Kardinal Turkson zur Reform der Entwicklungspolitik im Vatikan

"Eine gesellschaftliche Vision der Kirche entwerfen"

Mit Jahresbeginn wird Kardinal Peter Kodwo Appiah Turkson Leiter der von Papst Franziskus neu geschaffenen Behörde. Im Interview äußert sich der 68-Jährige zum künftigen Profil des Arbeitsbereichs und zur Resonanz des Papstes in Afrika.

Kardinal Peter Turkson (KNA)
Kardinal Peter Turkson / ( KNA )

KNA: Eminenz, ab dem 1. Januar leiten Sie die Vatikanbehörde für ganzheitliche Entwicklung - was wird da neu?

Kardinal Peter Kodwo Appiah Turkson (aus Ghana und Präsident des Päpstlichen Rats für Gerechtigkeit und Frieden): Der 1. Januar ist keine Deadline. Wir arbeiten an der Struktur der neuen Behörde, aber ihr Profil wird, realistisch gesehen, erst an Ostern klarer werden. Die Beteiligten beraten jetzt gemeinsam. Wir werden aus den vier Dikasterien nicht einfach ein Konglomerat bilden. Die Herausforderung liegt in einer Neuformulierung der kirchlichen Sorge für die Sozialordnung. Wie können wir - auf der Grundlage des Konzilsdokuments "Gaudium et spes" wie auch der Lehräußerungen von Benedikt XVI. und Franziskus - eine gesellschaftliche Vision der Kirche entwerfen?

KNA: Das heißt, die neue Behörde startet von Grund auf?

Turkson: Ja und nein; wir nutzen vorhandene Elemente. Dass der Papst eine Reform will, darf nicht als Ausdruck einer Unzufriedenheit mit den bisherigen Strukturen verstanden werden, so als hätten die Behörden versagt oder machten ihre Arbeit nicht ordentlich.

Der Punkt ist: Weil sich in der Lehre von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. eine "ganzheitliche Ökologie" herausgebildet hat, müssen wir jetzt über eine ganzheitliche soziale Verantwortung nachdenken. Das haben wir bislang getrennt unter den Aspekten Migration, humanitäre Hilfe, Gesundheit und Gerechtigkeit und Frieden getan, und jetzt wollen wir das zusammen anschauen. Das Personal bleibt so weit wie möglich das alte. Wo nötig, holen wir Verstärkung von außen.

KNA: Aber natürlich denkt man bei Reformen an ineffiziente Strukturen.

Turkson: Ich würde sagen: unkoordinierte Strukturen. Für sich genommen waren sie effizient. Wenn sich das eine Büro mit Konflikten oder wirtschaftlichen Bedingungen als Migrationsursachen befasst und es daneben ein Büro für Migrantenseelsorge gibt, spricht vieles dafür, sich in ein- und demselben Büro darum zu kümmern.

KNA: Eine Zusammenlegung von Behörden wäre auch eine Gelegenheit für Einsparungen... 

Turkson: In der Wirtschaft wäre das ein Hauptzweck, aber nicht bei uns. Franziskus will nicht, dass durch den Umbau irgendjemand seinen Job verliert. Einzige Einsparmöglichkeit: Priester und Ordensleute, die hier arbeiten, können zurück in ihre Bistümer oder Konvente. Von den Laien schicken wir niemanden weg. Natürlich ergeben sich durch die Zusammenlegung auch Dopplungen. Mit den überzähligen Mitarbeitern führen wir Orientierungsgespräche, wie wir sie entsprechend ihren Neigungen und Fähigkeiten einsetzen oder umschulen können.

KNA: Sie bekommen künftig auch die Mittel von "Cor unum", dem päpstlichen Hilfswerk? 

Turkson: Wir erhalten die Finanzverantwortung für die Einrichtungen, die hier angesiedelt werden. "Cor unum" hat zwei Stiftungen, eine für Afrika, eine für Lateinamerika. Die kommen natürlich zu uns, aber sie unterstehen ihrerseits eigenen Aufsichtsräten, und die Gelder sind zweckgebunden. In Zukunft könnte es auch nötig werden, das Stiftungskapital aufzufüllen. Wir müssen womöglich ein bisschen Fundraising betreiben.

KNA: Welche Resonanz findet Papst Franziskus in Afrika?

Turkson: Sein Ansatz, dass die Kirche eine Kirche sein muss, die rausgeht, ist für sich genommen eine Herausforderung. Statt im Pfarrhaus zu bleiben, müssen unsere Priester nach dem Vorbild der Missionare mehr Kontakt zu den Menschen suchen, sie mobilisieren. Wir Katholiken haben das Podium anderen überlassen, sogenannten Sekten, Evangelikalen. Das passiert, wenn Kleriker sich mehr um sich selbst kümmern als um die Seelsorge.

KNA: Und die Botschaft der Barmherzigkeit gegenüber Ausgegrenzten oder Homosexuellen - wie kommt das bei afrikanischen Katholiken an? 

Turkson: Bestimmte Lebensstile - wie Homosexualität - werden gesellschaftlich teils schwer toleriert. Wir treten da für Respekt und Menschenrechte ein. Die Würde eines Menschen wird nicht hinfällig wegen eines Lebensstils, auch nicht geschmälert. Der feindseligen Behandlung, die solche Leute manchmal erfahren, setzen wir eine Geste der Barmherzigkeit und des Mitleids entgegen.

KNA: Ihr Kollege Kardinal Robert Sarah, der eher konservative Haltungen vertritt, gilt manchen als die Stimme Afrikas in Moralfragen. Repräsentiert er den katholischen Mainstream? 

Turkson: Wenn es um den Mainstream geht, müsste man eher auf das Symposium der afrikanischen Bischofskonferenzen SECAM schauen. Sarah ist ebenso Kurienmitglied wie sein Vorgänger Kardinal Francis Arinze aus Nigeria oder wie ich, und was wir hier in Rom denken oder tun, ist nicht so repräsentativ für die Position der afrikanische Kirche wie SECAM oder jemand, der konstant mit den Bischöfen Afrikas zusammenarbeitet.

Das Interview führte Burkhard Jürgens.


Quelle:
KNA