Antisemitische und antiisraelische Straftaten nehmen in Deutschland wieder zu. Den Angaben der Bundesregierung zufolge wurden unter anderem 434 Fälle von Volksverhetzung, 15 Gewaltdelikte sowie 70 Fälle, die Sachbeschädigung betreffen, gezählt. Weitere Delikte betreffen etwa die Störung der Totenruhe oder Nötigung. Mehr als 90 Prozent der Straftaten wurden von deutschen Staatsangehörigen verübt. Von einer deutlich höheren Dunkelziffer ist auszugehen. 312 von 339 Tatverdächtigen waren Deutsche. Andere Straftäter kamen aus der Türkei, aus Tunesien, aus Algerien, Afghanistan oder Polen.
Bundesfamilienministerin Barley erklärte: "Wir dürfen in unserem Land nie wieder zulassen, dass Antisemitismus akzeptiert oder beiläufig toleriert wird". Dafür müsse die gesamte Gesellschaft einstehen. Das beste Mittel gegen Hass und Intoleranz bleibe Bildung und Mitmenschlichkeit.
"Wir erleben eine ungeahnte Renaissance antijüdischer Ressentiments und Verschwörungstheorien. Die Tabus sind gefallen", sagte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. "Pegida und Co. sowie die AfD haben diesen Virus in Deutschland ausbrechen lassen", erklärte Knobloch. Israelkritik sei zum Volkssport geworden. Auch Antisemitismus unter Muslimen sei eine enorme Bedrohung. Sie warf den muslimischen Verbänden vor, jahrzehntelang nichts gegen antisemitische Hassprediger getan zu haben. (KNA)
08.09.2017
Im ersten Halbjahr 2017 hat die Zahl antisemitischer Delikte leicht zugenommen. Viele dieser Taten werden von Rechtsextremisten begangen. Grünen-Abgeordneter Volker Beck warnt vor einer verzerrten Wahrnehmung.
domradio.de: Wie sicher leben Juden in Deutschland? Sie haben die Frage an die Bundesregierung gestellt. Wer sind die Tatverdächtigen?
Volker Beck (Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages und religionspolitischer Sprecher der Grünen): In der Statistik sind 312 von 339 Tatverdächtigten Deutsche. Das können natürlich Menschen mit deutschem Hintergrund oder mit Migrationshintergrund sein. Die Zahlen in der Kriminalstatistik stehen in einem großen Zusammenhang mit Rechtsextremismus. Wir wissen aber auch, dass die Zuordnung manchmal falsch läuft, wenn man keine Tatverdächtigen hat. Wenn auf dem Al-Quds-Marsch in Berlin von iranischen Islamisten "Juden raus" oder "Sieg heil" gerufen wird, wird das einfach als rechtsextremistisch eingestuft, obwohl die Personen iranische Islamisten sind.
domradio.de: Rufen diese Menschen, um als rechtsextreme Deutsche eingestuft zu werden?
Beck: Mit dem Thema Antisemitismus haben wir es im Islam eigentlich mit einem Exportartikel aus Deutschland zu tun. Im Zusammenhang mit dem Nah-Ost-Konflikt gibt es eine neue Form des Antisemitismus im islamischen Raum, der traditionell mit der muslimischen Religion nichts zu tun hat. Mittlerweile ist dieser religiös identifiziert. Das sind keine Verschleierungstaten, sondern da kursieren Ansichten wie "Hitler hat Recht". Das muss man sehr ernst nehmen. Ich rate, kein Problem des Antisemitismus beim Umgang mit den Zahlen klein zu machen. Wir haben ein Problem beim deutschen Rechtsextremismus und wir haben ein Problem mit islamistischem Antisemitismus.
domradio.de: Aus der Antwort des Bundestages kann man herauslesen, dass der Antisemitismus aus dem Bereich Islamismus kommt und unterschätzt wird. Woran liegt das?
Beck: Die Annahme ist, dass viele Vorfälle nicht zu einer Anzeige kommen. Viele Jüdinnen und Juden in Deutschland haben kein Zutrauen. So zeigt es die Opferbefragung der unabhängigen Expertenkommission. Ansonsten hätten wir einen anderen statistischen Befund, und zwar: höhere Zahlen im Zusammenhang mit dem Islam und nicht nur mit dem Rechtsextremismus.
domradio.de: Was muss Politik, Gesellschaft und dabei auch die christlichen Kirchen besser machen, damit Juden sich weniger oder am besten gar nicht mehr bedroht fühlen?
Beck: Wir müssen sensibler werden. Alle gesellschaftlichen Akteure sind gefragt, vorneweg auch die Kirchen. Ebenso sollten die muslimischen Verbände nicht wegschauen, sondern Initiative zeigen. Aber vor allem die Politik ist gefragt. Die Expertenkommission hat an die Bundesregierung und den Bundestag fünf Forderungen zur institutionellen Absicherung gestellt. Zur Koordinierung der Aktivitäten gegen Antisemitismus fordern sie zudem einen Antisemitismusbeauftragten und eine Bundesländer-Arbeitsgruppe. Diese Aktivitäten sollten in die Bildungs- und Jugendpolitik greifen, daher sind die Bundesländer angesprochen.
domradio.de: Sie sind heute aus Israel wiedergekommen. Nehmen die Menschen in Israel wahr, dass sich in Deutschland viele Juden bedrohter fühlen als früher?
Beck: Die Sorge ist schon da und es wird wahrgenommen, dass das Thema nur in Feiertags-Reden zur Sprache kommt. Wir müssen also den Antisemitismus bekämpfen, aus den Sonntagsreden herausholen und in den Alltag unserer Politik bringen.
Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.
Antisemitische und antiisraelische Straftaten nehmen in Deutschland wieder zu. Den Angaben der Bundesregierung zufolge wurden unter anderem 434 Fälle von Volksverhetzung, 15 Gewaltdelikte sowie 70 Fälle, die Sachbeschädigung betreffen, gezählt. Weitere Delikte betreffen etwa die Störung der Totenruhe oder Nötigung. Mehr als 90 Prozent der Straftaten wurden von deutschen Staatsangehörigen verübt. Von einer deutlich höheren Dunkelziffer ist auszugehen. 312 von 339 Tatverdächtigen waren Deutsche. Andere Straftäter kamen aus der Türkei, aus Tunesien, aus Algerien, Afghanistan oder Polen.
Bundesfamilienministerin Barley erklärte: "Wir dürfen in unserem Land nie wieder zulassen, dass Antisemitismus akzeptiert oder beiläufig toleriert wird". Dafür müsse die gesamte Gesellschaft einstehen. Das beste Mittel gegen Hass und Intoleranz bleibe Bildung und Mitmenschlichkeit.
"Wir erleben eine ungeahnte Renaissance antijüdischer Ressentiments und Verschwörungstheorien. Die Tabus sind gefallen", sagte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. "Pegida und Co. sowie die AfD haben diesen Virus in Deutschland ausbrechen lassen", erklärte Knobloch. Israelkritik sei zum Volkssport geworden. Auch Antisemitismus unter Muslimen sei eine enorme Bedrohung. Sie warf den muslimischen Verbänden vor, jahrzehntelang nichts gegen antisemitische Hassprediger getan zu haben. (KNA)