Geschlechterneutrale Begriffe in Nationalhymne und Liturgie?

Nicht nur Vaterland und Mutter Erde

Der Streit um den Text der Nationalhymne sitzt tief verwurzelt in der deutschen Sprache, die eine sehr komplexe ist. Auch bei liturgischen Texten gibt es immer wieder Auseinandersetzungen um geschlechterspezifische Begriffe.

Deutsche Fans singen die Nationalhymne / © Rene Tillmann (dpa)
Deutsche Fans singen die Nationalhymne / © Rene Tillmann ( dpa )

Es ist ein Vorstoß der Gleichstellungsbeauftragten des Bundesfamilienministeriums, Kristin Rose-Möhring (SPD), der seit einigen Tagen für Aufruhr sorgt. In einem Rundbrief schlägt Rose-Möhring vor, den Wortlaut der deutschen Nationalhymne in eine geschlechtsneutrale Sprache umzuändern.

Aus "Vaterland" solle demnach "Heimatland" werden, aus "brüderlich mit Herz und Hand" "couragiert mit Herz und Hand". In großen Teilen der Bevölkerung stößt dieser Vorschlag auf Ablehnung. Mittlerweile haben sich auch die Bundeskanzlerin und der Bundespräsident dazu geäußert und bekundet, dass die dritte Strophe vom "Lied der Deutschen" so bleiben solle, wie sie ist.

Komplexität der deutschen Grammatik

Im Streit um den Gebrauch der vornehmlich männlichen Varianten von Begriffen, die sowohl Männer als auch Frauen betreffen, gilt es zu unterscheiden, ob diese nur um die weibliche Form ("Studentinnen und Studenten") ergänzt oder stattdessen geschlechtsneutrale Formen ("Studierende") verwendet werden. Gerade letzte Variante findet immer mehr Anhänger, weil ein konsequentes Nennen beider Geschlechter zu undurchschaubaren Sätzen mutieren kann.

Dies ist auch der Komplexität der deutschen Grammatik geschuldet, die ja bekanntlich drei Geschlechter kennt. So richtet sich zum Beispiel das Possessivpronomen (besitzanzeigendes Fürwort) nicht nur wie im Englischen nach dem Geschlecht des Besitzers ("her" und "his") oder wie im Lateinischen nach dem des Besitzes ("suus", "sua" und "suum") sondern nach beidem ("sein[e]" und "ihr[e]").

Für das beide biologischen Geschlechter umfassende deutsche Wort "Geschwister" gibt es in anderen Ländern kaum Entsprechungen. Der Italiener verwendet dafür das Wort "fratelli", und das bedeutet auch "Brüder". In Frankreich leitet sich "fratrie" vom Wort "frère" ab, das ebenfalls für "Bruder" steht. Insofern ist auch klar, dass man in beiden Ländern im Gegensatz zum etwas neudeutsch klingenden Wort "Geschwisterlichkeit" bei "fraternité" bzw. "fraternità" bleibt. Lediglich im Englischen ist noch das Wort "siblings" für Geschwister bekannt.

Bewahrende Kraft des Luthertums im Kirchenlied

Auch in der Kirche gibt es seit langer Zeit Bestrebungen, Kirchenlieder und liturgische Texte entsprechend anzupassen. In einer etwas unglücklichen Aktion wurden in den neunziger Jahren in den katholischen Gesangbüchern entsprechende Textstellen überklebt, was manche Kritiker zur Aussage verleitete, wer Texte überklebe, verbrenne auch Bücher. Aus "Er lasse uns wie Brüder sein" wurde so "Er lasse uns Geschwister sein". Wenn das Metrum es nicht anders zuließ, musste eben aus dem Vokativ "Lasst uns loben, Brüder, loben" ein Adverb "Lasst uns loben, freudig loben" werden.

Bei einem Lied allerdings bissen die Neutexter auf Granit: Martin Luthers dritte Strophe von "Gott sei gelobet und gebenedeiet" blieb wie sie ist, so dass die Gläubigen an dieser Stelle immer noch die ‚brüderliche Treue‘ besingen. Hier hat die bewahrende Kraft des Luthertums wohl dem Sturm des Zeitgeistes standgehalten. Ähnliches widerfuhr auch Matthias Claudius' bekanntem "Der Mond ist aufgegangen" im neuen Gotteslob. In der fünften Strophe sind es die "Brüder" geblieben, die sich nun in Gottes Namen hinlegen mögen.

In offiziellen Kirchen-Texten wird meist nach wie vor nur von "Christen" gesprochen, wie auch Katholiken zur Gottesmutter beten, sie solle "für uns Sünder" bitten. Analog dazu sind es auch weiterhin die "Täter", nach denen die Polizei fahndet.

Mutter Erde und Vaterland als Allegorie

Die Anrede Gottes als "Vater" im Gebet des Herrn wird auch gelegentlich zum Stein des Anstoßes, so dass selbst Pfarrer diesen Text mit den Worten "Unsere Mutter und unser Vater im Himmel …" beginnen. Allerdings geht es hier gar nicht darum, Gott einer bestimmten Geschlechtlichkeit zuzuordnen. Benedikt XVI. sieht in der überlieferten Anrede "Vater" ein geeignetes Mittel, die Andersheit von Schöpfer und Geschöpf und damit die Souveränität von letzterem zum Ausdruck zu bringen, wie er in seinen Jesus-Büchern schreibt. Der Bezug zur Mutter, die einen Menschen vor der Geburt in ihrem Leib getragen und ernährt hat, ist von einer anderen Empathie geprägt als der zum Vater.

Insofern wird auch deutlich, warum die Begriffe "Muttersprache" und "Mutter Erde" (ganz wie der "Mutterboden") einen anderen Sinn haben als "Vaterland". Diese allegorische Darstellung zeigt die Erde als etwas, zu dem der Mensch in größerer Abhängigkeit steht als zu "Vater Staat", dem er durch Auswanderung auch den Rücken zukehren und fernab der alten Heimat ein neues Leben beginnen kann. Seine Muttersprache verlernt er jedoch nicht ganz so schnell. Ebenso wird er weiterhin auf die Früchte angewiesen sein, welche die Erde ihm spendet.


Quelle:
DR