Reisetipps zum Start der Tour de France

Welterbe links und rechts des Weges

An diesem Samstag startet die 106. Tour de France. Abseits von Wettstreit und Dopingaffären ist das berühmteste Radrennen der Welt auch eine Art Visitenkarte unseres Nachbarlandes. Eine Einladung zur Erkundung.

Amateurradfahrer bei der 19. Etappe der Tour de France in Lourdes / © Pierre Vincent (KNA)
Amateurradfahrer bei der 19. Etappe der Tour de France in Lourdes / © Pierre Vincent ( KNA )

Man kann sich dem "Mythos" Tour de France über Zahlen nähern: 3.460 Kilometer in rund drei Wochen haben die 176 Fahrer dieses Jahr in 21 Etappen zu bewältigen, darunter 30 Pässe oder Steilfahrten der höchsten Kategorien. Die längste Tagesetappe dauert 230 Kilometer. Tausende Polizisten und Feuerwehrleute sind im Einsatz, bis zu zwölf Millionen Zuschauer stehen an der Strecke; in 190 Länder wird das Sport-Event übertragen.

Man kann die berühmteste Rundfahrt der Welt, ausgetragen seit 1903, aber auch ganz anders wahrnehmen: als Einladung, kleine und große Sehenswürdigkeiten des Landes kennenzulernen; als Streifzug durch Geschichte und Kultur - kurzum: als eine Visitenkarte der "Grande Nation".

Touristische Leckerbissen am Wegesrand

Die Kultur beginnt schon beim "Grand Depart" im Nachbarland Belgien. Brüssel, EU-Hauptstadt und Welthauptstadt der Comics, oft als "hässliche kleine Schwester von Paris" verlacht, hat tatsächlich touristisch eine Menge zu bieten: die Grand' Place, Pommes und Bier - um nur die ganz offensichtlichen zu nennen.

In den belgischen Anfangstagen liegen zahlreiche Leckerbissen am Wegesrand: Waterloo etwa, der Ort von Napoleons größter Niederlage; das Schiffshebewerk von Ronquieres im Hennegau, das mit einem gigantischen Wassertrog auf einer schiefen Ebene 14 kleine Kanalschleusen ersetzt hat; das jüngst neu gestaltete Afrikamuseum in Tervuren, das die größte Afrika-Sammlung der Welt beherbergt. Vorbei geht es auch an Binche, einer Hochburg des Karnevals, wo die Schaulustigen beim Umzug traditionell mit Apfelsinen beworfen werden.

Danach überquert der Tross die französische Grenze. Ein Hochamt der Tour wird die Champagner-Hauptstadt Reims mit ihrer gotischen Kathedrale, Krönungsort der französischen Könige. Das lothringische Nancy ist nicht nur eine der Metropolen des europäischen Jugendstils, sondern bietet mit der klassizistischen Place Stanislas ein weiteres brillantes Stück Weltkulturerbe.

Kathedralen und Klöster im Burgund

Weiter geht es für die Radler durch das Elsass. Das Kloster Hohenburg auf dem Odilienberg, das 2020 den 1.300. Todestag der elsässischen Schutzheiligen Odilia feiert; Selestat (Schlettstadt) mit seiner Humanistischen Bibliothek, Colmar mit dem Isenheimer Altar: An alledem wird das Peleton eher achtlos vorbeirasen. Am Wegesrand in der Freigrafschaft Burgund (Franche-Comte) liegt das Städtchen Ornans, das ebenfalls in Feierstimmung ist: Der Realistenmaler Gustave Courbet, damals als Skandalnudel beargwöhnt, wurde hier 1819, vor 200 Jahren, geboren.

Mit Burgund kommt die Tour im Herzen Frankreichs an. Ein "Wunder von Macon"  ist in der Kleinstadt an der Saone aber nicht vorgesehen. Nach der Durchquerung des Zentralmassivs warten in Okzitanien noch mal viele kulturelle Leckerbissen: Albi etwa mit seiner festungsartigen Kathedrale war im Mittelalter Hochburg der Katharer (auch "Albigenser" genannt); religiöse Schwärmer, die von der Kirche als Ketzer verfolgt und vernichtet wurden.

Oder Toulouse an der Garonne, wegen ihres roten Sandsteins auch die "ville rose" genannt. Die schöne Hauptstadt des Midi lädt eigentlich eher zum Pausemachen und Flanieren ein, nicht zum Radrennen in der Sommerhitze.

Vorbei an einem großen Wallfahrtsziel

Römisch wird es in der letzten Tour-Woche in Nimes, in der Antike ein wichtiger Außenposten des Reiches. Davon zeugen nicht nur das gut erhaltene Amphitheater und der nahe gelegene Aquädukt Pont du Gard. Danach geht es für die Fahrer hinauf in die Seealpen. Embrun, grenznah und abgeschieden, war im Mittelalter Ziel einer großen Wallfahrt. Frankreichs Könige erhielten dort als Dank für gewährte Rechte die Chorherrenwürde.

Die Verfassung von 1958 sieht vor, dass der Präsident der Republik die Rechte und Privilegien seiner Vorgänger genießt. Und so wäre auch Emmanuel Macron Proto-Kanonikus in den Hochalpen - allerdings wird diese Würde nur wirksam, wenn der Amtsinhaber persönlich in Embrun vorstellig wird; und das tat seit Charles de Gaulle keiner seiner Nachfolger mehr.

Macron wird eher in Paris auf die Fahrer warten - denn dahin führen bekanntlich alle Wege der Tour. Die Rundfahrt endet auf den Champs-Elysees. Dort gibt es für den Sieger Lorbeer, Küsschen und Schampus - und natürlich das obligatorische Gelbe Trikot, das erstmals vor 100 Jahren bei der Tour vergeben wurde.

Von Alexander Brüggemann

 

Quelle:
KNA