Kirchenhistoriker über die Sorge für Arme und Kranke

Der Markenkern des Christentums

Papst Franziskus rückt das Thema Armut mit besonderem Nachdruck in das Zentrum der Verkündigung: Das beschreibt der Trierer Kirchenhistoriker Bernhard Schneider in seinem neuen Buch über christliche Armenfürsorge.

Ein Pfandflaschensammler im Bonner Hauptbahnhof / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Ein Pfandflaschensammler im Bonner Hauptbahnhof / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

KNA: Papst Franziskus hat einen Welttag der Armen für den zweiten Sonntag vor dem Advent eingerichtet. Ist die Armenfürsorge ein besonderes Markenkennzeichen des Christentums?

Bernhard Schneider (Kirchenhistoriker): Ein Markenkern des Christentums ist die Sorge für Arme und Kranke ohne Zweifel, und zwar von Anfang an. Es trug zum Erfolg der frühchristlichen Mission bei, wenn Außenstehende sehen konnten, wie in den Christengemeinden auch diese Bedürftigen Zuwendung und Hilfe fanden. Auf der anderen Seite ist es allerdings kein Alleinstellungsmerkmal des Christentums, sich um diese Gruppen zu kümmern. Auch im Judentum und Islam ist Gott der Barmherzige, der mit seiner Barmherzigkeit das Modell für die Gläubigen vorgibt. Nächstenliebe und soziales Engagement sind also religionsverbindend.

KNA: Nimmt Papst Franziskus im Umgang mit der Armut eine besondere Rolle ein?

Schneider: Der gegenwärtige Papst rückt das Thema Armut mit besonderem Nachdruck ins Zentrum seiner Verkündigung - und profiliert es eindrucksvoll aus seinem lateinamerikanischen Hintergrund heraus.

Dazu lebt er die Nähe zu diesen Gruppen in besonders glaubwürdiger Weise in seinem persönlichen Lebensstil und Handeln. Das Thema der karitativen Diakonie als ein Grundpfeiler christlicher Existenz hat auch schon Benedikt XVI. in seiner Caritas-Enzyklika "Deus caritas est", die erste Caritas-Enzyklika überhaupt, deutlich aufgezeigt.

Dazu gibt es die Tradition der sogenannten Sozialenzykliken seit 1891. Dass Päpste auch bedeutende Akteure christlicher Armenfürsorge sein konnten, ist historisch gut belegt, so zum Beispiel für Papst Gregor den Großen.

KNA: Wann kam der Umbruch, dass man sich nicht nur um die Armen kümmern, sondern auch die Ursachen ändern muss?

Schneider: Dafür kann man kein Datum nennen, denn in allen Epochen der Kirchengeschichte finden sich Beispiele für eine Kritik an ungerechten sozialen Gegebenheiten. Wenn mittelalterliche Theologen ungerechte Richter dafür kritisieren, eine Art von "Klassenjustiz" zu betreiben oder Reiche anklagen, Spekulation mit Nahrungsmitteln in Hungerszeiten zu treiben, dann ist das ja auch Bekämpfung der Ursachen.

Armenfürsorge mit gesellschaftlichen Reformen zu verbinden und Sozialpolitik in unserem Verständnis zu betreiben, ist dann seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stärker geworden und seit den 1960er Jahren auch global im Blick auf die sogenannte Dritte Welt. Man kann das auch an gewandelten Begriffen festmachen: Almosen und Barmherzigkeit sind seitdem eher negativ gewertet, während Solidarität oder (soziale) Gerechtigkeit begrifflich in den Vordergrund traten.

KNA: Sie beschreiben nicht nur den Umgang mit den Armen, sondern auch die Grenzen. Worin bestanden diese?

Schneider: Die Frage war durchgängig in der Geschichte des Christentums auch die, ob allen unterschiedslos zu helfen sei oder ob man differenzieren solle oder müsse. Angesicht damals wie heute begrenzter Ressourcen der Hilfe ist das grundsätzlich keine unberechtigte Frage. Aber es zeigte sich eben auch, dass die Differenzierung schwierig ist.

Beliebt war die Unterscheidung von würdigen und unwürdigen Armen. Aber wie genau legt man das fest? Hier boten sich genutzte Möglichkeiten, Armen Hilfe zu verweigern, weil sie angeblich zu faul seien, an ihrer Lage selbst Schuld seien oder nicht fromm und sittlich genug lebten. Texte wie der Zweite Thessalonicher-Brief ("Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen") wurden gerne für Exklusionen genutzt und begegnen in dieser Form bis hinein in die Debatten um die Hartz-IV-Reformen.

Christen sind immer wieder für die Würde von armen Menschen eingetreten, aber diese wurden ebenso von sogenannten guten Christen - teils mit religiösem oder moralischen Mitteln - stigmatisiert und entwürdigt.

KNA: Welche Heiligen würden Sie im Hinblick auf den Umgang mit den Armen dem Heiligen Martin von Tours oder Franziskus von Assisi an die Seite stellen?

Schneider: Wenn man auf überragende Rolle von Frauen für die Caritas schaut - früher wie heute - dann lassen sich beispielsweise Elisabeth von Thüringen oder Hedwig von Schlesien im hohen Mittelalter nennen. Auch die Neuzeit kennt viele. Da wären Vinzenz von Paul und Louise de Marillac zu nennen, die bahnbrechend für die organisierte Armen- und Krankenfürsorge wirkten und bis in die Gegenwart hinein deshalb Namenspatrone vieler karitativer Einrichtungen sind.

Erwähnen möchte ich auch einen nicht heiliggesprochenen Märtyrer der Nächstenliebe, Friedrich Spee, den Anwalt der als Hexen Verfolgten, der dann auch noch in den pestverseuchten Hospitälern in Trier wirkte und sich dort selbst tödlich infizierte. Jüngste Beispiele sind Mutter Teresa oder Schwester Ruth Pfau. Man könnte zahllose weitere beeindruckende Personen nennen.

Das Gespräch führte Christiane Laudage.

 

Prof. Dr. Bernhard Schneider / © Presse (Uni Trier)
Prof. Dr. Bernhard Schneider / © Presse ( Uni Trier )
Quelle:
KNA