Stuttgarter Stadtdekan beklagt Vertrauensverlust in Politik und Kirche

Fehlt der CDU das Problembewusstsein?

Rekordverluste bei den Landtagswahlen. Hat die CDU das gleiche Problem, wie die Kirchen? Der Stuttgarter Stadtdekan Christian Hermes spricht von Vertrauensverlust.  Zu lange habe es zu viel Selbstverständliches gegeben.

Auszählung der Landtagswahl / © Uwe Anspach (dpa)
Auszählung der Landtagswahl / © Uwe Anspach ( dpa )

DOMRADIO.DE: Grün-schwarz könnte in Baden-Württemberg zwar weiterregieren, aber die Grünen hätten jetzt auch die Möglichkeit, mit SPD und FDP ein Ampelbündnis zu bilden. Was wünschen Sie sich?

Christian Hermes (Stuttgarter Stadtdekan): Ja, ich glaube, dass jetzt zunächst einmal festzustellen ist, dass Winfried Kretschmann hier die Wahl geholt hat, genauso wie Malu Dreyer. Es wurden starke Regierungschefs wiedergewählt und Kretschmann genießt großes Vertrauen. Das ist die Leitwährung in der Politik. Das haben wir jetzt gerade die letzten Tage auch nochmal gehört. Und es war eben wie überall sonst für die Wahlkämpfer sehr schwierig, jetzt durchzudringen mit Argumenten. Zumal ich auch das Gefühl hatte, Corona hat einfach alles überlagert.

Und da war es für die CDU-Herausforderin als Kultusministerin nochmal ganz besonders schwierig. Jetzt müssen die sich berappeln. Der Ministerpräsident hat gestern natürlich gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd und da hat er auch allen Grund dazu. Er hat ein grandioses Ergebnis geholt und er hat die freie Auswahl. Jetzt finden die Sondierungsgespräche statt. Ich bin zuversichtlich nach dem gestrigen Abend, dass wir eine stabile und gute Regierung bekommen werden.

DOMRADIO.DE: Das mit den Argumenten scheint ja bei der CDU nicht so geklappt zu haben. Für die Christdemokraten das schlechteste Ergebnis, das jemals in Baden-Württemberg erreicht wurde. Das Land ist normalerweise CDU-Hochburg. Man spricht von Vertrauensverlust. Ein Stichwort, das ja den Kirchen nicht fremd ist. Wie geht man damit um?

Hermes: Ich glaube, was die CDU jetzt festgestellt hat, das ist schon seit vielen Jahren erkennbar. Eine inhaltliche Schwäche, eine personelle Schwäche. Und dann kam noch der Vertrauensverlust dazu, der ja durch die vielen Briefwähler vielleicht noch gar nicht so durchgeschlagen ist, wie er durchgeschlagen wäre, wenn alle gestern gewählt hätten in Kenntnis der Masken-Affäre.

Ich glaube, der größte Fehler ist, nicht anzuerkennen, dass man ein Problem hat. Das haben wir als Kirche ganz gut hingekriegt. Über viele Jahre zu denken, dass wir ja selbstverständlich da sind, die Menschen selbstverständlich Mitglied sind. Genauso selbstverständlich hat die CDU sich als die Landesregierungspartei über viele Jahre verstanden. Dann ist 2011 Fukushima dazugekommen mit dem Atomausstieg. Es kam ein katastrophaler Ministerpräsident Mappus dazu und der schwarze Donnerstag, die furchtbaren Szenen hier im Schlossgarten in Verbindung mit Stuttgart 21 - und dann war's das eben.

Ich verstehe nicht ganz, dass man es jetzt tatsächlich zehn Jahre nicht geschafft hat, sich da neu aufzustellen. Aber wenn ich in meine eigene Kirche schaue, dann verstehe ich, dass Organisationen dafür viel Zeit brauchen, offenbar.

DOMRADIO.DE: Schauen wir auf den Wahlgewinner nochmal, Winfried Kretschmann, ein Katholik, der ja sagt: "Die Kirchen brauchen Reformen, die den Kern des christlichen Glaubens wieder freilegen". Ich gehe mal davon aus, das können Sie so unterschreiben, oder?

Hermes: Das unterschreibe ich zu 100 Prozent natürlich. Winfried Kretschmann ist ein grüner Politiker, der über viele Jahre Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken war, der übrigens auch wie sein Vorvorvorgänger Erwin Teufel sich wirklich auch auskennt in der Theologie und in der Kirche und einen sehr freundlichen und kooperativen Blick auf die Religionen hat, auch selber das Amt des Kirchenbeauftragten in der Landesregierung wahrnimmt und das auch sehr engagiert und sehr fair tut.

DOMRADIO.DE: Schauen wir mal in die Zukunft. Was wünschen Sie sich jetzt für die Zusammenarbeit mit der möglicherweise neu gemischten Landesregierung in Baden-Württemberg?

Hermes: Vielleicht auch ein bisschen die Kehrseite, nämlich die Frage, wer außer Winfried Kretschmann noch irgendein Verhältnis zu den Kirchen hat, bei den Grünen und vielleicht manchmal auch in anderen Parteien. Das ist eben auch nicht mehr so wie früher.

Das ist in allen Bundesländern so, dass wir davon ausgehen können, dass das, was Kirche ist, abseits von Missbrauchsskandalen und Vertrauensverlust, bekannt ist und dass man weiß, was wir tun und wer wir sind. Ich glaube, da müssen die Kirchen sich bemühen, gute Kontakte zu pflegen und aufzubauen.

Und die große Herausforderung, das haben wir hier zum Beispiel mit der Diskussion über den islamischen Religionsunterricht, der steckengeblieben ist, weil schlichtweg das Gegenüber ausgefallen ist oder nicht mehr als vertrauenswürdig seitens der Landesregierung betrachtet wurde. Da müssen wir weiterkommen im interreligiösen Dialog, nicht nur unsere Position als Kirche zu stärken oder oder irgendwie da einen guten Platz zu haben, sondern insgesamt halte ich es für wichtig, dass die Politik ein kundiges und wohlwollendes und vernünftiges Verhältnis zu allen Religionsgemeinschaften im Land aufbaut.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Christian Hermes / © privat (privat)
Christian Hermes / © privat ( privat )
Quelle:
DR