Zum Kanzler-Sturz in Österreich

Böses Erwachen nach Europawahl

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und sein Kabinett sind von der Opposition mit einem Misstrauensvotum gestürzt worden. Ein historischer Akt, meint der Chefredakteur von Radio Stephansdom. Doch das letzte Wort sei noch nicht gesprochen.

Sebastian Kurz, (Noch-) Bundeskanzler von Österreich / © Roland Schlager (dpa)
Sebastian Kurz, (Noch-) Bundeskanzler von Österreich / © Roland Schlager ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sebastian Kurz hat das Misstrauensvotum verloren. Sein Sturz war irgendwie nach der Ibiza-Affäre nicht anders zu erwarten, oder?

Christoph Wellner (Chefredakteur Radio Stephansdom): Na ja, das würde ich so nicht ausdrücken. Nach der Ibiza-Affäre hatte er die Reißleine gezogen und sich von der FPÖ getrennt. Und es hat jetzt lange Zeit so ausgesehen, als ob es zu einem Misstrauensantrag gegen ihn allein käme. Da hat es auch noch einige Zeit die Variante gegeben, dass der Antrag eingebracht wird, aber dann nicht durchgeht.

Gestern Abend ist dann sehr überraschend - weil dieser Misstrauensantrag gegen den Kanzler als Einzelperson von einer sehr kleinen Oppositionspartei gekommen wäre - nach einer Präsidiumssitzung der größten Oppositionspartei SPÖ, der Sozialdemokratischen Partei, durchgesickert, dass dieser Misstrauensantrag gegen die gesamte Regierung gestellt wird.

DOMRADIO.DE: Dass Bundeskanzler Kurz jetzt in irgendeiner Form Verantwortung als Kanzler übernehmen muss, kann man sich denken. Aber warum das gesamte Kabinett?

Wellner: Das ist eine gute Frage, auf die ich ehrlich gesagt keine richtige Antwort habe. Ich habe jetzt gerade noch einmal die Zusammenfassung der Argumente der Opposition gesehen. Man unterstellt dem (Noch-)Bundeskanzler, er hätte in dieser Expertenregierung, die er jetzt kreiert hat, nachdem die Minister die Regierung verlassen mussten, eine ÖVP-Alleinregierung zusammengezimmert. Die Objektivität der Experten, die in die Regierung gekommen sind, wurde hier in Zweifel gezogen. Ich habe mir noch einmal kurz die Biografien angesehen. Da muss man schon sehr böswillig sein, um das so auszudrücken.

DOMRADIO.DE: Inwieweit spielt denn das Ergebnis der Europawahl eine Rolle bei diesem Misstrauensvotum?

Wellner: Für das Misstrauensvotum würde ich sagen, hat es gar keine Rolle gespielt. Es ist die Frage, was ab jetzt passiert. Ich denke, es wird viele Österreicherinnen und Österreicher geben, die nicht die größten Fans von Sebastian Kurz sind, die aber doch anerkennend zur Kenntnis genommen haben, dass gestern ein historisch gutes Ergebnis für die österreichische Volkspartei zustandegekommen ist und ein historisch schlechtes für die Sozialdemokraten. Und dass am Tag danach die Sozialdemokraten dem erfolgreichen Bundeskanzler das Misstrauen aussprechen, ist vielleicht nicht unbedingt einfach zu verstehen.

DOMRADIO.DE: Sie meinen, die Sozialdemokraten haben es Kurz heimgezahlt?

Wellner: So kann man es auch ausdrücken.

DOMRADIO.DE: Wie sollte es denn jetzt weitergehen in Österreich - wird sich Kurz noch einmal bei Neuwahlen aufstellen lassen?

Wellner: Ganz sicher. Es gibt noch überhaupt keine Äußerungen dazu. Es hat, wie ich finde, auch etwas Historisches gegeben, dass nach diesem Misstrauensantrag - der erste, der durchgegangen ist - die Regierung aufgestanden ist und das Parlament verlassen hat. Das war schon ein Anblick, den man eigentlich nicht gerne sehen möchte.

Aber ich bin überzeugt davon, dass Sebastian Kurz wiederkommen wird. Man könnte jetzt auch ein bisschen schnippisch sagen: Jetzt hat er mehr Zeit zum Wahlkämpfen, weil er ja die Aufgaben als Bundeskanzler nicht mehr erledigen muss.


Quelle:
DR