Papst-Videokonferenz mit japanischen Studenten

Sorge um "Jugend ohne Wurzeln"

Nach Einschätzung von Papst Franziskus lässt echter religiöser Glaube einen Menschen wachsen und anderen dienen. Andernfalls handle es sich um einen unreifen Glauben, schlimmstenfalls "um Heuchelei oder Fundamentalismus".

Nanu, warum so skeptisch? / © Evandro Inetti (dpa)
Nanu, warum so skeptisch? / © Evandro Inetti ( dpa )

Das sagte Franziskus in einer Videokonferenz mit japanischen Studenten. Offiziell stand kein Programmpunkt auf dem päpstlichen Terminkalender; allerdings war Franziskus vom Vatikan aus per Video mit Studenten der Sophia-Universität in Tokio verbunden. Gesprächsthemen waren außerdem Jugend, Migranten, Geld und die Umwelt.

Gefragt nach den Gefahren und der Bedeutung von Religion in der heutigen Welt, antwortete der Papst: "Religion ist kein erfundenes Theater, sondern entsteht aus der menschlichen Unruhe, aus sich herauszugehen und dem absoluten Gott zu begegnen." Auf diese Weise seien alle großen Religionen entstanden. "Die christliche Offenbarung, die ich bekenne, kennt als Grundregel, Gott anzubeten und auch den Letzten zu dienen", so Franziskus.

Sorge um "Jugend ohne Wurzeln"

Jeweils ein Student stellte eine Frage, auf die der Papst ausführlicher antwortete. Seine größte Sorge um junge Menschen sei eine "Jugend ohne Wurzeln". Ihn beunruhige etwa die stete Beschleunigung bei zwischenmenschlichen Beziehungen. Andererseits seien ihm viele Jugendliche zu ruhig; etliche fühlten sich schon "mit 25 Jahren fertig".

Auf die Frage nach dem Miteinander von Migranten und Gastländern betonte der Papst erneut, jedes Land müsse sich ehrlich fragen, wie viele Neuankömmlinge es aufnehmen könne. Als lobenswerte Beispiele nannte er Schweden, Griechenland und Italien. Für Europa sei das gegenwärtige Flüchtlings- und Migrationsproblem die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Einen Migranten könne man nicht einfach zurückschicken; er sei eine menschliche Person mit Würde, geflohen vor Krieg oder Hunger. Integration jedoch brauche viel Zeit und sei ein beständiger Dialog.

Papst mag Begegnungen

Als schönstes Erlebnis seit seiner Wahl zum Papst nannte Franziskus die vielen Begegnungen mit Menschen, das Gespräch mit Kindern, alten Menschen und Kranken. Die Gegenwart anderer Menschen und der Austausch mit ihnen "helfen mir, sie machen mich jünger", sagte er.

Die Sophia-Universität im Tokioter Stadtteil Kiyoda wurde 1913 von Jesuiten gegründet. Sie gilt als eine der angesehensten Hochschulen Japans.

Auszüge aus der Videokonferenz

Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert das Gespräch in Auszügen und eigener Übersetzung:

Eine Theologiestudentin, die sich kürzlich hat taufen lassen: Was war Ihr schönstes Erlebnis seit Ihrer Wahl zum Papst?

Papst Franziskus: Es gab nicht nur eines, sondern viele. Mir gefällt es, mit Menschen zu sein, sie zu begrüßen; wenn ich mit Kindern reden kann, mit Alten oder Kranken. Es hilft mir, mit anderen Menschen zusammenzusein, das macht mich jünger. (...)

Ein Student der Ingenieurwissenschaften: Was ist das vorrangige Ziel einer Universitätsausbildung?

Papst Franziskus: (...) Die Ausbildung soll zum harmonischen Wachstum einer Person führen, damit er alle drei Sprechweisen des Menschen nutzen kann: den Intellekt, das Herz und die Sprache der Hände. Eine echte Ausbildung muss diese drei Sprachen harmonisieren, so dass am Ende eines Studiums wir einen Mann oder eine Frau haben, die fühlen, was sie denken und tun, und die das tun, was sie fühlen und denken. Diese Harmonie ist kein in sich ruhendes Gleichgewicht, sondern stets offen zu dienen (...)

Eine angehende Ingenieurin: Was sind Ihre Sorgen und Ihre Hoffnungen die heutige Jugend betreffend?

