Deutsche Friedens- und Konfliktforscher haben die Bundesregierung zu einem verstärkten Engagement gegen ein neues Wettrüsten mit Atomwaffen aufgerufen. Die nukleare Weltordnung sei in akuter Gefahr und mit ihr die Stabilität des internationalen Systems, heißt es in dem in Berlin veröffentlichen Friedensgutachten 2019.
"Die nach dem Kalten Krieg vereinbarte Abrüstung zwischen den nuklearen Supermächten ist blockiert, und ein neues Wettrüsten zeichnet sich ab; bestehende Rüstungskontrollverträge werden gekündigt oder laufen in Kürze aus; regionale Nuklearkrisen drohen zu eskalieren", heißt es in dem Papier weiter. Das Risiko einer nuklearen Katastrophe steige wieder. Deutschland müsse entschlossener als bislang eine auf nukleare Abrüstung gerichtete Außen- und Sicherheitspolitik verfolgen.
Die Forscher raten der Bundesregierung, neue strategische Bündnisse für eine Friedenspolitik zu suchen. Zugleich gehörten bestehende Bündnisse auf den Prüfstand. "So ist es in Mali, wo eine Regierung zu Gewalt und Repression beiträgt, problematisch, sich allein auf staatliche Akteure als Partner zu stützen", heißt es in dem Gutachten. Die Forscher fordern zudem Rüstungsexportkontrollen zu verstärken und eine Erosion der Beziehungen zwischen der Nato und Russland zu verhindern.
Das Friedensgutachten wird vom Bonn International Center for Conversion (BICC), dem Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und dem Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) erarbeitet. (dpa/Stand 04.06.2019)
04.06.2019
Wie ist es um den Frieden auf der Welt bestellt? Nicht gut, sagt die Konfliktforscherin Claudia Baumgart-Ochse. Sie hat gemeinsam mit Kollegen ein aktuelles Friedensgutachten erstellt und sagt: Sogar Laien können am Frieden mitwirken.
DOMRADIO.DE: Sind wir mit dem Frieden auf einem guten Weg oder eher nicht?
Dr. Claudia Baumgart-Ochse (Projektleiterin beim Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung): Leider nicht besonders gut. Wir sehen nach wie vor eine Zunahme von Konflikten - vor allen Dingen zwischen nichtstaatlichen Akteuren. Denken Sie an die Ausbreitung von dschihadistischen Rebellengruppen beispielsweise in Afrika, aber auch von Drogenkartellen in Lateinamerika. Es gibt eine große Zunahme von nichtstaatlichen Konflikten. Die Anzahl der Toten durch Gefechte geht insgesamt zurück. Aber die Konflikte nehmen weiterhin zu. Brennpunkte gibt es auch im Jemen und in Syrien. Das sind natürlich ganz dramatische Situationen dort.
DOMRADIO.DE: Das Friedensgutachten wird seit 1987 erstellt und ist ein Gemeinschaftsprojekt von insgesamt vier Friedensforschungsinstituten. Wie kann man Frieden eigentlich messen?
Baumgart-Ochse: Es gibt sehr unterschiedliche Arten, das zu tun. Wir sagen immer gerne: Frieden ist sozusagen die Abnahme von Gewalt und Zunahme von Gerechtigkeit. Das sind Gesellschaften, in denen man Konflikte und Streit auf eine friedliche Art beigelegt. Da würde ich schon von Frieden sprechen. Das bedeutet nicht, dass man nicht mehr streitet oder dass es keine Konflikte gibt. Konflikte sind wichtig, damit man sich auseinandersetzt und über die Dinge in Streit gerät. Aber es bedeutet, dass es nicht mit Gewalt getan wird.
DOMRADIO.DE: Am Friedensgutachten sind die unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen beteiligt. Ziel ist auch die Beratung der Politik. Was können Sie denn der Politik mit auf den Weg geben?
Baumgart-Ochse: Wir haben eine ganze Reihe von Experten im Bereich der Rüstungskontrolle, im Bereich internationale Organisationen, Menschen, die sich mit Flucht und Gewalt beschäftigen oder auch mit transnationalen Sicherheitsrisiken. Es gibt ja sehr viele Themen, zu denen wir Experten haben.
