Russische NS-Opfer bei Kardinal Woelki zu Gast

Wenn der Klang der deutschen Sprache Angst auslöst

"Eine Kindheit, wie ich sie hatte, wünsche ich niemandem." Nadeschda Kathutskaja hat Tränen in den Augen, als sie das sagt. Im Bernhard-Lichtenberg-Haus des Erzbistums Berlin erinnert sie sich an die schrecklichsten Jahre ihres Lebens. In Kardinal Rainer Maria Woelki hat die Tochter einer Zwangsarbeiterin in Nazi-Deutschland einen aufmerksamen Zuhörer.

Autor/in:
Gregor Krumpholz
 (DR)

Als Dreijährige kam die Russin 1944 von Smolensk nach Berlin-Karlshorst. Verschleppt zusammen mit ihrer Mutter, die für das nationalsozialistische Deutschland in der Rüstungsindustrie Zwangsarbeit leisten musste. Ein Leben zwischen Baracken und Fabrikhallen, in Elend und ständiger Todesgefahr. "Eine falsche Bewegung, und man wurde erschossen", gibt die heute 71-Jährige das weiter, was ihre Mutter ihr über diese Zeit erzählte.



Kardinal Woelki setzt Tradition seines Amtsvorgängers fort

In Kardinal Rainer Maria Woelki haben Nadeschda Kathutskaja und mit ihr ein gutes Dutzend Schicksalsgenossen einen aufmerksamen Zuhörer. Zum ersten Mal ist der Berliner Erzbischof an diesem Dienstagnachmittag Gastgeber einer solchen Gruppe, die auf Einladung des Maximilian-Kolbe-Werks Berlin und Brandenburg besucht. Damit nimmt er eine Tradition auf, die sein verstorbener Amtsvorgänger Georg Sterzinsky begründete.



"Wo war damals Ihr Vater?", fragt Woelki. "An der Front", antwortet Nadeschda Kathutskaja, die später viele Jahre als Pädagogin in ihrem Heimatland arbeitete. Doch auch dies war alles andere als selbstverständlich. "Zwangsarbeiter in Nazi-Deutschland galten in der Sowjetunion als Verräter", erklärt sie dem Kardinal. "Viele wurden deshalb nicht zum Studium zugelassen."



Wie die anderen Gäste ist auch Nadeschda Kathutskaja voller Lob für das Kolbe-Werk. Die nach dem in Auschwitz ermordeten Franziskanerpater Maximilian Kolbe benannte Hilfsorganisation unterstützt seit 1973 Opfer der Nationalsozialisten in Osteuropa. Unter anderem ermöglichte sie mehr als 12.000 von ihnen eine Reise nach Deutschland. Es sind die letzten, viele wurden erst in den Kriegswirren geboren. Selbst die älteren haben oft bloß noch Erinnerungsfetzen an diese Zeit.



Wenn der Klang der deutschen Sprache Angst auslöst

Dennoch: Die Gräuel des Krieges prägen ihr Leben bis heute. "Das ihnen angetane Unrecht ist durch nichts wieder gutzumachen", betont Woelki. "Wir müssen die Erinnerung daran wachhalten, damit sich das nie wiederholt." Auch dankt er seinen Zuhörern, die meisten unter ihnen jüdischer Abstammung, "dass sie bei allen schrecklichen Erfahrungen Beispiele der Menschlichkeit aus diesen Jahren nicht vergessen haben".



Auch Monika Herdemerten vom Kolbe-Werk, die der Besuchergruppe zur Seite steht, bestätigt die "große Versöhnungsbereitschaft" der Gäste, trotz der "Ängste, die der Klang der deutschen Sprache bei manchen von ihnen anfangs noch auslöst". Bei ihrem zweiwöchigen Besuch stellen die teilweise hoch betagten Russinnen und Russen dies auch an anderer Stelle unter Beweis. So treffen sie mit Studierenden zusammen, um von ihrem Schicksal zu erzählen. Neben Konzerten und Ausflügen steht zudem ein Treffen mit Senatsvertretern im Roten Rathaus auf dem Programm: ein spätes Zeichen des Respekts vor einem schweren Schicksal.