
epd , KNA