Dramatiker Tankred Dorst gestorben

Lebensbeobachter - und nicht Welterklärer

Er gehört zu den meistgespielten deutschen Gegenwartsautoren. Zusammen mit seiner Frau Ursula Ehler hat er über dreißig Theaterstücke geschrieben. Jetzt ist Trankred Dorst im Alter von 91 Jahren in Berlin gestorben.

Autor/in:
Christoph Strack und Christoph Arens
Dorst starb im Alter von 91 Jahren / © Marcel Kusch (dpa)
Dorst starb im Alter von 91 Jahren / © Marcel Kusch ( dpa )

Er ließ sich schwer in Kategorien einordnen. Er schrieb Märchenstücke und Parabeln, reagierte aber auch auf aktuelle politische Entwicklungen wie den Krieg in Bosnien. Tankred Dorst ist einer der meistgespielten Autoren des deutschen Gegenwartstheaters. 2006 gab der bereits 80-Jährige mit einer Neuinszenierung von Wagners "Ring" in Bayreuth auch sein Debüt als Opernregisseur. Am Donnerstag ist der gebürtige Thüringer im Alter von 91 Jahren gestorben, wie der Suhrkamp-Verlag in Berlin mitteilte.

Sein Werk ist anspruchsvoll und widerborstig. Einige Arbeiten, nicht nur das Mythenspiel "Merlin oder das wüste Land" mit einer Spieldauer von rund 10 Stunden, gelten als schwer spielbar. Zu seinen bekanntesten Werken zählen neben Merlin - der in die Moderne übersetzten Geschichte vom Zerbrechen der Artus-Tafelrunde, von Parzival und der Suche nach dem Gral - das Revolutionsdrama "Toller" (1968 uraufgeführt), die Trilogie "Auf dem Chimborazo"/"Die Villa"/"Heinrich oder Die Schmerzen der Fantasie" (1975-1985) sowie die Stücke "Karlos" (1990) und "Herr Paul" (1994). Letzteres erzählt - passend zur Wendezeit - die Geschichte eines Mannes, der seinen Besitz in der Zeitenwende nicht an Spekulanten verkaufen will, der dem beginnenden Turbokapitalismus als Tagträumer widersteht.

Fragen statt Belehrungen

Dorst stellte letztlich Grundfragen des Individuums, sprach von Zweifel und Suche. Aber er sah sich nicht in der Rolle und der Lage, "dem Publikum zu sagen, wo es lang geht". Er könne es selbst nicht leiden, wenn Theater belehrend wirke, sagte er. Er sei auch kein Prophet. Dorst wandelte ein Wort Anton Tschechows ab: "Theater - das sind nicht die Ärzte, das ist der Schmerz."

Brüche im Lebenslauf

Dorst war ein "Lebensbeobachter", kein Welterklärer. Sein Lebenslauf steht für Lebensbrüche. Als Siebzehnjähriger wurde er zum Arbeitsdienst, 1944 zur Wehrmacht eingezogen, früh geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Das Zusammenleben im Lager, die Arbeit in Fabriken und auf Farmen bezeichnete der Dramatiker als seine "eigentliche Lehrzeit". Erste Erfahrungen mit dem Theater machte der Sohn eines nach 1945 enteigneten Fabrikbesitzers in einem Münchener studentischen Marionettentheater.

Er ist letztlich Puppenspieler geblieben, der mit bereits vorhandenen Figuren aus Literatur, Theater und Geschichte spielte. Wie in "Ich, Feuerbach" von 1986: Es handelt vom Warten eines Schauspielers auf seine nächste, vielleicht seine letzte Chance. Er selbst bezeichnet das Stück als "Kampf um Anwesenheit".

"Die kleinste Gruppe"

Dorst war nach eigenem Bekunden mit Max Frisch gut befreundet. Der 2009 verstorbene Regisseur Peter Zadek war ihm "ein lebenslanger Freund". Aber vor allem nannte er immer wieder seine Frau Ursula Ehler-Dorst. Mit ihr bezeichnete er sich als "die kleinste Gruppe", in der er tätig war. Diese "Gruppe" gehört - mit mehr als 40 Dramen, daneben auch zahlreiche Bühnenadaptionen, Filmskripten, Fernsehspielen und Erzählungen - zu den bekanntesten und produktivsten Theaterautoren Deutschlands.

Dorst war zurückhaltend, wenn er von seinem Bezug zu Religion sprach. Gewiss, er sagte Sätze wie "Ohne Metaphysik bleiben doch nur die Gegenstände, die um einen herumstehen". Die Menschen suchten immer etwas Verbindliches. Aber der bis 2013 in München und zum Schluss in Berlin lebende Dramatiker und Theaterautor hielt sich mit einer expliziten Bestimmung seiner eigenen Religiosität zurück.

Wertschätzung der katholischen Kirche

Bemerkenswert war, wie sehr der Protestant Dorst gerade von Seiten der katholischen Kirche wertgeschätzt wurde. Sowohl der ehemalige Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch als auch der Kölner Kardinal Joachim Meisner würdigten zu verschiedenen Gelegenheiten sein Werk.

Im Jahr 2008 erhielt Tankred Dorst mit seiner Frau den Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken. Da nannte Zollitsch als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz die beiden «herausragende Dramatiker unserer Zeit». Und bereits 1991 erklärte Meisner, Dorst bezeuge in seinem Werk, dass die Welt nicht so gottlos sei, wie sie oft dargestellt werde.


Quelle:
KNA