Katholischer Journalist zum Begriff "christliches Abendland"

"Europa soll ein christlicher Kontinent bleiben"

Ist der Begriff vom "christlichen Abendland" ausgrenzend? Reinhard Kardinal Marx kritisiert seine Verwendung, denn er verkenne europäische Herausforderungen. Dafür bekommt er jetzt Gegenwind.

Kirche und Moschee / © Ronald Wittek (dpa)
Kirche und Moschee / © Ronald Wittek ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie fragen, ob durch die Vermeidung des Begriffs "christliches Abendland" auch der Anspruch verloren geht, Kultur durch Glaube zu prägen. Aber stimmt das?

Oliver Maksan (Chefredakteur der Katholischen Zeitung "Die Tagespost"): Es ist immer gut, etwas in eine griffige Formel zu bringen. Ich halte es für hochproblematisch, einen Begriff, der Jahrhunderte alt ist, der seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar ist und in dem sich ein kulturelles Selbstverständnis verdichtet hat, einfach so im Plauderton vom Podiumssessel aus abzuräumen. Man kann im Rahmen eines solchen Gesprächs versuchen, den Begriff gegen falsche Vereinnahmungen abzugrenzen, man kann auf eine mögliche problematische Geschichte hinweisen. Wenn man ihn aber einfach ablegt, fehlt die griffige Formel. Und die Deutung liegt nahe, dass man dann auch darauf verzichtet, Kultur durch Glaube prägen zu wollen, denn genau diesen erfolgreichen Anspruch gibt ja dieser Begriff eigentlich wieder.

DOMRADIO.DE: Aber auch unter Historikern besteht gegenüber dem Begriff des christlichen Abendlandes Skepsis. Dieser sei als Kampf- oder Ausgrenzungsbegriff gegenüber äußeren Feinden verwendet worden, sagt zum Beispiel Wolfgang Benz. Hat Kardinal Marx damit nicht die Wissenschaft eher auf seiner Seite?

Maksan: Sie können jeden Begriff dekonstruieren. Wenn Sie das Mikroskop nur klein genug stellen, sehen sie aber auch nichts mehr. Historisch ist es zweifellos so, dass unser Kulturraum Europa, im engeren Sinne auch der Westen Europas, durch das Christentum geworden ist. Mir ist völlig klar, dass es da auch andere Quellen gibt. Unser erster Bundespräsident Theodor Heuss hat ja auch von den drei Hügeln gesprochen, Athen, Rom und Jerusalem, die alle auf ihre Weise mit reinspielen – so auch das Germanentum. Es gibt ganz unterschiedliche Quellen.

Die Klammer scheint mir aber tatsächlich das Christentum zu sein. Dass es seit der Romantik oder heute im 20. Jahrhundert mit Pegida Leute gibt, die diesen Begriff für ihre Zwecke nutzen wollen, mag sein. Aber der Kardinal hat ja auch nicht davor zurückgeschreckt, den Kreuzerlass des Ministerpräsidenten Söder zu kritisieren – im Sinne der unzulässigen Vereinnahmung eines genuin christlichen Symbols. Man hätte auch hier versuchen können, sich abzugrenzen, ohne deswegen den Begriff abzuräumen.

DOMRADIO.DE: Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer sieht das wohl auch so: Die Deutungshoheit über den Begriff dürfe man nicht denen überlassen, die nationalistische Interessen damit verbinden. Meinen Sie, dass es gelingen kann, diesen Begriff positiv zu besetzen?

Maksan: Es kommt immer darauf an, wo Sie herkommen. Für mich ist der Begriff nie negativ besetzt gewesen. Das mögen andere Leute anders sehen. Man muss es versuchen. Natürlich ist es nicht die Aufgabe der Kirche, um einzelne Begriffe zu streiten. Aber was wollen Sie denn an die Stelle dieses Begriffs setzen? Historisch führt kein Weg daran vorbei.

Normativ ist es auch nicht unser Auftrag, für Pluralismus einzutreten. Die Kirche hat mit Pluralismus kein Problem. In allererster Linie aber muss sie, um dem Auftrag ihres Gründers treu zu bleiben, die Kultur christianisieren – indem sie Menschen davon überzeugt, dass der christliche Glaube der wahre Glaube ist, in dem sie ihr Heil finden. Von daher wird dann die Kultur christlich. Und diesen Anspruch bringt der Begriff "christliches Abendland" zum Ausdruck.

DOMRADIO.DE: Eine Priestergruppe aus dem Erzbistum Paderborn fordert jetzt sogar den Rücktritt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx. Wie blicken Sie jetzt auf diese durchaus aufgeheizte innerkirchliche Debatte?

Maksan: Rücktrittsforderungen mache ich mir ausdrücklich nicht zu eigen. Ich halte das für eine falsche Politisierung des innerkirchlichen Raums. Der Kardinal muss sich aber gefallen lassen, dass man ihn in dieser Frage kritisiert. Ich glaube, er liegt schlichtweg falsch. Das ist doch jetzt eine schöne Gelegenheit, um darüber zu debattieren und um auf unser geschichtliches Erbe zu schauen, auf das wir sehr stolz sein können. Und daraus können wir neue Kraft schöpfen, dass wir den Anspruch nicht aufgeben und Europa ein christlicher Kontinent bleiben soll und da, wo er es nicht mehr ist, wieder wird.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR