Überlegungen zur Frage "Staat ohne Gott?"

Verfassungsrechtler diskutieren

Wie neutral muss ein Staat in Bezug auf Weltanschauungen heute sein? Und passt da am Ende noch Gott in die Präambel der Verfassung? Darüber tauschten sich nun in Bayern zwei Verfassungsrechtler aus – kontrovers und teilweise klärend.

Autor/in:
Barbara Just
Wie stehen Staat und Kirche zueinander? / © EPA/Grzegorz Michalowsk (dpa)
Wie stehen Staat und Kirche zueinander? / © EPA/Grzegorz Michalowsk ( dpa )

"Der säkulare Staat" - so wollte Horst Dreier sein aktuelles Buch nennen, in dem der Würzburger Verfassungsrechtler eine streitbare Analyse über Religion in der säkularen Moderne abliefert.

"Viel zu langweilig", habe das Urteil des Verlags gelautet. Am Ende kam der Titel "Staat ohne Gott" heraus. Für den setzte sich der Jurist noch einmal hin und schrieb eine einordnende Einleitung für seine Thesen. Denn eine "Streitschrift für einen kämpferischen Atheismus" sollte es bewusst nicht sein, wie er am Montagabend in München versicherte.

Wachsendes Neutralitätsgebot?

Die Katholische Akademie in Bayern hatte den Titel, wenngleich mit einem Fragezeichen versehen, aufgegriffen und ihn zum Anlass für ein Streitgespräch mit dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof genommen. Heraus kam ein zivilisiertes Fachgespräch auf hohem Niveau, bei dem beide Seiten durchaus Einschätzungen teilten, Gegensätze benannten und diese teilweise klären konnten.

Ausdrücklich betont Dreier, dass Staat ohne Gott nicht Welt ohne Gott bedeute. Genau so wenig wie Gesellschaft ohne Gott oder gar Mensch ohne Gott. Aber die Demokratie des Grundgesetzes sei mit jeder Form eines "Gottesstaates" oder eines christlichen Staates gänzlich unvereinbar. Die Entwicklung Deutschlands hin zu einer multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft habe neue Konfliktfelder zwischen den Anhängern verschiedener Glaubensrichtungen sowie zwischen ihnen und der Staatsgewalt entstehen lassen. Als das Grundgesetz 1949 in Kraft trat, gehörten die Bürger der Bundesrepublik noch zu über 90 Prozent den zwei christlichen Kirchen an, mittlerweile sind es weniger als 50 Prozent.

Angesichts der Debatte um einen "Zusammenprall" von Kulturen und die Herausforderung freiheitlicher westlicher Gesellschaften durch den Islam sei eine Besinnung auf die Grundstrukturen des säkularen Staates geboten, zeigte sich Dreier überzeugt. Die Bedeutung des Neutralitätsgebots werde wachsen, denn staatliche Neutralität wirke integrativ und ermögliche so Religionsfreiheit.

Kirchhof lobte die "anschauliche Sprache und scharfsinnige Analyse" seines Kollegen. Doch stellte sich für ihn etwa die Frage: Kann ein demokratischer Staat ohne Gott sein, wenn seine Bürger mit Gott leben? Er erinnerte daran, dass das Grundgesetz bewusst die Sonn- und Feiertage schütze, und damit auch Areligiöse diese Tage zur Arbeitsruhe und seelischen Erbauung nutzen könnten.

"Wohlwollende Neutralität" des Staates gegenüber den Kirchen

Religionsgemeinschaften wiederum werde der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts angeboten. Die Grundloyalität der Kirchen zum staatlichen Recht mache es auch möglich, dass vom Staat gegen Gebühr die Kirchensteuer eingezogen werde.

Diese "wohlwollende Neutralität" des Staates gegenüber den Kirchen wird vom Bundesverfassungsgericht immer wieder betont. Vor allem der Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde brachte diesen Begriff ins Spiel. Er ist so bekannt wie Böckenfördes berühmtes Diktum, wonach der Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne. Die Christen seien es unter anderen, die mit ihren Werten prägend wirkten.

Doch der Staat müsse sich vergewissern, was in den Religionen passiere, so Kirchhof. Sollte zum Terror aufgerufen werden, habe er die Aufgabe, die Bürger zu schützen. Anders sieht es laut Dreier aus, wenn es um die Glaubenswahrheiten der Religionen geht: Darin habe sich der Staat nicht einzumischen. Die Herausforderung in Bezug auf den Islam wiederum bestehe darin, die richtigen Ansprechpartner für die knapp fünf Millionen Muslime in Deutschland zu finden.

Und wie ist die Präambel "im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott" zu sehen? Dreier sprach von einer Demutsformel, mit der eine Absage an den totalitären Staat verbunden sei. Kirchhof zeigte sich optimistisch, dass eine solche Formulierung noch heute möglich wäre. Die Leute seien wieder sensibel für solche Fragen.


Paul Kirchhof, Bundesverfassungsrichter a.D. / © Achim Pohl (KNA)
Paul Kirchhof, Bundesverfassungsrichter a.D. / © Achim Pohl ( KNA )
Quelle:
KNA