NRW-Landesverfassung wird 70

"In Verantwortung vor Gott und den Menschen"

Vor 70 Jahren trat die nordrhein-westfälische Landesverfassung in Kraft. "In Verantwortung vor Gott und den Menschen", so beginnt die Präambel. Diese hervorgehobene Rolle von Religion ist aber immer wieder infrage gestellt worden.

Die nordrhein-westfälische Landesflagge / © azb020 (shutterstock)
Die nordrhein-westfälische Landesflagge / © azb020 ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Am 11. Juli 1950 ist NRW-Landesverfassung in Kraft getreten. Warum ist es wichtig, dass die Verfassung Bezug auf Gott nimmt?

Pfarrer Antonius Hamers (Leiter des Katholischen Büros Düsseldorf): Die Verfassung in Nordrhein-Westfalen nimmt gleich an drei Stellen Bezug auf Gott. Einmal die Präambel. Dann kommt Gott noch einmal beim Erziehungsziel vor, wo es darum geht, zu "Ehrfurcht vor Gott und vor der Würde des Menschen" zu erziehen. Schließlich und endlich wird Gott beim Sonntagsschutz erwähnt, nämlich dass der Sonntag auch ein Tag der Gottesverehrung sein soll.

Es ist wichtig, Gott in der Verfassung zu erwähnen und sich immer wieder deutlich zu machen, dass alle staatliche Gewalt letztlich begrenzt ist und dass wir, zumindest als Christen, immer auch Verantwortung Gott gegenüber übernehmen, also uns auch nochmal vor einer anderen Institution gegenüber verantworten müssen.

DOMRADIO.DE: In der NRW-Landesverfassung steht ausdrücklich, dass die Kirchen in die Kinder- und Jugendarbeit mit einbezogen werden sollen. Nun hatte die Links-Fraktion im NRW-Landtag vor einiger Zeit einen Antrag gestellt, dass das Erziehungsziel "Ehrfurcht vor Gott" aus der Verfassung gestrichen werden solle. Wie stehen Sie zu so einem Antrag?

Hamers: Die Kirchen wirken an mehreren Stellen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit, zum Beispiel bei der Kinder- und Jugendhilfe, genauso wie bei der Freien Wohlfahrtspflege. Darüber hinaus spielen die Kirchen eine Rolle im Schulbereich in Bezug auf den Religionsunterricht. Wir haben Schulen in kirchlicher Trägerschaft. Es gibt auch sogenannte Bekenntnisschulen, staatliche Schulen, die einer bestimmten Konfession zugeordnet werden. Damit wird deutlich, dass nicht der Staat das alleinige Erziehungsrecht ausübt, sondern dass er subsidiär handelt und guckt, welche anderen großen gesellschaftlichen Gruppen eine Rolle bei der Erziehung der Kinder spielen.

Natürlich ist der erste Ort der Erziehung die Familie, die Eltern. Aber darüber hinaus sind auch anderen gesellschaftlichen Gruppen subsidiär verantwortlich. Das Thema "Ehrfurcht vor Gott" hat auch heutzutage noch eine große Bedeutung, weil nach wie vor Menschen in diesem Land sich zu Gott, einer Religion, einer Institution oder zu einer Größe bekennen, die diese Wirklichkeit übersteigt. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist es wichtig, dass Kinder lernen, dass es Religionsgemeinschaften gibt und Menschen, die an Gott glauben. Insofern ist es wichtig ist, Ehrfurcht und Respekt vor diesem Glauben einzuüben und damit umzugehen.

DOMRADIO.DE: 70 Jahre NRW-Verfassung: Gab es Situationen, in denen die Kirche in NRW zu kämpfen hatte  und dazu die Verfassung dann zu Rate gezogen hat?

Hamers: Vor 2014 hat es eine Diskussion darüber gegeben, ob in der Präambel der Gottesbezug weiter beinhaltet sein soll. Auch da hat die Fraktion der Linken, die damals noch im Landtag war, eine entsprechende Initiative gestartet. Selbstverständlich waren die Kirchen gefragt. Ein anderer Punkt, wo wir gefragt waren und wo wir uns unmittelbar auch auf die Verfassung bezogen haben, war die Diskussion um die Reformen katholischer und evangelischer Bekenntnisschulen. Wir haben mit der Verfassung argumentiert, weil dieses Institut eben in der Verfassung steht.

