Chinas neue Sicherheitsgesetze als Vorwand für Repressalien

Endspiel um Hongkong?

​Seit einem Jahr brodelt es in Hongkong. Nun fürchten Kritiker massive Auswirkungen auf Menschenrechte und Meinungsfreiheit, wenn Peking die neuen Gesetze für Hongkong verabschiedet.

Autor/in:
Stefanie Ball
Proteste in Hongkong / © Kim Hong-Ji (Reuters)
Proteste in Hongkong / © Kim Hong-Ji ( Reuters )

Interviews geben? Das macht in Hongkong zurzeit keiner gerne. "Sie können mich natürlich anrufen, aber bitte nennen Sie nicht meinen Namen." Was vor ein paar Wochen noch niemand für möglich gehalten hätte, dass Menschen sich nicht mehr äußern wollen aus Angst vor negativen Auswirkungen, ist in Hongkong, der eigentlich freien Millionenmetropole am Perlflussdelta, plötzlich Realität.

Handstreichartig hatte Chinas Regierung vergangene Woche angekündigt, Sicherheitsgesetze für Hongkong zu erlassen. Grund seien die monatelangen Proteste im vergangenen Jahr, die Chinas Sicherheit ernsthaft gefährdet hätten. Außerdem, so argumentiert Peking weiter, sei Hongkong laut Artikel 23 der eigenen Verfassung selbst verpflichtet, solche Gesetze zu erlassen. Wegen Widerständen in der Bevölkerung kam der berüchtigte Artikel aber nie zur Anwendung. Nun sollten die Gesetze umgehend in Kraft treten, stellte Chinas Außenminister Wang Yi klar.

Tausende protestierten

Das Entsetzen in der Sieben-Millionen-Einwohner-Metropole ist groß; am Wochenende protestierten Tausende gegen Pekings Pläne. Bis 1997 war Hongkong britische Kolonie, dann wurde die Stadt an China zurückgegeben, allerdings mit der Vorgabe, dass sie ihren autonomen Status mit Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit für weitere 50 Jahre, also bis 2047, beibehalten kann. "Ein Land, zwei Systeme" lautet das Prinzip.

Bis zum vergangenen Donnerstagabend. Da sickerten erste Gerüchte durch, Peking wolle Sicherheitsgesetze erlassen - und zwar an Hongkongs Parlament vorbei: Denn verabschiedet werden sollen die Regelungen vom chinesischen Volkskongress, dem riesigen Scheinparlament, das gerade in Peking seine jährliche pompöse Tagung abhält.

"Das wäre ein Dammbruch"

"Das ist eine Zäsur. Wenn demnächst chinesische Staatssicherheitsorgane in der Stadt offen agieren können, wäre das der Dammbruch", sagt der China-Kenner, der in diesen unübersichtlichen Tagen lieber anonym bleiben möchte. Angeblich geht es darum, "Subversions- und Terrorakte" zu verhindern.

Tatsächlich will das kommunistische Regime Hongkongs Kritiker mundtot machen. "Das sind Gummiparagrafen, wie man sie von Festland-China kennt, in denen von Gefährdung und Unterwanderung die Rede ist, worunter sich letztlich alles fassen lässt."

Schwerer Schlag für Menschenrechte

Politische Stiftungen könnten künftig keine Zulassung mehr bekommen, regimekritische Gesprächspartner für Journalisten und Diplomaten werden wohl vorsichtiger werden. "Die Sicherheitsgesetze bedeuten den schwersten Schlag für die Rechte der Menschen in Hongkong seit Übergabe des Territoriums an China", kritisiert die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

Auch Amnesty International warnt, das Gesetz sei gefährlich: "China missbraucht routinemäßig seinen eigenen Sicherheitsrahmen als Vorwand, um Menschenrechtsaktivisten ins Visier zu nehmen."

Journalisten fürchten Zensur

Dasselbe solle nun auch in Hongkong geschehen. Journalisten fürchten, demnächst von China zensiert zu werden. "Wenn das Gesetz erlassen wird, wird dies die Presse erheblich beeinträchtigen", meint Bruce Lui, der Journalismus an der Hongkonger Baptisten-Universität lehrt.

Medienschaffende würden die rote Linie leicht überschreiten, wenn sie etwa über Unabhängigkeitsbefürworter berichten oder Fotos von Protesten machen.

"Das scheint das Endspiel zu sein"

Das grundsätzlich demonstrationsfreudige Hongkong war Peking zunehmend ein Dorn im Auge. Eskaliert ist die Situation dann 2019, als monatelang Hunderttausende Menschen auf die Straße gingen, um gegen ein Gesetz, das eine Auslieferung Hongkonger Verdächtiger an China ermöglicht hätte, zu protestieren. Hongkongs Regierung zog das umstrittene Vorhaben am Ende zurück, doch die Menschen begehrten weiter auf, um mehr Demokratie einzufordern.

Offensichtlich war das zu viel für Peking, zumal jetzt im September auch noch Wahlen zum Stadtparlament anstehen und sich die politische Opposition, die stark an Sympathie gewonnen hat, Hoffnung auf mehr Sitze machen kann.

Mit Verweis auf die Sicherheitsgesetze könnte die radikalere Opposition von der Wahl nun ausgeschlossen werden. "Das scheint jetzt wirklich das Endspiel zu sein", sagt der Informant.


Graffiti: Free Hongkong / © Jae C. Hong / AP (dpa)
Graffiti: Free Hongkong / © Jae C. Hong / AP ( dpa )
Quelle:
KNA