Franziskus: Von der Jugend sagt man, sie sei die Hoffnung der Zukunft; ich hoffe, sie hat die Kraft dazu. Aber ich sorge mich wegen einer gewissen Beschleunigung in den Beziehungen und der Lebensweise, welche die Jugendlichen ihr Gedächtnis und ihre Wurzeln verlieren lässt. Meine größte Sorge um die Jugend ist, dass sie die Wurzeln ihrer Kultur, Geschichte und Menschlichkeit verlieren. Jugendliche ohne Wurzeln. (...) Die Jugendliche dürfen nicht still bleiben, sie müssen stets in Bewegung bleiben - in ihrem ganzen Wesen, aber verwurzelt in ihren Ursprüngen. Meine Sorge sind die stillen Jugendlichen, die sich mit 25 Jahren schon angekommen, arriviert fühlen, sich in einer Behaglichkeit wiederfinden, die sie sie selber quasi unschädlich macht. (...)

Ein Student aus Myanmar: Viele sagen, Religion sei gefährlich, andere, sie sei notwendig. Welche Bedeutung hat Ihrer Meinung nach die Relgion für unsere Welt?

Franziskus: (...) Religion ist kein erfundenes Theater, sondern entsteht aus der menschlichen Unruhe, aus sich herauszugehen und dem absoluten Gott zu begegnen. (...) Aus dieser Dimension sind die großen religiösen Bekenntnisse hervorgegangen. (...) Ein religiöser Glaube, der dich nicht wachsen lässt oder dich nicht in den Dienst für die Armen nimmt, ist unreif. Die christliche Offenbarung, die ich bekenne, kennt als Grundregel, Gott anzubeten und auch den Letzten zu dienen. Zudem will ich euch noch etwas sagen, das ich für wichtig halte: Etwas sehr Schädliches ist es, ein Heuchler zu sein, jemand der sagt, er habe Glauben, der aber handelt wie ein Atheist. (...) Außerdem gibt es das Phänomen des Fundamentalismus. In allen Religionen gibt es eine kleine Gruppe von Fundamentalisten, die nicht der Grundidee ihres Glaubens entsprechen, ein sozio-politisches Rückzugsgebiet degenerierter Religion. (...) Jene, die Schaden anrichten, sind der Heuchler und der Fundamentalist.

Frage: Viele Menschen haben ein sehr positives Bild von Ihnen. Wie sehen Sie sich selber?

Franziskus: Das ist eine Frage, die eine Kosmetikerin stellen könnte. Das Problem nach dem Selbstbild ist, dass wir dabei an einen Spiegel denken. Wenn wir uns kämmen und in den Spiegel schauen, haben wir ein Bild von uns. Aber wenn der Spiegel dein Leben bestimmt, wird dies zu einer fast narzistischen und selbstbezogenen Attitüde. (...) Das Bild, das ich von mir selber habe - ich versuche, mich nicht im Spiegel zu sehen. Ich versuche, mich von innen zu sehen, von dem her, was ich tagsüber gefühlt habe, und mich dann zu beurteilen. Ganz allgemein sehe ich mich als Sünder, den Gott sehr liebt und den er weiter liebt. Konkret betrachte ich dann jeden Tag, wie ich mich verhalte, die Entscheidungen, die ich treffe, die Fehler, die ich mache - ein Bild, das sich bewegt, wie das Leben sich bewegt.

Frage: Die Flüchtlinge und die Gemeinschaft, die sie aufnimmt, sollen gemeinsam wachsen. Können Sie uns das besser erklären?

Franziskus: Das Flüchtlingsproblem ist ein sehr großes in der Menschheitsgeschichte. Die menschliche Person ist ein Migrant. Für Europa ist das Migrationsproblem die größte Tragödie seit dem Zweiten Weltkrieg. Dort entsteht ein Problem, das wir angehen müssen: Einen Migranten kann man nicht einfach zurückschicken; er ist eine menschliche Person mit Würde, geflohen vor Krieg oder Hunger. Migranten muss man integrieren. Sie in ein Ghetto zu stecken, ist keine Integration. (...) Selbstverständlich muss jedes Land selber prüfen, wie viele es aufnehmen kann; dafür lobe ich Schweden. Auch Italien und Griechenland, die allen helfen, die ankommen, muss ich loben. Wo es an Integration mangelt, schafft man Probleme für den Frieden. (...) Der Migrant muss die Gesellschaft, die ihn aufnimmt, respektieren. Migration ist ein Dialog.

 

Quelle:
KNA