Ein Kommentar zur Hamburger Elbphilharmonie

Ein trauriges Wahrzeichen?

Mit der neuen Elbphilharmonie hat Hamburg ein neues Wahrzeichen: Hat nun der gute, alte Michel ausgediehnt? Laufen Kunst, Kultur und Kommerz dem Sakralen den Rang ab? domradio.de-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen befürchtet, ja.

Die Perspektive macht´s: Philharmonie und Michel / © Daniel Reinhardt (dpa)
Die Perspektive macht´s: Philharmonie und Michel / © Daniel Reinhardt ( dpa )

Die Freie Hansestadt Hamburg hat ein neues Wahrzeichen: Die neue Elbphilharmonie mitten im Hamburger Hafen, dem Tor zur Welt, strahlt schon jetzt weit über die Grenzen der Elbe hinaus. Kunst und Kultur hat man ein beeindruckendes Denkmal gesetzt. Der Hamburger Michel hat ausgedient, trotz seiner 132 Höhenmeter. Im Zeitalter von Google-Maps und digitaler nautischer Navigationsgeräte wird der markante Orientierungspunkt für die Seefahrer schon lange nicht mehr gebraucht. Doch die Philharmonie hat den uralten Michel auch fototechnisch abblitzen lassen. Selbst wenn der 110 Meter hohe Prachtbau im Elbebrackwasser nicht ganz so hoch ist, gilt er längst als das neue, alles überragende Wahrzeichen der Hansestadt. Wer kennt noch den guten alten Erzengel Michael, dem die nun ausgediente Kirche mit ihrem "Michel" geweiht ist?

Im Zeitalter der christlichen Seefahrt wussten nicht nur die erfahrenen Kutterkapitäne, dass die Orientierung am Himmel hilfreich war. Vor langen Seereisen und teuren Expeditionen holte man sich den Pastor und bat sicherheitshalber auch noch um den himmlischen Beistand. Das neue 800-Millionengebäude kommt nun ohne die Kirche und den Segen Gottes aus. Selbst wenn die evangelische Bischöfin und der katholische Erzbischof noch für ein wenig Farbe im eleganten Premierenpublikum sorgten. Und auch wenn der wortgewandte Weihbischof em. Jaschke elegant anführt, die Menschen würden Hamburgs neue Vorzeigestube schon segnen - wir halten einfach mal ganz nüchtern die Fakten fest: Der Kirchturm hat ausgedient - die kirchliche Architektur wirkt altbacken wie ihre Backsteine - moralisch-ethische Orientierungen und ihre Protagonisten verkommen zur Folklore und ein himmlischer Segen wird im digitalen alles-berechnenden Zeitalter längst nicht mehr für nötig erachtet.

Klingt nach Kulturpessimismus? Um Gottes Willen! Kunst und Kultur haben endlich einen angemessenen Bau bekommen. Die Fehlplanungen und Kostenexplosionen sind spätestens bei der strahlenden Lasershow zum Hustenkonzert bei der Premiere irgendwo in den dunklen Tiefen der Elbe verschwunden. Doch Kunst und Kultur befinden sich heute leider fast immer im Schlepptau des Kommerzes. Der Konsum aber gibt hoch im Norden offenbar den richtigen Takt vor: Alle derzeit angebotenen Konzerte sind restlos ausverkauft. Zudem gibt es eine unübersehbare Anzahl von Buchungsanfragen aus aller Welt. Praktisch auch, dass das Luxushotel mit Panorama-Suite im gleichen Gebäude untergrbracht wurde. Von der neuen Philharmonie profitiert schon jetzt der ganze hohe Norden rund um die Hansestadt. Auch wenn der Hamburger Erzbischof das Wort "Wahrzeichen" noch nicht in den Mund nehmen will und nur von einem "Markenzeichen" spricht: Die Kinder dieser Welt haben sich in Hamburg ein passendes neues "Wahrzeichen" gegeben - es sagt die Wahrheit: Erst kommt der Kommerz  im Kleid von Kunst und Kultur. Dann kommt lange Zeit nichts, bestenfalls noch das andere Kommerzkind Fußball. Und dann? Dann ist im guten alten christlichen Abendland kaum noch ein rettendes Ufer zu sehen. Für viele Kinder dieser Welt ist das nicht einmal eine traurige Wahrheit.

Die Kölner haben noch ihr Weltkulturerbe, den Hohen Dom. Und da hier am Rhein eine oftmals völlig überforderte Klüngel-Stadtpolitik agiert und selbst U-Bahnstrecken nie das Ende des Tunnels erreichen, wird es hier kaum gelingen, ein neues Wahrzeichen auf die Beine zu stellen. Das ist ja wenigstens eine frohe Botschaft.

Ingo Brüggenjürgen
Chefredakteur


Ingo Brüggenjürgen / © Ide Lödige (DR)
Ingo Brüggenjürgen / © Ide Lödige ( DR )