Katholisches Büro Berlin analysiert den Wahlausgang

Schwarz-grüne Neigung bei Christen?

Die Union und die Kirchen waren viele Jahre eng verbunden. Doch Christen wählen längst nicht mehr selbstverständlich schwarz. Auch im kirchlichen Milieu verliert die Union an Stimmen, analysiert der Leiter des Katholischen Büros in Berlin.

Robert Habeck und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock (beide Bündnis 90 / Die Grünen) / © Malte Krudewig (dpa)
Robert Habeck und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock (beide Bündnis 90 / Die Grünen) / © Malte Krudewig ( dpa )

DOMRADIO.DE: Ist die Bundestagswahl so ausgegangen, wie Sie es erwartet haben?

Prälat Karl Jüsten (Leiter des Katholischen Büros in Berlin): Zunächst einmal ist die Bundestagswahl so ausgegangen, wie die meisten Demoskopen es vorhergesagt haben. Es gibt einen Kopf an Kopf-Rennen zwischen SPD und Union. Die Union hat in den letzten Tagen erheblich nachgeholt, das konnte man spüren. Die SPD hat sich beachtlich aus einem ganz großen Tief, in dem sie bis vor kurzem gesteckt hat, herausgearbeitet. Da kann man nur sagen: Chapeau.

Die Grünen sind nicht so stark, wie die meisten sie gesehen hatten. Die FDP und die AfD liegen ungefähr da, wo sie vorher von mir gesehen wurden. Dass die Linke unter fünf Prozent bleibt, damit hatte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet. Aber sie wird natürlich mit einigen wenigen Abgeordneten noch im Deutschen Bundestag sein.

Aber zunächst mal wollen wir allen gratulieren, die in den Deutschen Bundestag gewählt worden sind. Denn das ist ja das, was gestern eigentlich erst mal zur Wahl stand. Und da bin ich zuversichtlich, dass wir mit den neuen Bundestagsabgeordneten auch so konstruktiv zusammenarbeiten werden, wie wir das in der vergangenen Legislaturperiode getan haben.

DOMRADIO.DE: SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat gestern mehrfach davon gesprochen, der Wählerwille besage, die Union sei abgewählt und er solle Kanzler werden. Wenn man schon versucht, den Wählerwillen über einen Kamm zu scheren, ist es doch eine Fortsetzung der Großen Koalition. Die Hälfte der Stimmen ging an Rot und Schwarz...

Jüsten: Wir haben die Große Koalition besser eingeschätzt als die Große Koalition sich selber. Ich finde, sie konnte sich durchaus sehen lassen, sodass ich mir durchaus eine große Koalition vorstellen könnte. Allerdings bin ich damit mit Ihnen möglicherweise in einer absoluten Mindermeinung.

Reiner Haseloff, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, hat ja gestern angedeutet, dass das möglich wäre. Wenn man aber die Debatte gestern gesehen hat, dann sieht es doch eher danach aus, dass entweder rot, grün, gelb eine Option ist oder schwarz, grün, gelb - wobei ich gestern in der Diskussion ehrlich gesagt eher eine Option für schwarz, grün, gelb sah.

DOMRADIO.DE: Was halten Sie von der Idee, dass die Königsmacher Grüne und FDP zuerst ausloten, wer dann zusammen der bessere Seniorpartner sein könnte?

Jüsten: Das zeichnete sich schon vor der Wahl ab. Dass FDP-Chef Lindner und Robert Habeck von den Grünen sich bestens verstehen und dass die beiden nun angedeutet haben, dass sie sich erst darauf verständigen wollen, mit wem sie zusammen regieren wollen, gibt ihnen neue Stärke, auch in den möglichen Koalitionsverhandlungen.

Ich vermute, sie werden da mit denen koalieren, bei denen sie das meiste für sich rausholen. Da muss man dann natürlich mal gucken, wen die SPD überhaupt noch an Personal aufzubieten hat und wen die CDU noch an Personal aufzubieten hat. Denn die beiden Parteien waren ja beide gleichermaßen ausgelaugt in den letzten großen Koalitionen. Das muss man bei allen Erfolgen, die sie hatten, ja auch konstatieren.

Aber ich halte genauso eine SPD-geführte Regierung für möglich, weil Rot und Grün sich eigentlich vom Herzen her mehr "lieben" als die Roten und Schwarzen. Aber am Ende des Tages, glaube ich, entscheiden das die beiden kleinen Parteien, wo sie meinen, für sich am meisten rausholen zu können.

DOMRADIO.DE: Vielleicht lieben auch die Parteien mit dem "C" im Namen mehr die Christinnen und Christen. Die Union hat aber verloren. Können wir davon ausgehen, dass sich die Ergebnisse auf die Kirchen und die Christinnen und Christen in Deutschland direkt auswirken? Welche Bedeutung hat die Wahl für sie, für uns?

Jüsten: Das ist für uns natürlich auch insofern schmerzhaft, dass der Spitzenkandidat der CDU, Armin Laschet, verloren hat , weil er sich ja nun ganz klar in der katholischen Kirche verwurzelt hat. Er ist ein engagiertes Mitglied und war beruflich sogar mal für die Aachener Kirchenzeitung tätig.

Aber man muss natürlich fairerweise sagen, dass die Wähler-Bindung der Katholikinnen und die Katholiken sowie der protestantischen Christen an die CDU nicht mehr so stark ist wie bisher. Oder anders ausgedrückt: Die Kirchenbindung hat extrem abgenommen. Und deshalb hat es natürlich auch die Union schwerer, aus diesem Milieu weiter Stimmen zu bekommen.

Gleichwohl muss man auch sagen, dass die jungen Christen und viele auch im eher linken Spektrum in der katholischen Kirche angesiedelten Christen, sehr stark zu den Grünen neigen, sodass man fast meinen könnte - wenn ich die Stimmung etwa beim Zentralkomitee der Katholiken oder bei Kirchentagen richtig einschätze -, dass bei Christen die Neigung oftmals in einer schwarz-grünen Koalition liegt.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe - Katholisches Büro in Berlin / © Jannis Chavakis (KNA)
Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe - Katholisches Büro in Berlin / © Jannis Chavakis ( KNA )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema