Polizeiseelsorger zu rechtsextremen Chats

"Wichtig wird, differenziert darüber zu berichten"

Bei der Polizei in NRW wurden durch Zufall rechtsextreme Chats gefunden. Schnell werden alle Polizisten über einen Kamm geschoren, und Mitschuld daran hätten auch die Berichterstatter, sagt Polizeiseelsorger Rainer Dürscheid. 

Symbolbild: Polizisten / © fotoliza (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Wie sehr hat Sie die Nachricht von diesen rechtsextremen Chats erschüttert?

Rainer Dürscheid (Polizeiseelsorger): Mich hat die Dimension erschüttert. Dass es in der Polizei auch rechte Tendenzen gibt, ist bekannt, das hat NRW-Innenminister Reul ja auch gesagt. Aber man ist immer von Einzelfällen ausgegangen und nicht von solchen Gruppen, die über Jahre diese Dinge miteinander austauschen. Wobei man sagen muss, das bedarf jetzt auch noch der Aufklärung: Sind es wirklich alle Menschen in dieser Gruppe, die da aktiv agiert haben? Oder sind es einige wenige gewesen? Viele sind aus sozialen Gründen in der Gruppe gewesen, weil man dazugehören wollte.

Und dann sind es verschiedene Straftatbestände. Das eine ist die Straftat des Rechtsextremismus und das andere ist die Straftat, die Kollegen nicht anzuzeigen, also so etwas wie Strafvereitelung im Amt. Wenn ich als Polizist von der Strafe weiß... Ich würde ja auch einschreiten als Polizist, wenn jemand an der Straße ein Hakenkreuz auf die Wand schmiert. Aber warum greife ich nicht ein, wenn der Kollege das in einen WhatsApp-Chat postet? Das ist die Frage von vielleicht falsch verstandenem Korpsgeist in der Polizei. Ich glaube, dass vieles auch noch in der Organisation zu durchleuchten ist.

DOMRADIO.DE: Dass die Polizei ein Problem mit Rassismus, mit Rechtsextremismus haben könnte, darüber diskutieren wir schon länger. Viele haben ja schon vorher eine Studie zum sogenannten Racial Profiling gefordert, also, dass beispielsweise Menschen mit anderer Hautfarbe häufiger verdächtigt, häufiger kontrolliert werden. Innenminister Seehofer hat das immer abgeblockt und blockt es auch weiterhin ab. Was sagen Sie? Brauchen wir so eine Studie nicht doch?

Dürscheid: Ich kann es nicht genau beurteilen. Auf der einen Seite spricht viel für eine unabhängige Studie, nämlich die Tatsache, dass diese Vorfälle, wenn sie untersucht oder aufgedeckt werden sollen, nicht von der Polizei selbst aufgedeckt werden. Die eigene Organisation deckt die Fälle in der eigenen Organisation auf. Das hat natürlich immer ein Geschmäckle, das ist der Teil, der dran ist. Auf der anderen Seite gibt es natürlich eine Menge Polizisten, die überhaupt nichts damit zu tun haben. Der größte Teil der Polizisten hat nichts damit zu tun und wünscht sich eigentlich, dass klar wird, wer denn die schwarzen Schafe dieser Polizei sind.

DOMRADIO.DE: Aber die hätten dann bei so einer Studie auch nicht zu befürchten.

Dürscheid: Das ist völlig richtig. Von daher spricht für mich auch einiges für die Studie. Die Frage ist, ob unabhängige Studien einen Weg finden, das wirklich aufzudecken. Mir ist noch nicht klar, wie das geschehen soll, wie das wissenschaftlich so aufgearbeitet werden soll, dass es funktioniert.

DOMRADIO.DE:  Die Chat-Gruppen sind tatsächlich von Kollegen aufgedeckt worden - zufällig. Das heißt ja, dass es viele Polizisten gibt, die sich gegen Rechtsextremismus in den eigenen Reihen einsetzen. Wie haben Sie das erlebt als Polizeiseelsorger? Haben Sie das schon mal erlebt, dass da tatsächlich jemand auf Sie zugekommen ist und gesagt hat: "Ich hab da was entdeckt. Aber wie soll ich mich jetzt dem Kollegen gegenüber verhalten?"

Dürscheid: Ich habe das schon erlebt, nicht unbedingt nur im Zusammenhang mit Rechtsradikalismus. Aber, dass Polizisten zu mir kommen, die von Straftaten von anderen wissen und fragen: Wie gehe ich damit um? Wie kann ich mich, wenn ich zu der Gruppe dazugehöre, da outen? Wie mache ich das? - Das gibt's schon immer wieder und da sind wir als Seelsorger eine gute Anlaufstelle.

Wir sind ja als Seelsorger auch in der Ausbildung der Polizisten mit dabei. Da haben wir in einem sogenannten berufspraktischen Modul die Chance, mit angehenden Polizistinnen´und Polizisten in der Ausbildung genau solche Fragen zu reflektieren.