Zuletzt haben wir bei der Diskussion um eine Neuordnung der Kindertagesstätten-Finanzierung, dem sogenannten Kibiz-Gesetz, darauf verwiesen, dass in Artikel 6 ausdrücklich steht, dass Religionsgemeinschaften bei der Kinder- und Jugendhilfe mitzuwirken haben. Als große Kindergarten-Träger in Nordrhein-Westfalen sind wir gefragt, uns von vornherein an entsprechenden Überlegungen zu Gesetzesänderungen zu beteiligen.

DOMRADIO.DE: Es gibt ja immer mehr Agnostiker, Atheisten oder Menschen, die ganz einfach überhaupt keinen Bezug zum Glauben oder zu Gott haben. Sind die jetzt ausgeschlossen und können diese NRW-Verfassung nicht annehmen, weil dreimal Gott vorkommt?

Hamers: Nein, ganz sicherlich nicht, weil diese Verfassung selbstverständlich die Religionsfreiheit garantiert, die beinhaltet, dass ich mich auch gegen eine Religion, damit gegen einen Glauben an Gott oder gegen ein Bekenntnis zu Gott entscheiden kann und ich nicht einer Religionsgemeinschaft angehören muss. Diese Verfassung von 1950 bringt an vielen Stellen den Geist dieser Zeit zum Ausdruck, in der sie entstanden ist, ohne jede Frage. Es ist zum Beispiel von Kleingärten und Kleinsiedlungen die Rede in dieser Verfassung. Sie sehen darin noch einmal, dass diese Verfassung entstanden ist vor dem Hintergrund der Erfahrungen und der Not nach dem Zweiten Weltkrieg. Das steht völlig außer Frage.

Aber ich bin davon überzeugt, dass diese Verfassung sich in diesen sieben Jahrzehnten durchaus bewährt hat und so offen und eben auch insofern aktuell ist, dass sie diese Zeit von 1950 nicht eingefroren hat, sondern dass sie auf die heutige Zeit angewendet werden kann. Dementsprechend wird sie den Menschen gerecht und gibt auch eine Grundlage für das Zusammenleben der Menschen in diesem Land, die keiner Religion angehören und durchaus kritisch den Kirchen und Religionsgemeinschaften gegenüberstehen.

DOMRADIO.DE: Die Verfassung ist nicht statisch. Kürzlich wurde die nordrhein-westfälische Landesverfassung symbolträchtig verändert und ergänzt. Europa hat einen Platz direkt im ersten Satz bekommen: "Nordrhein-Westfalen ist ein Gliederstaat der Bundesrepublik Deutschland und damit Teil der Europäischen Union". Was sagt uns das?

Hamers: Ich begrüße das sehr, dass vier Fraktionen im nordrhein-westfälischen Landtag diese Verfassungsänderung eingebracht haben und auch dafür gestimmt haben: CDU, SPD, die Grünen und die FDP. Dadurch wird noch einmal deutlich, dass wir Teil Europas sind und als ein Land an der Außengrenze der Bundesrepublik mit den Grenzen zu den Niederlanden und Belgien diesen europäischen Gedanken in der Verfassung verankern.

Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, immer wieder darauf hinzuweisen, dass wir eingebunden sind in die Europäische Gemeinschaft und in die Union. Das ist ein ganz wichtiger Friedensdienst, wenn wir nochmal zurückblicken auf das Jahr 1950, als diese Verfassung verabschiedet worden ist. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges und den Erfahrungen, ist das eine Komplettierung der Verfassung, dass wir jetzt diesen europäischen Gedanken ausdrücklich mit in die Verfassung geschrieben haben. Das macht nochmal deutlich, dass wir als Land Nordrhein-Westfalen und als Bundesrepublik nicht bestehen könnten ohne die Einbettung in die Europäische Union und ohne die Beziehungen zu unseren europäischen Nachbarn.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Antonius Hamers / © Nicole Cronauge (Katholisches Büro NRW)
Quelle:
DR