Kirchenhistoriker taucht in die Tiefen der Kirchengeschichte ein

Ein Tisch der Traditionen

Prof. Hubert Wolf von der Universität Münster hat sich mit den verschiedenen Traditionen des Christentums befasst. Woher man weiß, welche davon echt und welche unecht sind, erklärt er in seinem Buch "Krypta" und im domradio.de-Interview.

Hubert Wolf (KNA)
Hubert Wolf / ( KNA )

domradio.de: Krypta, so lautet Ihr Buchtitel, das ist griechisch für verborgen und bezeichnet auch einen unterirdischen Kirchenraum, in dem meist Gräber sind oder zumindest ein Altar steht - wie tief mussten Sie denn für Ihre Recherchen in die Tiefen der Kirchengeschichte abtauchen?

Hubert Wolf: Das Reservoir ist die gesamte Kirchengeschichte, das sind die gesamten 2000 Jahre. Die Tradition der Kirche schlägt sich ja in sehr unterschiedlichen Traditionen nieder. Und je nach dem bei welchem Thema man nun gräbt, muss man bis ins erste Jahrhundert gehen, manchmal ist man in einer mittelalterlichen Situation, manchmal ist man auch nur im 19 Jahrhundert. Also, ganz unterschiedliche Grabungstiefen.

domradio.de: Warum überhaupt das Thema "Tradition". Was macht das so spannend für Sie?

Wolf: Im Moment geht es ja ganz massiv in der katholischen Kirche um das Thema "Reform". Und Reform meint ja immer zunächst, im allgemeinen Verständnis, es wird irgendetwas Neues erfunden. Wobei ursprünglich heißt Re-form, etwas wird zurück geformt. Und ich glaube, dass innerhalb der Kirche eine Reform nur dann erfolgsversprechend stattfinden kann, wenn sie im Rahmen der von der Tradition der Kirche gedeckten Breite stattfindet. Und deshalb ist es ganz wichtig, dass man den ganzen Tisch der Tradition deckt. Dass man, im Grunde genommen, nicht nur eine oder eine andere Form des katholischen auf dem Tisch hat, sondern das Ganze. Denn katholisch heißt ja, umfassend gemäß des Ganzen. Und ich möchte den ganzen Tisch der Tradition, so weit es möglich, ist decken, damit dann auf dieser Basis über Re-form-barkeit der Kirche diskutiert werden kann.

domradio.de: Was haben Sie denn für Beispiele für verloren gegangene Traditionen, die man jetzt vielleicht reformieren könnte?

Wolf: Ein Beispiel wäre, welche Rolle haben eigentlich Frauen in der Kirche? Ein Beispiel sind die Äbtissinnen, die bischöfliche Funktionen ausgeübt haben. Jetzt muss man natürlich fragen, tun sie das, weil sie eine Weihe haben, sie haben ja eine. Ist diese Weihe so etwas, wie eine kleine Bischofsweihe, oder haben diese Subäbtissinnen eine solche Weihe gar nicht gebraucht, weil man vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil jurisdiktionelle Vollmacht in der Kirche durchaus ausüben konnte ohne das die Weihevollmacht die Voraussetzung gewesen wäre. Das Zweite Vatikanische Konzil hat hier einen ganz anderen Kurs gefahren. Es macht die "potestas ordinis", die Weihevollmacht zur Voraussetzung für die Ausübung der "potestas iurisdictionis". Wenn man sich dieses alternative Modell anschaut, dann können Frauen quasi bischöfliche Funktionen ausüben, also mit Ausnahme der Liturgie. Sie können eigentlich alle hoheitlichen Vollmachten ausüben, die ein Bischof gehabt hat. Andersherum braucht man gar keine Weihe, um solche Vollmachten auszuüben. Wenn man das zur Grundlage macht, sind wir natürlich in einem ganz anderen Spiel was Vollmachten in der Kirche angeht.

domradio.de: Wenn ich Sie richtig verstehe, haben Sie also eine ganze Reihe von Beispielen ausgegraben, wo es sich lohnt, die mal wieder vor Augen zu führen, für diesen aktuellen Reformprozess. Stellt sich natürlich auch ein wenig die Frage, wann ist eigentlich eine Tradition eine Tradition? Ab wann kann man das sagen?

