Pflichtbesuch für jeden in Konzentrationslagern?

Einladen ja, zwingen nein

Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli ist für verpflichtende Besuche in KZ-Gedenkstätten - von Deutschen und Migranten. Der Pfarrer der Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau ist sich aber nicht sicher, ob Zwang der richtige Weg ist.

KZ-Gedenkstätte Dachau / © Andreas Gebert (dpa)
KZ-Gedenkstätte Dachau / © Andreas Gebert ( dpa )

DOMRADIO.DE: Dass möglichst viele Menschen eine KZ-Gedenkstätte besuchen, ist natürlich auch Ihr Anliegen. Finden Sie Pflichtbesuche denn auch sinnvoll?

Björn Mensing (Evangelischer Pfarrer der Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau): Unter bestimmten Voraussetzungen, ja. Seit 2005 mache ich im Rahmen meiner hauptberuflichen Tätigkeit in der KZ-Gedenkstätte in Dachau Führungen. Die meisten Gruppen, die ich begleite, sind keine kirchlichen Gruppen, sondern Schulklassen, die im Rahmen ihres Geschichtsunterrichts kommen. Die meisten davon kommen aus Bayern, wo es fester Bestandteil des Lehrplans in Geschichte ist, eine der beiden KZ-Gedenkstätten zu besuchen – entweder die in Dachau oder die in Flossenbürg. Diese Rundgänge erlebe ich als überwiegend sinnvoll. Es hängt natürlich davon ab, ob qualifizierte Führungen und Begleitungen durch die Gedenkstätte tatsächlich auch altersgemäß und zielgruppengemäß angeboten werden können.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt die Vorbereitung?

Mensing: Sicherlich ist es wünschenswert, dass der Besuch in der Gedenkstätte im Unterricht vorbereitet wird; dass also historische Kenntnisse über den zeitgeschichtlichen Zusammenhang der NS-Diktatur vorhanden sind. Auf der anderen Seite erlebe ich aber auch, dass der Besuch auch sinnvoll sein kann bei Gruppen, für die diese Vorbereitung aus unterschiedlichen Gründen vielleicht nicht möglich gewesen war. Denn er erhöht die Chance des Lernerfolgs.

DOMRADIO.DE: Die SPD-Poltikerin Sawsan Chebli erhofft sich von solchen Pflichtbesuchen, dass sie dem unter jungen Muslimen weit verbreiteten Antisemitismus entgegenwirken. Kann das in Ihren Augen funktionieren?

Mensing: Mit Blick auf meine Erfahrungen mit vielen Schulklassen, in denen sich ein hoher Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund befindet, erhoffe ich mir und bemühe mich darum, dass eine Sensibilisierung und Empathie im Blick auf die jüdischen KZ-Häftlinge geweckt wird. Ich halte es aber für problematisch, wenn jetzt der Besuch in einer KZ-Gedenkstätte verpflichtend als Bestandteil von Rassismus- und Semitismus-Prävention angesetzt wird.

DOMRADIO.DE: Sie wehren sich also gegen Instrumentalisierung?

Mensing: Ja, Mir ist es wichtig, dass das Erinnern am authentischen Ort bei einem Besuch einer KZ-Gedenkstätte im Mittelpunkt steht. Bei uns – und ich denke, das ist bei anderen Gedenkstätten genauso – liegt der Fokus auf der Vermittlung des Schicksals der Häftlinge; der Menschen, die dort eingesperrt und ihrer Würde beraubt wurden. An diese Menschen zu erinnern und sie auch einzelnen Besuchern während der Führung als Individuen näher zu bringen, sollte meiner Ansicht nach das Kernanliegen sein. Die Offenheit dafür entsteht eher, wenn es dabei nicht als ein von vornherein angesetztes Hauptziel proklamiert ist.

Ganz konkret: Manchmal kriege ich schon den Eindruck, dass Schüler mit entsprechendem Migrationshintergrund zu Beginn der Führung zum Teil vermitteln: "Das ist nicht meine Geschichte, das hat mich nicht zu interessieren und geht nur die Deutschen an. Es waren ja auch nur die Juden, die hier eingesperrt waren und gegen die ich irgendwelche Ressentiments habe oder vermittelt bekommen habe." Diese Haltung löst sich aber bei vielen in dem Moment auf, in dem ich ihnen von den türkischen und muslimischen Häftlingen berichte – aus Bosnien, aus Albanien, aus dem Kosovo – die ins Konzentrationslager verschleppt worden und dort zum Teil auch ermordet worden sind.

DOMRADIO.DE: Was also wäre Ihr Vorschlag: Auch auf Asylbewerber zugehen, sie zu KZ-Besuchen einladen, aber nicht verpflichten?

Mensing: Zugehen und einladen ja. Das haben wir in den letzten Jahren auch immer wieder gemacht. Darüber hinaus sollte man aber immer wieder gemeinsam mit den Geflüchteten und den Asylbewerbern auch ihre Situation und ihre Erfahrungen mit Rassismus heutzutage in Deutschland an diesem Ort thematisieren oder sie über die Gründe ihrer Flucht aus ihrer Heimat zu Wort kommen lassen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


"Arbeit macht Frei"-Tor in Dachau / ©  Peter Kneffel (dpa)
"Arbeit macht Frei"-Tor in Dachau / © Peter Kneffel ( dpa )
Quelle:
DR
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