Der brasilianische Erfolgsautor Coelho wird 70

Irre oder irre gut?

Er stammt aus katholischem Elternhaus, wird weltweit von einer Millionenschar von Lesern geliebt und von der Kritik abgewatscht  - das brasilianische Literatur-Phänomen Paulo Coelho feiert an diesem Donnerstag seinen 70. Geburtstag.

Autor/in:
Thomas Milz
Paulo Coelho / © epa efe Lavandeira jr (dpa)
Paulo Coelho / © epa efe Lavandeira jr ( dpa )

Jeden Morgen legt er den Bogen an, zielt auf die Scheibe am anderen Ende seiner Genfer Penthouse-Terrasse und lässt den Pfeil fliegen. Mehr Meditation als Morgengymnastik sei das für ihn, denn "wenn Du den Bogen spannst, eröffnet sich Dir das ganze Universum". Mit solch mystisch angehauchten Sätzen trifft er bei seinen Lesern genauso ins Schwarze wie mit dem morgendlichen Pfeil. Paulo Coelho ist heute der weltweit am meisten übersetzte Autor.

Guru, Magier, Lichtgestalt, globaler Sinnsucher - seine Fans heben ihn gerne in höchste Sphären. Seine Kritiker verreißen ihn dagegen als Schundautor oder Esoterikschwafler, mokieren sich über Kalendersprüche wie "Das Leben kann - je nachdem, wie wir es leben - kurz oder lang sein". Sein weltweiter Erfolg, 210 Millionen verkaufte Bücher in 170 Ländern, ist für seine Kritiker wohl eine persönliche Beleidigung.

Aufgewachsen in streng katholischer Familie

Er selbst weist sämtliche Klischees von sich, auch schreibe er nicht, um gelesen zu werden. "Ich habe stets nur versucht, mein eigenes Leben zu verstehen." Keine leichte Aufgabe. Geboren in eine streng katholische Familie in Rio de Janeiro, die ihn in eine Jesuitenschule steckte, rebellierte Coelho von Kindheit an. Statt Ingenieur wie der Vater wollte er lieber Schriftsteller wie sein Idol Ernest Hemingway werden. Doch damit stieß er daheim auf Unverständnis.

Sein Rebellentum versuchten die Eltern mit Psychopharmaka zu brechen, dreimal wiesen sie ihn in eine Anstalt ein. Als Ende der Sechzigerjahre Drogen und Rock 'n' Roll nach Brasilien kamen, flüchtete sich Coelho in die Hippie-Szene. Er arbeitete als Journalist, entwarf Theaterstücke, schrieb erste Bücher über Vampire und beschäftigte sich mit Magiern wie dem Okkultisten Aleister Crowley. Anfang der Siebzigerjahre machte er sich dann als Songtexter einen Namen.

Erfolgreich ist seine Partnerschaft mit dem brasilianischen Rock-Idol Raul Seixas, die in Dutzenden Liedern mündete. Bis heute sind Songs wie "Gita" und "Sociedade Alternativa" Klassiker. Doch der Ruf nach einer "alternativen Gesellschaft" macht ihm nicht nur Freunde. In der damals herrschenden Militärdiktatur (1964-85) war man wenig erfreut über derartige Ideen.

Verhaftung und Misshandlung

Coelho wurde verhaftet und in den Kerkern der Diktatur grausam misshandelt. "Die Folter war das schlimmste Erlebnis meines Lebens", sagte er Jahrzehnte später. Schläge, Elektroschocks, Einzelhaft in stockfinsteren Zellen mit heulenden Sirenen - er habe kurz davor gestanden, sich aufzugeben. Doch letztlich könne niemand seinem eigenen Schicksal entfliehen, sagt Coelho. Er entschloss sich weiterzuleben.

Doch was das genau bedeutete, wusste er damals nicht. Anfang der Achtzigerjahre machte er sich auf die Suche, reiste nach Europa, wo er im Konzentrationslager Dachau eine Vision hatte, die ihn zurück zum katholischen Glauben führte. Danach begab er sich auf den Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Die mystischen Erlebnisse der Reise beschrieb er später in einem Buch mit dem vielsagenden portugiesischen Titel "O diario de um mago" (wörtlich "Das Tagebuch eines Magiers", dt. Auf dem Jakobsweg).

Bestseller "Der Alchemist"

Der internationale Durchbruch gelang ihm Anfang der Neunzigerjahre mit dem in wenigen Tagen niedergeschriebenen "Alchimisten". Mit über 80 Millionen verkauften Exemplaren ist es bis heute eines der erfolgreichsten Bücher überhaupt. Es folgten weitere Welt-Bestseller wie "Der fünfte Berg", "Veronika beschließt zu sterben" oder "Der Zahir". Coelho ist ein Segen für seine Verlage, die es ihm 1999 sogar durchgehen ließen, dass er seine Werke einfach zum Herunterladen online stellte.

Überhaupt weiß er das Internet zu nutzen wie kaum ein anderer Autor. Fast 30 Millionen Menschen folgen ihm auf Facebook, wo der selbsterklärte "Online-Junkie" gerne Live-Chats aus seinem Genfer Domizil überträgt. Seit 2007 lebt er in der Schweiz. In Brasilien rümpft man deswegen gerne die Nase. Coelho sei überhaupt kein richtiger Brasilianer, schreibe lieber über ferne Länder wie Kasachstan oder die Wüsten Nordafrikas statt über seine Heimat.

Mittlerweile hat Coelho 28 Bücher veröffentlicht. Wie viele noch folgen, ist ungewiss. Vor sechs Jahren erkrankte er am Herzen, hatte eigentlich nur noch einen Monat zu leben. "Wenn ich heute sterben würde, wäre das okay", sagte er zu Beginn dieses Jahres im brasilianischen Fernsehen. "Ich bin mit dem Leben in Frieden, denn ich bin keinem Kampf aus dem Weg gegangen. Den Glauben habe ich mir dabei stets bewahrt."


Quelle:
KNA