Erdogan-Kritiker in Deutschland in Bedrängnis

Türkische Gemeinde wirbt für ein Nein beim Referendum

Unter Kritikern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland herrscht große Verunsicherung. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, wirbt im domradio.de-Interview für ein Nein beim Referendum.

Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Gökay Sofuoglu, in Berlin / © Gregor Fischer (dpa)
Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Gökay Sofuoglu, in Berlin / © Gregor Fischer ( dpa )

domradio.de: Braucht die Türkei einen starken Mann, der Stabilität und Sicherheit bringt?

Gökay Sofuoglu: Nein, ich denke, dass die starken Männer in der Welt nirgends Stabilität und Sicherheit gebracht haben, sondern eher sehr viele Katastrophen. Das hat man in der Geschichte gesehen. Und man sieht das auch im Nahen Osten, wo Ein-Mann-Systeme sind, dass dort nur noch Krieg herrscht.

domradio.de: Ist die Türkei auf dem Weg in eine Autokratie?

Sofuoglu: Es geht in Richtung Autokratie und man versucht das auch mit der Veränderung des Staatssystems richtig zu besiegeln. Erdogan hat das Land in den letzten sechs, sieben Jahren nicht unbedingt in die demokratische Richtung entwickelt, sondern eher in die andere Richtung. Dieses Ein-Mann-System wird die Türkei auch weiter von demokratischen Hoffnungen entfernen.

domradio.de: Wie sieht der Druck aus, den der türkische Staat auf türkischstämmige Menschen in Deutschland ausübt?

Sofuoglu: Der Staatspräsident selbst und auch der Ministerpräsident in Oberhausen haben die Menschen, die jetzt mit Nein stimmen als auf der Seite von Terroristen und Vaterlandsverrätern denunziert. Es gibt eine gewisse Angst, wenn sich die Menschen ablehnend zur Verfassungsänderung stellen, Ärger mit der türkischen Regierung bekommen. Diese Drohung ist nicht unbedingt anonym, sondern wird tagtäglich im türkischen Fernsehen gesendet.

domradio.de: Wünschen Sie sich mehr Engagement von der europäischen Politik?

Sofuoglu: Nein, ich denke, die Zurückhaltung ist wichtig. Deutschland ist ein Rechtsstaat. Da geht es darum, dass man das Ganze nach dem Rechtsstaat bewertet. Allein, dass Yilderim nach Deutschland kommt und hier redet ist erlaubt. Es ist nicht verboten, nach unserer Verfassung. Aber man muss auch den Politikern  klar machen, die aus der Türkei kommen, dass es eine andere Meinung gibt. Wenn man jetzt diese Politiker erträgt, dann müssen auch diese Politiker andere Meinungen ertragen. Diese Auseinandersetzung müssen wir auf jeden Fall führen.

domradio.de: Wie sieht ihre Aktion konkret aus?

Sofuoglu: Wir wollen uns aktiv in die Diskussion mit einbringen. Wir wollen die Menschen aufklären, welche Bedeutung das Präsidialsystem für die Türkei hat. Wir leben seit Jahrzehnten in Deutschland. Wir werden die Leute mit dem konfrontieren, wie sie hier leben. Die deutsche Verfassung ist für mich eine der besten Verfassungen dieser Erde und dass man auch diese Verfassung als weitere Grundlage für die Diskussion nimmt, weil es gerade eine totale Polarisierung in diesem Bereich gibt. Die Regierungsseite versucht, diese Abstimmung zu einer Abstimmung Ja oder Nein zu Erdogan zu führen aber es geht gar nicht um Erdogan. Es geht um die Zukunft der Türkei, ob die Türkei sich in Zukunft demokratisch entwickeln kann oder ob sie sich zur Autokratie entwickelt. Das hat mit Erdogan nichts zu tun, weil Erdogan ja ein vorübergehender Politiker ist und man muss auch darüber nachdenken, was nach ihm kommt. Deswegen engagiert sich auch die türkische Gemeinde in Deutschland, die sich bislang von der deutschen Innenpolitik ferngehalten hat.

domradio.de: Reagiert denn die Türkei auf ihren Aufruf, den Sie gestartet haben?

Sofuoglu: Bisher haben wir noch nichts mitbekommen. Es ist auch erst seit heute bekannt durch Medienberichte und ich denke, dass wir jetzt nicht mit Rosen empfangen werden.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR