Katholische Dominanz am Supreme Court der USA

Verfassung über Moraltheologie

Mit Amy Coney Barrett könnte eine weitere Katholikin Richterin am Obersten Gerichtshof der USA werden. Sieben katholische und zwei jüdische Vertreter zählte das Gremium dann. Woher kommt dieses konfessionelle Übergewicht?

Autor/in:
Johannes Senk
Symbolbild Gerichtssaal / © Corgarashu (shutterstock)

US-Präsident Donald Trump sprach von einer Amtspflicht gegenüber der Bevölkerung, der er "ohne Verzögerung" nachkommen wolle. Gemeint ist die Neubesetzung der Richterstelle am US Supreme Court, dem obersten Gerichtshof des Landes, die durch den Tod der liberalen Ruth Bader Ginsburg am Freitag vakant geworden war.

Die 87-Jährige galt als Ikone der US-Frauenrechtsbewegung. Mit ihren progressiven Ansichten, etwa in der hitzigen Abtreibungsdebatte, galt sie als Hauptvertreterin der liberalen Kräfte. Besonders betrauert wurde ihr Tod in der jüdischen Gemeinde der USA, der sie selbst angehörte. Neben "RBG", wie die Verstorbene kurz genannt wurde, sind auch ihre Amtskollegen Stephan Breyer und Elena Kagan jüdischen Glaubens. Die sechs weiteren Mitglieder des Gremiums sind Katholiken.

Katholiken unter Richtern überrepräsentiert

Das mag überraschen. Zwar ist die katholische Kirche mit rund 77 Millionen Mitgliedern die größte einzelne Glaubensgemeinschaft in den USA. Vom sozialen Status her steht sie allerdings im Regelfall hinter den zahlreichen protestantischen und evangelikalen Kirchen zurück, denen sich die weiße Elite der USA größtenteils zugehörig fühlt. 
Anschaulich belegt das etwa die Tatsache, dass der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden nach John F. Kennedy (1961-1963) erst der zweite Katholik im Weißen Haus wäre.

Doch es gibt durchaus Gründe für die Konfessionsverteilung im Supreme Court. "Katholiken sind unter den Richtern schon traditionell überrepräsentiert", erklärt der USA-Experte Michael Hochgeschwender von der Universität München. "Das liegt sicher zum einen am hohen Ansehen des katholischen Bildungswesens in den USA." Zum anderen sei es aber auch auf einen ausgeprägten Lobbyismus zurückzuführen. "Konservative Katholiken sind sehr stark in der einflussreichen Federalist Society vertreten, die sich für eine engstmögliche wörtliche Auslegung der Verfassung einsetzt. Darüber entstehen die Verbindungen nach oben", so der Experte.

Richterin Barrett gilt als Trumps Favoritin

Ein Blick auf die aktuelle Diskussion unterstreicht diese These: Derzeit gilt Richterin Amy Coney Barrett (48) als Trumps Favoritin für die freie Stelle. Barrett stammt aus einer irisch-amerikanischen Familie und gilt als konservative Katholikin. Die Mutter von fünf leiblichen und zwei adoptierten Kindern studierte Jura an der katholischen Elite-Universität Notre Dame im Bundesstaat Indiana, wo sie auch bis 2017 lehrte. Mit ihrer Familie lebt sie im benachbarten South Bend und besucht regelmäßig Veranstaltungen der Universität.

Ihre juristische Karriere nahm vor allem als Assistentin des ebenfalls katholischen Bundesrichters Anthonin Scalia (1936-2016) Fahrt auf. Scalia, der im Supreme Court als führende konservative Stimme galt, war dem "Originalismus" zugetan, also der bereits angesprochenen wörtlichen Auslegung der Verfassung; eine Ansicht, die auch Barrett teilt.

Entschiedene Abtreibungsgegnerin

In einem aktuellen Porträt führt die "New York Times" Stimmen ehemaliger Weggefährten an, die Barrett einen festen Stand auf der katholischen Soziallehre bescheinigen. Auch privat lebe sie nach diesen Grundsätzen, was sich besonders in der Abtreibungsfrage zeige: Als Konservative tritt sie öffentlich als entschiedene Gegnerin von Schwangerschaftsabbrüchen auf. Zudem kam eines ihrer Kinder mit Trisomie 21 zur Welt, dem sogenannten Down-Syndrom. Die Diagnose erhielt Barrett wohl schon bei einer frühen Untersuchung, entschied sich aber gegen eine Abtreibung.

Sollten sich also Präsident und republikanische Senatsmehrheit durchsetzen, wird die verhältnismäßig junge Barrett das konservative Profil des Supreme Court weiter und wohl längerfristig schärfen. Dass es zu einer rein katholischen Agenda kommen könnte, hält Hochgeschwender aber für unwahrscheinlich. "Auch Barrett ist in erster Linie ihrem Status als Oberste Richterin verpflichtet und wird die katholische Moraltheologie nicht über die US-Verfassung stellen. Das wäre sowohl für die Glaubwürdigkeit des Gerichts als auch für die Position der Kirche in den USA ein Desaster."


Oberster Gerichtshof in Washington D.C. / © Manuel Balce Ceneta/AP (dpa)
Oberster Gerichtshof in Washington D.C. / © Manuel Balce Ceneta/AP ( dpa )
Quelle:
KNA