Kein Durchbruch bei Notfallmechanismus für Flüchtlinge

"Regelung längst überfällig"

Seit Sommer diskutiert die EU über einen Notfallmechanismus für Bootsflüchtlinge. Eine Mehrheit konnte das Vorhaben auch bei einem Treffen der EU-Innenminiter in dieser Woche nicht gewinnen. Kritik kommt auch von christlichen Flüchtlingshelfern.

Rettungsweste am Strand / © Chanintorn.v (shutterstock)
Rettungsweste am Strand / © Chanintorn.v ( shutterstock )

Beim EU-Innenministertreffen in Luxemburg ist ein Durchbruch in der Frage des Notfallmechanismus für Flüchtlinge ausgeblieben. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sprach nach dem Treffen am Dienstag von einem Dutzend weiterer Länder, die dem von Deutschland, Frankreich, Italien und Malta vereinbarten Verteilmechanismus für aus Seenot gerettete Flüchtlinge wohlwollend gegenüberstehen. Konkrete Zusagen, künftig stets Migranten zu übernehmen, oder feste Aufnahmequoten gibt es demzufolge aber nicht.

"Wir haben eine Reihe von Ländern, die bisher schon mitgemacht haben und wohl auch künftig mitmachen, wie Luxemburg, Irland, Portugal; Litauen hat sich auch sehr positiv eingelassen", erklärte Seehofer nach den Verhandlungen. Eine weitere Gruppe von Ländern wolle sich zunächst über die "technische Umsetzung" der Malta-Vereinbarung informieren, was am Freitag passieren solle. Eine dritte Gruppe schließlich halte die Vereinbarung für gut, habe aber wie beispielsweise Spanien selbst so großen Migrationsdruck, dass sie nicht mitmachen könne.

Freiwilliger Mechanismus

Seehofer zufolge kämen zu den vier Staaten der Malta-Vereinbarung damit potenziell noch rund ein weiteres Dutzend hinzu. "Ich kann Ihnen aber jetzt nicht sagen, dass am Schluss auch zwölf mitmachen." Deutschland, Frankreich, Italien und Malta fühlten sich dessenungeachtet an ihre Vereinbarung gebunden. Wenn also ein neues Schiff mit aus Seenot Geretteten auftaucht, würde mit ihnen nach dieser Vereinbarung verfahren, kündigte Seehofer an.

Der vor zwei Wochen auf Malta vereinbarte Mechanismus soll die Anlandung und Verteilung von auf dem zentralen Mittelmeer geretteten Migranten in geordnetere Bahnen lenken. Rettungsschiffe sollen nicht mehr Tage bis Wochen auf See ausharren müssen, bis sie in einen Hafen einlaufen dürfen. Deutschland hat bereits zugesagt, jeweils ein Viertel der Menschen aufzunehmen. Zugleich betonte Seehofer in Luxemburg, dass der Mechanismus freiwillig sei und Deutschland jederzeit aussteigen könne, wenn die Zahlen der Ankömmlinge stark steigen würden. EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos sagte in Luxemburg, die Diskussion über den Verteilungsmechanismus laufe weiter. Es sei unklar, wie viele Länder sich beteiligen würden, er hoffe, so viele wie möglich. 

Kritik an Malta-Papier

Griechenland, Zypern und Bulgarien zeigten sich unterdessen unzufrieden, dass durch die Debatte ihre eigene Situation aus dem Blick geraten sei. "Die östliche Mittelmeer-Route wurde nicht angemessen angegangen", heißt es in einem gemeinsamen Papier der drei aus Anlass des Treffens. Es stellt die Zahlen der Ankünfte auf der zentralen Mittelmeerroute - also von Libyen nach Italien und Malta, um die sich der Notfallmechanismus dreht - den Zahlen im Osten und Westen gegenüber. So seien allein zwischen 2. und 9. September auf der zentralen Route 480 Ankünfte von Migranten gezählt worden, auf der westlichen aber 736 und auf der östlichen 2.707.

Die Aufmerksamkeit solle sich deshalb wieder dem Osten zuwenden, fordern Griechenland, Zypern und Bulgarien. Sie wollen einen "wirksamen Umverteilungsmechanismus" für Ersteinreiseländer «auf allen Migrationsrouten», einen EU-Mechanismus für Rückführungen und mehr Geld.

"Viele offene Flanken"

Die EU-Abgeordnete Birgit Sippel (SPD) kritisierte das Ergebnis des Innenministertreffens: "Dass sich die EU-Mitgliedstaaten zum wiederholten Male nicht auf einen Verteilungsmechanismus einigen konnten, ist inakzeptabel." Luise Amtsberg von den Grünen zeigte sich ebenfalls skeptisch: "Es ist schade, dass sich beim heutigen Treffen in Luxemburg wohl nicht noch mehr Staaten dem Übergangsmechanismus angeschlossen haben." Sie sehe bei dem Abkommen noch "viele offene Flanken".

Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) Europa erklärte, dass ein Abkommen der EU-Mitgliedstaaten zur Anlandung von Schiffen mit Geretteten "absolut" notwendig sei. Ein vorübergehendes Abkommen mit nur einigen Mitgliedstaaten könne helfen, das Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten wiederaufzubauen. JRS betonte zudem, dass mit dem Abkommen auch Asylanträge aller Schutzsuchenden "sorgfältig" geprüft werden müssten. Die Absichtserklärung aus Malta sei bereits in Kraft getreten. Wenn ein Schiff vor der Küste von Malta auftauche, werde nach der Erklärung gehandelt.

"Menschenunwürdige Hängepartie"

Auch die europäische Seenotrettungsorganisation SOS Mediterranee übte Kritik am Ergebnis des Treffens. Sechzehn Monate nach der ersten Blockade eines zivilen Rettungsschiffs hätten sich die EU-Staaten "immer noch nicht auf eine Lösung geeinigt, damit aus Seenot gerettete Personen zeitnah an einem sicheren Ort an Land gehen können, so wie es das internationale Seerecht vorschreibt", kritisierte der Geschäftsführer von SOS Mediterranee Deutschland, David Starke: "Eine solche Regelung ist längst überfällig, um die menschenunwürdigen Hängepartien für gerettete Personen und die Blockade ziviler Seenotrettung endlich zu beenden."

Weiter betonte die Organisation, dass auch eine verlässliche Regelung für gerettete Menschen nur ein erster Schritt sein könne, um die humanitäre Katastrophe im Mittelmeer zu beenden: "Nach wie vor mangelt es im zentralen Mittelmeer vor der libyschen Küste an Rettungsschiffen und einer verlässlichen Koordination von Seenotfällen."

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) nannte das Ergebnis beschämend und skandalös. Pistorius, der auch für den SPD-Parteivorsitz kandidiert, forderte in der "Nordwest-Zeitung" (Mittwoch) Sanktionen für jene Staaten, die sich nicht an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen: "Wenn alles gute Zureden nicht weiterhilft, müssen wir den Druck auf die Länder verstärken." Das könne etwa über Sanktionen bei der Verteilung von EU-Mitteln geschehen: "Es geht hier um Menschenleben."


Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) / © Sebastian Kahnert/zb (dpa)
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) / © Sebastian Kahnert/zb ( dpa )
Quelle:
KNA , epd