Ist die AfD die neue Volkspartei im Osten?

"Sie bestimmt die gesellschaftlichen Debatten"

Sie ist die Gewinnerin der Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen: Die "Alternative für Deutschland" legt in beiden Bundesländern deutlich zu. Kann man von der AfD nun gar als der neuen Volkspartei im Osten der Republik sprechen?

AfD-Anhänger beim Stammtisch / © Armin Weigel (dpa)
AfD-Anhänger beim Stammtisch / © Armin Weigel ( dpa )

DOMRADIO.DE: In Sachsen ist die AfD mit 27,5 Prozent zweitstärkste Kraft geworden. Wie groß ist denn die Erleichterung, dass sie nicht stärkste Kraft im sächsischen Landtag geworden ist?

Philipp Greifenstein (Journalist, Blogger und Gründer sowie Redakteur des Magazins für Kirche, Politik und Kultur "Die Eule"): Bei den Vertretern der anderen demokratischen Parteien ist diese Erleichterung durchaus spürbar. Die demokratische Gesellschaft aber hat keinen Grund zur Erleichterung. Denn auch ohne dass die AfD stärkste Partei ist oder in eine Regierung eintritt, erleben wir, dass sie die gesellschaftlichen Debatten stark bestimmt.

DOMRADIO.DE: Sie kommentieren in Ihrem Magazin "Die Eule" das Wahlergebnis und finden es im Gegensatz zu vielen anderen Journalistenkollegen gar nicht überraschend. Sie schreiben, dass es ein Wählerpotenzial für Rechtsradikale von bis zu 25 Prozent gäbe. Woran liegt das? Haben die alten Volksparteien im Osten versagt?

Greifenstein: Das gehört sicherlich mit dazu. Es ist der SPD und auch der CDU nach den ersten Jahren der 1990er Jahre nicht gelungen, sich in die Gesellschaft in Ostdeutschland tief zu verwurzeln. Das haben beide Parteien gemein.

Auf der anderen Seite muss man sagen, dass die Gründe für dieses Wählerpotenzial sehr vielschichtig sind. Das sind jahrzehntelange Mentalitäten, die sich weitergetragen haben. Es ist also auch völlig zu kurz gegriffen zu sagen, es wäre ein Problem, dass in Ostdeutschland die Leute so abgehängt seien. Das sagt man ja so landläufig.

DOMRADIO.DE: Jetzt bezeichnet sich aber die AfD als neue Volkspartei. Damit hat sie sogar den Linken den Rang abgelaufen. Was ist in Sachsen passiert?

Greifenstein: Gerade jetzt ist in Sachsen passiert, dass wir das nach einer Wahl wieder einmal schwarz auf weiß sehen. Das steht in einer Kontinuität von der Europawahl bis zur letzten Bundestagswahl. Und wir haben das bei anderen Landtagswahlen im Osten Deutschlands auch schon gesehen. Das heißt, auch hier gibt es wenig Anlass zur Überraschung. Das sind laufende Kontinuitäten.

Zum Thema Volkspartei sehen wir, dass es alle demokratischen Parteien schwer haben, ein Angebot zu machen, das viele Bürgerinnen und Bürger interessiert. Diejenigen Parteien haben hier im Osten - und das hat durchaus Modellcharakter auch für Wahlen in ganz Deutschland - einen Vorteil, die ein ganz bestimmtes Thema, ein ganz bestimmtes Ressentiment oder eine bestimmte Zukunftsidee nach vorne tragen. Und da gewinnt die AfD zum Beispiel im Vergleich mit den Linken, deren Erzählungen jetzt 30 Jahre nach der Wiedervereinigung langsam zu Ende gehen und deren Zielgruppe auch wegstirbt.

DOMRADIO.DE: Sie haben in den vergangenen Woche auch eine Podiumsdiskussion mit dem Titel "Kirche hat die Wahl" in Dresden organisiert. Was hat denn Kirche mit den aktuellen Wahlergebnissen in Sachsen Ihrer Meinung nach zu tun?

Greifenstein: Sie hat damit zunächst zu tun, dass natürlich Christinnen und Christen auch Wähler sind. Sie ist aber auch immer wieder dadurch herausgefordert, dass ein eher unterrepräsentativer Anteil der Wählerschaft der AfD in den Kirchen gebunden ist. Das wissen wir aus Untersuchungen.

Und dann hat natürlich die Kirche auch deshalb etwas mit der Wahl zu tun, weil sie den Anspruch erheben kann zu sagen: "Wir sprechen vom Evangelium aus in diese Gesellschaft hinein und deshalb natürlich auch zu Menschen, die nicht kirchlich gebunden sind."

DOMRADIO.DE: Sie haben die Positionierung der Kirchen im Wahlkampf bis auf wenige Ausnahmen als zu vage kritisiert. Jetzt sind ja Wahlempfehlungen in Deutschland nicht erlaubt. Was hätten denn Kirchenvertreter Ihrer Meinung nach konkret tun sollen? Woher kommt diese Zurückhaltung?

Greifenstein: Das Erstaunliche ist ja, dass wir gar keine Zurückhaltung - was die Menge angeht - erlebt haben. Vielmehr leben wir in einer Zeit, in der sich die Kirchen oder unterschiedliche Organisationen im Raum der Kirche tatsächlich politisch äußern. Nur passiert das ganz häufig in einer Sprache, die ich als "luftig unkonkret" bezeichnen würde und die ein bisschen über den Verhältnissen steht. Da wünsche ich mir schon eine stärkere Konkretisierung.

In Sachsen lässt sich das ganz einfach am Beispiel der Religionsfreiheit durchspielen. Die AfD fordert ein Schächtungsverbot ohne Ausnahmen und ein Beschneidungsverbot. Hier hätten auch die Kirchen ganz konkret sagen können: "Nein, das tragen wir nicht mit. Da sprechen wir uns dagegen aus." Denn das verunmöglicht ja jüdisches und muslimisches Leben und betrifft damit auch ganz konkret Menschen, die mit den Christen in Ostdeutschland geschwisterlich zusammenleben.

DOMRADIO.DE: Was heißt das jetzt für die Kirchen in Zukunft, für die nächsten fünf Jahre?

Greifenstein: Ich denke, die Kirchen tun gut daran, sich ein wenig hin zu anderen Partnern zu öffnen, die sich gemeinsam mit ihnen für Religionsfreiheit und für ein respektvolles Miteinander einsetzen. Das sind vielleicht gar nicht mehr die Partner, die die Kirchen in den letzten 30 Jahren ganz konkret in Sachsen gefunden haben. Da gibt es schon eine Melange aus der CDU und den Kirchen - der evangelischen wie auch der katholischen Kirche.

Vielleicht tun die Christinnen und Christen in Ostdeutschland und in Sachsen konkret gut daran, sich umzuschauen und sich zu fragen, wer denn heute und in Zukunft die Partner sind, mit denen wir unsere Inhalte wie Bewahrung der Schöpfung, Gerechtigkeit und Friedenssicherung umsetzen können.

DOMRADIO.DE: Zum Beispiel?

Greifenstein: Ich denke, dass es in Sachsen ganz viele Beispiele von Vereinen und demokratischen Initiativen gibt, die sich jeden Tag gegen den Rechtstrend in dieser Gesellschaft stellen und die bisher vielleicht den Eindruck gewinnen mussten, dass die Kirche nicht unverbrüchlich an ihrer Seite steht. Gerade dann, wenn die Kirche wieder vermittelnd eintritt, entsteht der Eindruck, dass die Kirche eben auch Verständnis für diejenigen hat, die diesen demokratischen Rechtsstaat angreifen.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Quelle:
DR