Die kommen natürlich ganz oft, wenn sie ihre ersten Praktika hinter sich haben, mit diesen Fragen. Dass sie erleben, dass Kolleginnen und Kollegen auch nicht unbedingt ganz vernünftig mit dem Bürger umgehen. Oder, wenn sie Tendenzen entdecken und sagen: "Das würde ich aber nicht so machen," und wo sie dann in die Bredouille kommen und anfangen zu überlegen: Wie verhalte ich mich denn? Und wie kann ich das steuern? Als Kirche sind wir da in einem Ort drin, was Ethik angeht, was ethische Bildung angeht, wo wir eigentlich in fast allen Fortbildungen und Ausbildungen vertreten sind und an dieser Frage ganz viel Polizisten arbeiten.

DOMRADIO.DE: Haben Sie das Gefühl, dass da schon genug getan wird? Dass Polizisten, die ja wirklich einen wahnsinnig stressigen, anstrengenden, fordernden Job machen, genug aufgefangen sind, Supervision bekommen und dass deren Gesprächsbedarf gestillt wird?

Dürscheid: Klares Nein. Da müsste es deutlich mehr geben. Da sind wir sicher. Aber da - das muss ich auch dazu sagen - bewegt sich zurzeit sehr viel im Land NRW. Die Polizeiseelsorge ist zum Beispiel landesweit eingebunden in die Begleitung der Polizisten, die im Moment in dem ganzen Bereich von Kinderpornografie arbeiten.

Da werden auch jetzt Supervisions-Gruppen eingerichtet, die wir teilweise selber mit leiten, sodass das schon mittlerweile auf dem Schirm ist, dass die Polizei sagt: Andere Organisationen haben das schon lange, dass Menschen, die in Berufen arbeiten, die belastend sind, eine Chance haben und das auch loswerden können. Das, glaube ich, wird auch für die Zukunft der Weg sein, wie man grundsätzlich mit einer solchen Problematik umgehen muss.

Menschen, die in ihrem Job permanent in die Schattenseiten des Lebens blicken, permanent mit Gewalt und mit Kriminalität und Leid konfrontiert sind und mit den Menschen, die das anrichten, die sind natürlich latent viel gefährdeter als Menschen, die das nicht sind. Wo gibt es Orte und Räume, das in der Organisation vernünftig aufzuarbeiten? Da, glaube ich, hat die Polizei noch sehr viel Luft nach oben. Da sind wir auch immer wieder im Gespräch und sehr oft als Polizeiseelsorge angefragt, ob wir da nicht hilfreich unterstützen können. Das machen wir auch sehr gerne. Aber da glaube ich schon, und das sieht der Innenminister genauso, dass da mehr möglich sein muss.

DOMRADIO.DE: Wir wissen ja noch gar nicht ganz genau, welchen Teil Rechtsextreme bei der Polizei ausmachen, also wie viele Polizisten wirklich betroffen sind. Aber Vorfälle wie dieser bringen natürlich die ganze Polizei unter Generalverdacht. Was muss denn passieren, damit das Vertrauen in der öffentlichkeit wieder hergestellt werden kann?

Dürscheid: Zum einen genau das, was ich gesagt habe: auch nach außen deutlich machen, dass es so etwas wie eine Aufarbeitung gibt, dass völlig klar recherchiert wird und analysiert wird und die Menschen, die das gemacht haben zur Rechenschaft gezogen werden. 

Und deutlich machen, dass die Polizei diejenige ist, die das auch aufklärt. Es gibt ja nicht nur die Polizisten, die das tun, sondern es gibt auch genau die Polizisten, die diese Dinge ans Licht bringen. Ich erlebe die Polizei in unserem Land schon als sehr bürgerorientiert und -zugewandt. Ich lege die Hand dafür ins Feuer, dass die meisten Polizisten, überhaupt kein rechtsradikales Problem haben.

Wichtig wird, differenziert darüber zu berichten. Das ist, glaube ich, auch nochmal ein ganz wichtiger Punkt. Ich erlebe das oft in der Presse und den Medien. Wenn dann gesagt wird: Man kann ja nicht mehr zur Polizei gehen, die sind alle rechtsradikal. Natürlich sind die nicht alle rechtsradikal.

Aber ich muss dann eingreifen, sowohl als Polizei selbst, als Apparat, wenn ich merke, dass es das in meinen Reihen gibt, und es muss für möglichst hohe Transparenz gesorgt werden. Ich glaube, dass es äußerst wichtig ist, die Führungskräfte noch einmal mehr in diesem Bereich zu schulen und zu sensibilisieren für das, was in den einzelnen Dienstgruppen los ist. Eigentlich jede Gelegenheit nutzen, das, was Polizistinnen und Polizisten in ihrem Amtseid versprechen, einzulösen.

Das Interview führte Hilde Regeniter. 


Quelle:
DR