Wolf: Zunächst einmal gehen alle Traditionen, die wir haben, auf das Christusereignis zurück. Und deshalb ist natürlich die historische Entwicklung der Kirche von zentraler Bedeutung. Und es wird jetzt oft so gesagt bzw. so würden es die Kirchen der Reformation sagen, ideal war die Zeit der Urkirche. Das würden wir als Katholiken nie sagen, sondern es geht darum die Wirkungsgeschichte des Christusereignisses in seiner ganzen breite wahr zu nehmen. Und der Kirchenhistoriker maßt sich nicht an zu entscheiden, ob eine Tradition, ein alternatives Modell heute geeignet ist oder nicht. Aber er muss seinen Job machen, indem er das für die Kirche zu Verfügung stellt. Und dann muss darüber diskutiert werden. Das hat also nichts mit Beliebigkeit zu tun.

domradio.de: Aber was lernen wir dann für den aktuellen Prozess daraus. Papst Franziskus gilt als moderner Papst, der auch mal ganz gut ist für flappsige Bemerkungen, wir haben es ja in den letzten Tagen mit seinem Kaninchenzitat bemerkt. Wie kann man denn die Kirche erneuern, reformieren und gleichzeitig die Traditionen achten?

Wolf: Also, der Papst hat ja in seiner Weihnachtsansprache vor der Kurie sehr deutliche Krankheiten der Kurie diagnostiziert. Zum Beispiel eben, dass die rechte Hand oft nicht weiß, was die linke Hand tut. Und wir haben in der Tradition der Kirche zwei Instrumente, die im Grunde den Papst beraten haben, ihn auch kontrolliert haben. Das ist einerseits das Konsistorium, der in Rom anwesenden Kardinäle, das eigentlich täglich getagt hat und der Papst musste die Kardinäle fragen, wie haltet ihr es mit diesem Thema. Und das zweite war zum Beispiel die Kongregation für die außerordentlichen Angelegenheiten. Wenn Sie so wollen, ein über zwei Jahrhunderte praktiziertes päpstliches Kabinett. Das heißt, was ist passiert in den letzten Jahren. Nur der Papst allein und sein Staatssekretär verfügten über das Regierungswissen. Die rechte Hand wusste oft nicht, was die linke tat.

Wenn Sie jetzt diese beiden Modelle, die es ja gibt, das Konsistorium in seiner ursprünglichen Form und die Kongregation für die außerordentlichen Angelegenheiten, wieder einführen, dann würde ein Grundproblem, was der Papst anspricht, auf jeden Fall beseitigt. Nämlich, in der Kurie findet eine Diskussion statt mit allen entscheidenden Kenntnisträgern. Oder, gehen Sie einen Schritt weiter - Subsidiaritätsprinzip. Wir haben es erfunden in der katholischen Soziallehre, dass nämlich die kleine Einheit dort entscheidet, wo das Problem entstanden ist und dass die höheren Einheit nur hilft, wenn notwendig. Warum, das passt jetzt ganz zu dem, was Franziskus sagt: Wenn die Kurie eine Dienstleitungsfunktion hat für die gesamte Kirche, dann haben die Bischofskonferenzen und auch die einzelnen Bischöfe mehr Kompetenz. Und das, glaube ich, ist auch vom Zweiten Vatikanischen Konzil her so gedeckt. Da kann man doch eine, in der katholischen Kirche erfundene Tradition, die Subsidiarität, mal auf die Kirche selber anwenden. Der Papst will dies tun, da braucht er nichts Außerkirchliches erfinden, sondern kann auf den Schatz unserer Tradition zurückgreifen.

Das Interview führte Matthias Friebe.

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