Seit 1961 baut Don Justo Gallego an seiner persönlichen Basilika

Aus Dank für Heilung

"Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!" Im selben Jahr, in dem Walter Ulbricht diesen fatalen Satz der DDR sprach, begann ein spanischer Priester, Stein auf Stein zu schichten. Die Basilika wird gemeinsam mit Studenten erbaut. 

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Kirchenschiff der "Kathedrale" von Don Justo  / © Alexander Brüggemann (KNA)
Kirchenschiff der "Kathedrale" von Don Justo / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Die Linienmaschinen donnern laut über die Storchennester in der Calle Arquitecte Gaudi. Der 23.000-Einwohner-Ort Mejorada del Campo liegt 20 Kilometer östlich vom Stadtzentrum Madrids, in der Einflugschneise zum Hauptstadtflughafen Barajas. Es ist nicht ganz klar, ob die Stadtverwaltung die eher schäbige Straße nach dem spanischen Meisterarchitekten und Sonderling Antoni Gaudi (1852-1926) benannt hat, um ihren Bewohner Justo Gallego Martinez zu verspotten - oder um ihn zu ehren. Denn auch Don Justo ist Architekt und Sonderling - und er hat eine noch skurrilere Mission als der Katalane mit seiner "Sagrada Familia" in Barcelona.

Seit ziemlich genau 55 Jahren baut Justo Gallego an seiner persönlichen Basilika. 91 ist darüber geworden Ende September. Und wer den drahtigen Mann mit dem entschlossenen Blick da so schaffen sieht in seinem riesigen Gotteshaus, ist nicht überzeugt, dass er in den kommenden neun Jahren damit aufhören müsste. Und doch: Obwohl inzwischen die Kuppel von 38 Meter Höhe errichtet ist, die Mauern des Kreuzgangs geschlossen sind und die zwölf Türme schon das Kirchenschiff überragen, muss Don Justo ahnen, dass er sein Werk nicht mehr selbst wird vollenden können.

 Im Kirchenschiff zwei PKWs und ein Motorrad

Kein einziges Hinweisschild haben die Stadtväter übrig für die größte Attraktion des staubigen Nests, das schon bald von den Hochhäusern und Gewerbegebieten der Hauptstadt verschlungen zu werden droht. Die Website der Kommune präsentiert lieber das Freibad, die rostige Eisenbahnbrücke und das biedere 80er-Jahre-Einkaufszentrum als Attraktionen. Aber schließlich ist sie ja auch so ganz unübersehbar, die ebenso denk- wie merkwürdige "Kathedrale von Don Justo". Die Menschen von Mejorada halten ihren Mitbürger für einen alten Spinner - oder sie helfen ihm. Oder beides. Heute stehen im Kirchenschiff zwei PKWs und ein Motorrad.

Es ist wahr: Der Baumeister spricht nicht gern. "Werfen Sie etwas in die Box", schnauzt er Besucher an, wenn sie auf ihn zusteuern und ihn bei seiner Arbeit unterbrechen könnten. Reden - die Leute wollten immer reden. Dabei sage er, was er zu sagen habe, mit dem, was er entwerfe, male, baue, so wiederholt Don Justo schon seit Jahrzehnten.

Dazu gibt es noch: eine Infotafel am Eingangstor der Kirche und eine spanische DVD zum Mitnehmen neben der Spendenbox. Darauf spricht er, eine Viertelstunde lang, wie ein Wasserfall; plus einem 25-minütigen Rundgang durch das fertiggestellte Gotteshaus, wie es einmal aussehen soll.

Nach Heilung Start des Kirchenbaus 

Immer wieder hat das Paulus-Wort "Wir sind Narren um Christi willen" aus dem Ersten Korintherbrief Menschen zu einem Leben geführt, das sich gesellschaftlichen Konventionen radikal verschließt. Justo Gallego Martinez ist mit großer Sicherheit einer von ihnen. Am 20. September 1925 als Bauernsohn in Mejorada del Campo geboren, wollte der junge Mann schon früh Mönch werden. Er trat auch tatsächlich bei den Trappisten in Santa Maria de Huerta ein und legte die zeitlichen Gelübde ab. Doch dann kam die Tuberkulose - und dann das Gelübde seines Lebens.

Vor dem geistigen Angesicht des Gnadenbilds von Saragossa, der Virgen del Pilar (Maria auf dem Pfeiler), versprach er der Gottesmutter, er werde ihr zu Ehren eine Kirche errichten, sollte er geheilt werden. Und tatsächlich: Statt nach seiner Genesung einen weiteren Anlauf für das Klosterleben zu nehmen, ging Don Justo nach Hause und fing Mitte Oktober 1961, wenige Tage nach dem Festtag der Jungfrau, mit heiligem Ernst zu bauen an. Ohne Baupläne und Ausbildung, frei Schnauze, auf einem Grundstück seines Vaters. 36 war er da - und er hat seitdem nie mehr aufgehört. "Der Weg macht sich durch Gehen." Das ist so einer seiner sturen Sätze. Von Morgens sechs bis abends sechs ist er in seiner Kathedrale, außer sonntags natürlich. Wobei: Der Begriff "Kathedrale" ist ein wenig schräg für das, was Justo Gallego vorschwebt. Denn ein Bischofssitz ("cathedra") wird seine bizarre Basilika wohl niemals werden. Und der Begriff "Kathedrale aus Müll", die sich in vielen Medienberichten verstetigt hat, ist zudem noch ziemlich unnett.

Wahr ist: Seit Justo sein Erbe verbaut hat, ist er allein auf Spenden angewiesen. Die Steine erhält er als Ausschussware aus einer nahen Ziegelei; aufgefüllte Regenrinnen werden zu Treppenstufen, Ölfässer und Plastikkanister zur Gussform für Säulen oder Randsteine aus Beton. Selbst Bandenwerbungen aus dem Bernabeu-Stadion von Real Madrid kann er als Unterlage oder Stützmaterial immer gebrauchen.

Irrsinn und Inspiration

Ein Gang durch die zwei Stockwerke der 50 Meter langen Kirche und durch die monumentalen Anbauten von Taufkapelle, Sakristei und Kreuzgang offenbart den ganzen Irrsinn, den dieser "Narr Gottes" auf sich genommen hat. Alle Bauteile, alle Fenster (die tatsächlich aus Coulouraplast, also farbigem Schmelzgranulat gelegte Mosaikbilder sind), alle fantasievollen Konstruktionen stammen unmittelbar aus dem Kopf und den Händen von Don Justo. Dort - und nur dort - sind die Pläne gespeichert.

Er selbst nennt den Petersdom in Rom als seine Inspiration, das Ziel der ersten und einzigen Auslandsreise seines Lebens. Überall trifft man auf volle oder zerrissene Zementsäcke, mal auf einen Schreibtisch mit Schablonen und Papstfotos als Vorlagen für einen neuen Wandschmuck. Überall krabbelt es von Kitsch und Kreativität.

Hilfe von Studenten und Mitbürgern 

Völlig allein ist Don Justo mit alledem am Ende nicht. Immer mal wieder kommen Helfer auf Zeit: Studenten in den Semesterferien, Schüler, Mitbürger aus dem Ort legen Hand an; Begeisterte aus dem In- und Ausland werben Spenden ein. Selbst das New Yorker Museum of Modern Art widmete ihm bereits eine Ausstellung. Sein wichtigster Helfer, seine rechte Hand, ist aber Angel Lopez, dem die "Kathedrale von Don Justo" seit nun auch schon einem Vierteljahrhundert am Herzen liegt. Früher hat Justos ältere Schwester den Bruder mit Mahlzeiten versorgt. Diesen Part hat Angel Lopez übernommen.

Auf ihm ruhen Justos Hoffnungen, was die Vollendung seines Lebenswerks angeht. Und wohl auch in einer Sache, die vielleicht niemals so richtig thematisiert worden ist: Wie werden sich die Baubehörden verhalten, wenn der "Narr Gottes" einmal nicht mehr da ist? Eine reguläre Bauabnahme dürfte nach Jahrzehnten völliger Improvisation nicht möglich sein. Allein das Begehen der Treppenstufen erfordert selbst für Gesunde Behutsamkeit und Geschick.

Grab in der Kirche 

Solch pessimistische Gedanken trüben am Ausgang den Eindruck der Großartigkeit, Zeuge eines Glaubenszeugnisses riesigen Ausmaßes geworden zu sein. Doch während in der brütenden Mittagshitze von Mejorada del Campo wieder ein Airbus über den Storchennestern in den Westtürmen hinwegdröhnt, kommt schon der Trost: Noch haben sie sich ja, der fromme Mönch und seine Kirche - bis dass der Tod sie scheidet. Und dann möchte Don Justo hier begraben werden.


Quelle:
KNA