Thea Dorn über Sterben, Trauer, Tod und Trost

Wo gibt es in einer vom Glauben verlassenen Gesellschaft Trost?

Die Corona-Pandemie hat unsere Gesellschaft erschüttert. Die Macht des Todes fährt uns gehörig in die Knochen. Aber: "Was bringt es, sein Leben aus Angst vor dem Tod zu verzittern?" Das fragt Thea Dorn in ihrem Buch "Trost. Briefe an Max".

Thea Dorn / © Peter Rigaud (Penguin Verlag)

"Wenn der Glauben wegbricht, dass das Sterben der Übergang in eine andere Welt ist, in ein anderes Leben, dann ist es viel schwerer Rituale und Trost für diesen Übergang ins Nichts zu finden." Thea Dorn sucht nach Trost und fragt, was uns heute in einer vom Glauben verlassenen Welt noch trösten kann. In ihrem Buch ‚Trost‘ geht sie auf Spurensuche nach dem Sinn des Lebens und des Sterbens.

Im DOMRADIO.DE Interview entspinnt sich ein spannender Dialog zwischen mir, dem gläubigen Katholiken, und der bekennenden Agnostikerin. "Vielleicht halte ich Luthers Ringen mit dem Zweifel auch für ein zu großes Erfolgsprojekt und dachte jetzt, dass der Katholik den Zweifel los sei", sagt sie.

Was tröstet uns?

Trost empfinde sie persönlich in Momenten, wenn sie sich gehalten fühle oder pathetischer gesagt, wenn sie sich von etwas umarmt fühle. "Dieses Gefühl gibt es manchmal in der Musik. Wenn ich bestimmte Musik höre, denke ich, ja, da ist irgendetwas, wo meine Trauer nicht alleine ist."

Thea Dorn nennt es ein Gefühl des Gehalten-seins. "Aber beginnt da nicht der Glaube?", frage ich, "wenn ich erlebe und dann auch glaube, dass es etwas gibt, was größer ist als wir selbst und was uns trägt und nicht alleine sein läßt". - "Das Gefühl der Verzweiflung wirft einen sehr auf sich selbst zurück", stimmt Thea Dorn mir zu. Die Verzweiflung werde man nur los, wenn man ein Stück von sich selbst zurücktrete, wenn man aufhöre permanent ‚Ich! Ich! Ich!‘ und meine Verzweiflung zu denken, sondern sage, "da draußen ist eine Welt, und ich bin ein Teil davon, diese Erkenntnis, ein Teil von etwas viel Größerem zu sein und dieses viel Größere hält dich".

Die unsterbliche Seele als Jackpot des Trostes

Natürlich, das weiß Thea Dorn, lasse sich diese Art der Geborgenheit nicht auf Kommando abrufen, sei nicht auf einen Klick bei Amazon-Prime bestellbar, sondern auch immer eine Frage der Tagesform und habe etwas von einem Schmetterlingsflügel, der einen streifen kann – an einem glücklichen Tag. "Vielleicht stelle ich mir das auch zu naiv vor, dass der gläubige Mensch immer felsenfest in seinem Glauben steht," sagt sie, "vielleicht sind wir da gar nicht so unterschiedlich".

Bleibt aber die Frage nach dem Jenseits, nach der unsterblichen Seele, der "Jackpot des Trostes", wie Thea Dorn das nennt. Interessant dabei ist, dass sich die Einstellung zu Tod und Sterben in den vergangenen Jahrhunderten massiv geändert hat. Im Mittelalter galt der plötzliche unvorbereitete Tod, das bedeutete, ohne das Sterbesakrament aus dem Diesseits gerissen zu werden für einen Christenmenschen als Horrorvorstellung. Heute ist es genau umgekehrt. Die meisten Menschen wünschen sich einen plötzlichen Tod. Im Schlaf zu sterben, ist eine weit verbreitete Idealvorstellung. Die Angst vor dem Sterbeprozess führt dabei zu einer Verdrängung und Auslagerung von Sterben und Tod, eben weil sich die Menschen keinen Reim mehr auf ein mögliches Jenseits machen können.

Ist ein Jenseits denkbar?

Dann erzählt Thea Dorn vom Sterben ihrer Mutter, dass sie dabei gewesen sei, und wie wichtig es für sie gewesen sei, ganz nah bei der Mutter gewesen zu sein. "Nachdem meine Mutter dann tatsächlich tot war, dachte ich, sie ist ja nicht ganz weg, irgendetwas ist noch da. Das ist ein flüchtiges Gefühl. Das verblasste auch". In den Wochen nach dem Tod der Mutter habe sie dem Satz, ‚irgendetwas von ihr ist weiterhin hier‘, noch einen Sinn abgewinnen können. "Vielleicht eher in dem nüchternen Sinn, natürlich ist etwas von ihr noch da, weil ich von ihr geprägt bin, weil es die Erinnerung gibt". Das sei aber eine andere Haltung, als wenn ein gläubiger Christ sage, dass es einen ausgelagerten Ort gebe, wo die Seligen seien, eben ein Paradies, wo die Seelen aufgehoben seien.

Vielleicht hat das eine aber auch mit dem anderen zu tun, vielleicht hebt sich unser Raum und Zeitgefühl auf, wenn wir spüren, die verstorbenen Angehörigen sind noch bei uns? Wo und wie auch immer? Wo beginnt also das Paradies – vielleicht mit einer Vorahnung?

Das Leben ist lebensgefährlich

Auch darüber könnte man sich mit Thea Dorn noch lange unterhalten, das Gespräch fortsetzen. Große Fragen, drängende Themen - in dieser seltsamen trostlosen Zeit, die in einem eigenwilligen Kontrast zur äußeren Lebenswelt steht. Denn mehr Komfort oder auch Paradies auf Erden kann es für uns doch gar nicht geben, als die Verhältnisse, in denen ein Wohlstandsbürger in Deutschland lebt – im Vergleich z.B. zur Situation in einem Flüchtlingslager?

"Und trotzdem habe ich den Eindruck, dass die Verzweiflung eher auf dem Vormarsch ist als das Gefühl der Hoffnung und des Trostes", vermutet Thea Dorn. Sicher hat die Corona-Pandemie damit etwas zu tun. Aus Angst vor dem Tod, der uns auf einmal wieder bewußt wird, verzittern wir unser Leben, das immer lebensgefährlich bleibt. Alles andere sei eine Selbsttäuschung. "Die große Lebenskunst liegt darin, um die Gefährdung des Lebens zu wissen und trotzdem nicht zu verzagen", sagt die Autorin.


Quelle:
DR