Jesuiten-Flüchtlingsdienst zur Änderung des Asylrechts von 1993

"Kompromiss zulasten der Flüchtlinge"

Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst sieht in dem 1993 beschlossenen Asylkompromiss ein Fanal. Denn er habe der Gesellschaft "großen Schaden" zugefügt. Ein Gespräch über Folgen und Alternativen.

1993 wurde das Asylverfahren geändert - ein schlechter Kompromiss? / © Patrick Pleul (dpa)
1993 wurde das Asylverfahren geändert - ein schlechter Kompromiss? / © Patrick Pleul ( dpa )

epd: Tumulte am Bundestag, heiße Wortgefechte im Parlament, eine Mammutsitzung mit 93 Rednern. Wie bewerten Sie in der Rückschau die Entscheidung vom 26. Mai 1993, das Grundgesetz zu ändern?

Pater Frido Pflüger, SJ (Direktor des Jeusiten-Flüchtlingsdienstes und Flüchtlingsseelsorger im Erzbistum Berlin): Der gravierende Einschnitt in das Grundgesetz war ein Fanal. Er ging zulasten der Schutzsuchenden. Und er fügte der Gesellschaft in Deutschland großen Schaden zu.

epd: Warum?

Pflüger: Seitdem wird das gesellschaftliche Denken zunehmend durch Verteilungskämpfe geprägt, bei denen die Schwächsten, vor allem die "Fremden" und Schutzsuchenden, am schlechtesten wegkommen. Sie sind die ersten Opfer einer institutionalisierten Entsolidarisierung. An ihnen werden gravierende Rechtsbeschränkungen zuerst ausprobiert, bevor sie auf die übrige Bevölkerung ausgedehnt werden.

epd: Das müssen Sie erklären.

Pflüger: 25 Jahre "Asylrechtsreform", das heißt auch 25 Jahre Asylbewerberleistungsgesetz. Der darin Praxis gewordene Gedanke, dass man Menschen noch am Existenzminimum etwas abknapsen kann, ist bereits Allgemeingut. Das erleben inzwischen auch deutsche Hartz-IV-Empfänger.

epd: Viele Flüchtlingsinitiativen sehen den 26. Mai noch immer als rabenschwarzen Tag. Wie stehen die Jesuiten dazu?

Pflüger: Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die weitere Entwicklung etwas anders verlief, als man 1993 voraussagte. Heute spielt zwar das Asylgrundrecht in der Praxis kaum eine Rolle, aber es werden trotzdem viele Menschen als Schutzberechtigte anerkannt. Das ist die Folge einer europäischen Rechtsentwicklung, der die deutschen Gesetze angepasst werden mussten.

epd: Der Druck der Straße war hoch, Asylbewerberheime brannten. Musste die damalige Bundesregierung so handeln, wie sie es tat?

Pflüger: Nein. Die Fremdenfeindlichkeit wurde ja von interessierter politischer Seite geschürt. Die 1982 an die Macht gekommene christliberale Koalition hätte sich ihr entschieden entgegenstellen sollen. Dafür hätte sie, da bin ich sicher, auch Mehrheiten bekommen.

epd: Kritiker sahen in dem Beschluss einen Scheinkompromiss, der zulasten Dritter, nämlich den umliegenden, für sicher erklärten Staaten ging.

Pflüger: Der Kompromiss ging vor allem zulasten der Flüchtlinge. Denn nun werden Menschen in Europa hin- und hergeschoben. Man hat mit der sogenannten Dublin-Verordnung den zweiten Schritt vor dem ersten getan: Erst einmal hätte man dafür sorgen müssen, dass überall in Europa zumindest annähernd gleiche Chancen bestehen, als Flüchtling anerkannt zu werden und wirksamen Schutz zu bekommen. Das ist aber nicht passiert.

epd: Viele Redner im Bundestag betonten vor 25 Jahren, dass auch diese Reform des Asylrechts die Probleme des Zuzuges nach Deutschland nicht lösen werde. Was wäre die Alternative gewesen?

Pflüger: Die Alternative wäre das gewesen, was wir heute immer noch fordern: Beseitigung der Fluchtursachen. 

epd: Sie werben vehement dafür, eine EU-weite Regelung für Asylbewerber zu finden. Angesichts der strikten Ablehnung einiger Staaten im Osten der EU scheint das kaum realistisch?

Pflüger: Trotzdem werden wir weiter dafür eintreten, dass Europa Menschen Schutz bietet, die vor Menschenrechtsverletzungen, Krieg und Gewalt fliehen mussten. Auch in den von Ihnen genannten Ländern können am Ende die Bürgerinnen und Bürger klüger sein als ihre Regierungen.

Dirk Baas


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