Die Experten tragen erst mal Analysen zusammen, und aus diesen Analysen leiten wir tatsächlich auch Empfehlungen ab: Wie man vorangehen könnte, wie man beispielsweise die Rüstungskontrolle wieder auf einen guten Weg bringen kann, wie man versuchen könnte, Partner zu finden, um beispielsweise in der Nuklearwaffen-Frage neue Wege einzuschlagen. Wir versuchen schon, konkrete Empfehlungen zu geben und die sind im Friedensgutachten auch ganz prominent aufgelistet.
DOMRADIO.DE: Schon im Gutachten von 2018 wurde insbesondere von der Europäischen Union und auch von Deutschland mehr Engagement für den Frieden gefordert. Gilt das heute immer noch und wie könnte dieses Engagement zum Beispiel von Deutschland aussehen?
Baumgart-Ochse: Das gilt natürlich immer noch, denn wir haben ja nicht zuletzt durch die Trump-Regierung quasi einen Ausfall eines wichtigen Landes in vielen multilateralen Fragen der internationalen Zusammenarbeit. Trump macht nicht so mit, zieht sich aus vielen Verträgen zurück - beispielsweise in der Rüstungskontrolle. Das ist ein großes Problem und wir in Deutschland haben schon eine große Verantwortung, da gewissermaßen einzuspringen und neue Allianzen zu schmieden. Deswegen sagen wir auch dieses Jahr durchaus, dass ein neues Engagement oder ein stärkeres Engagement in der Welt wichtig ist. Denn wir wollen ja eine friedliche Welt und das kommt auch uns zugute.
DOMRADIO.DE: Das Gutachten richtet sich hauptsächlich an die Politik, aber auch die Kirche ist politisch aktiv. Können Sie der Kirche da etwas empfehlen oder reichen da die mahnenden Worte wie beispielsweise von Papst Franziskus?
Baumgart-Ochse: Wenn Papst Franziskus mahnt, finde ich es immer schon mal gut. Das ist ganz hervorragend. Ich denke, die Kirche hat in vielen Ländern nach wie vor eine hohe moralische Autorität. Auf der anderen Seite gibt es ja auch kirchliche Organisationen - wie beispielsweise Sant'Egidio, der katholische Laienorden in Rom -, die in Konflikten vermittelt haben. Die haben also eine sehr aktive Rolle eingenommen - beispielsweise im Bürgerkrieg in Mosambik. Da haben sie tatsächlich geholfen, Friedensprozesse und Friedenslösungen voranzubringen. Sogar für Laien gibt es große Chancen, für den Frieden zu wirken.
Das Interview führte Carsten Döpp.
Deutsche Friedens- und Konfliktforscher haben die Bundesregierung zu einem verstärkten Engagement gegen ein neues Wettrüsten mit Atomwaffen aufgerufen. Die nukleare Weltordnung sei in akuter Gefahr und mit ihr die Stabilität des internationalen Systems, heißt es in dem in Berlin veröffentlichen Friedensgutachten 2019.
"Die nach dem Kalten Krieg vereinbarte Abrüstung zwischen den nuklearen Supermächten ist blockiert, und ein neues Wettrüsten zeichnet sich ab; bestehende Rüstungskontrollverträge werden gekündigt oder laufen in Kürze aus; regionale Nuklearkrisen drohen zu eskalieren", heißt es in dem Papier weiter. Das Risiko einer nuklearen Katastrophe steige wieder. Deutschland müsse entschlossener als bislang eine auf nukleare Abrüstung gerichtete Außen- und Sicherheitspolitik verfolgen.
Die Forscher raten der Bundesregierung, neue strategische Bündnisse für eine Friedenspolitik zu suchen. Zugleich gehörten bestehende Bündnisse auf den Prüfstand. "So ist es in Mali, wo eine Regierung zu Gewalt und Repression beiträgt, problematisch, sich allein auf staatliche Akteure als Partner zu stützen", heißt es in dem Gutachten. Die Forscher fordern zudem Rüstungsexportkontrollen zu verstärken und eine Erosion der Beziehungen zwischen der Nato und Russland zu verhindern.
Das Friedensgutachten wird vom Bonn International Center for Conversion (BICC), dem Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und dem Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) erarbeitet. (dpa/Stand 04.06.2019)