Caritas lehnt assistierten Suizid entschieden ab

"Das Leben ist unverfügbar"

Könnte die organisierte Selbsttötung künftig durch die Rechtsprechung geduldet werden? Darüber urteilt nun das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Die Caritas spricht sich vehement gegen einen solchen assistierten Suizid aus.

Caritas im Erzbistum Köln gegen assistierten Suizid / © Oliver Berg (dpa)
Caritas im Erzbistum Köln gegen assistierten Suizid / © Oliver Berg ( dpa )

DOMRADIO.DE: An diesem Mittwoch will das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung über die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung verkünden. Aber jeder Mensch möchte doch eigentlich in Würde und ohne Leiden sterben können. Wünschen Sie sich das auch?

Dr. Frank Johannes Hensel (Diözesan-Caritasdirektor für das Erzbistum Köln): Ja. Es wird jeder Mensch für sich in Anspruch nehmen wollen, seinen Schmerzen und seiner Angst nicht ohnmächtig alleine ausgeliefert zu sein, sondern darin begleitet zu werden. Man möchte auch in den Symptomen und in all dem, was da in einem hochkommt, abgefedert werden.

Darum gibt es dafür auch ausdrückliche Versorgungen in der Palliativmedizin, im hospizlichen Bereich und in der seelsorglichen Zuwendung. Alleine bleiben kann man da nicht, schon gar nicht mit all dem, was einen bedrängt.

DOMRADIO.DE: Seit einiger Zeit wird darüber debattiert, ob aktive Sterbehilfe oder assistierter Suizid erlaubt werden sollte. Die Frage ist, ob der Mensch eingreifen darf, wenn jemand im Sterben liegt, es keine Heilung mehr gibt und der Sterbende nur noch leidet. Sie sagen: "Nein, das darf der Mensch nicht." Warum?

Hensel: Das Problem liegt darin, dass der Mensch es kann. Und weil der Mensch so viel kann, denkt er jetzt, dies sei ihm sozusagen auch gegeben. Es muss einem Menschen eigentlich möglich sein, das Menschenleben zu beenden – auch sein eigenes.

Aber wenn er das selbst so gar nicht mehr hinkriegt, dann möchte er am liebsten auch ein Recht darauf haben, dass das jemand nach gewissen Vorgaben macht. Genau um so etwas geht es jetzt in der gesetzlichen Regelung. Es geht tatsächlich nicht um einzelne Fälle, sondern um eine Organisationsform, eine wiederholte Form bis hin zu einer gewerblichen Anwendung von assistierter Selbsttötung.

All das bedeutet ja, dass man darum einen gesellschaftsrechtlich abgefederten Prozess gestaltet, womöglich sogar noch in einem medizinischen Katalog von Leistungen hinterlegt, die bei den Ärzten abrufbar sind.

Dann hat man etwas organisiert, mit dem wir uns als Menschen sicherlich verheben, nämlich den rechten Zeitpunkt in einer generelleren Form zu bestimmen und zu organisieren.

DOMRADIO.DE: Sie würden also sagen, dass ein Arzt diesen Zeitpunkt nicht bestimmen kann?

Hensel: Er sollte jedenfalls nicht dafür in Anspruch genommen werden können, dass er das jetzt professionell zu tun hat. In diesem Fall ist es ja gar nicht mal nominell seine Bestimmung, sondern der Patient soll das bestimmen können. Damit der Patient das dann kann, soll ihm sozusagen alles an die Hand gegeben werden, also Mittel bereitgestellt werden, sodass er nur noch irgendwo drauf drücken oder etwas einnehmen muss.

Dafür eine Profession mit zu verhaften, die sich ansonsten dem Leben zu verschreiben hat, ist schon eine enorme Inanspruchnahme dieser Menschen. Ich glaube nicht, dass man das als Gesellschaft so organisieren darf.

DOMRADIO.DE: Sie schlagen ganz andere Wege vor. Sie sagen, es müsse eine individuelle Hospizarbeit geben, palliative Versorgung und seelsorgerische Begleitung. Ist das alles individuell so wirklich umsetzbar? Stichwort Pflegekräftemangel und Fachkräftemangel...

Hensel: In diesem Bereich gibt es einen großen Ausbau. Das Angebot stationärer Hospize und Palliativstationen hat sich vervielfacht. Die Bildungsgänge dazu sind immer besser und in der ganzen Fachwelt verbreitet. Das ist ein Arbeitsfeld, das von vielen sehr bewusst aufgesucht und sehr professionell und mit großer Haltung betrieben und verrichtet wird.

Ich würde nicht sagen, nur weil wir es einfach nicht leisten können, müssen wir jetzt zusehen, dass das Problem vorher abgeknipst werden könnte. Wir müssen uns dem stellen. Ich glaube auch, dass wir dazu die gesellschaftliche Kraft haben.

DOMRADIO.DE: Haben wir auch die Verpflichtung als Christen, uns dem zu stellen? Finden wir theologische Anhaltspunkte dazu?

Hensel: Ich halte das Leben für unverfügbar. Es ist geschenkt und ich sollte es nicht nehmen. Auch Menschen sollten nicht darüber befinden, wer es wann wie und unter welchen Umständen nimmt. Das klingt etwas kategorisch, macht es einem aber etwas leichter, in diesen Fragen den Grundsatz zu finden. Und diesen Grundsatz habe ich als katholischer Christ, dass ich das Leben nicht als in meiner Verfügbarkeit liegend erachte. Ich habe mich nicht nur nicht selbst herbeigeschafft, ich kann mich auch nicht selbst abschaffen.

Ich weiß aber, dass das im Einzelfall sehr, sehr schwer sein kann und dass Menschen darin in keinem Fall alleine gelassen werden können. Genau darin sind wir ja so aufmerksam. Denn wenn man so argumentiert, dann kann man ja nicht auch noch die Hilfe in Abrede stellen. Die müssen wir bieten. Dafür setzen wir uns ein. Wir sind auch bei der Caritas dazu sehr breit aufgestellt. In der katholischen Kirche haben wir sehr, sehr viele Angebote zur Begleitung sterbender Menschen.

Das Interview führte Verena Tröster.


Dr. Frank Johannes Hensel / © Caritas, Erzbistum Köln
Dr. Frank Johannes Hensel / © Caritas, Erzbistum Köln
Quelle:
DR
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