Kandidatenkür in Frankreich

Die Qual der Wahl

Mit der Valls-Kandidatur zeichnet sich nun das Tableau ab: ein wertkonservativer Wirtschaftsliberaler, ein forsch rechter Linker und eine Rechtspopulistin. Wer Werte will plus sozialen Zusammenhalt, hat ein Problem.

Autor/in:
Von Alexander Brüggemann
Frankreichs Ministerpräsident Manuel Valls / © Christophe Petit Tesson (dpa)
Frankreichs Ministerpräsident Manuel Valls / © Christophe Petit Tesson ( dpa )

Manuel Valls kandidiert, François Hollande hat die Reißleine gezogen. Als erster Präsident der Fünften Republik kandidiert Hollande nicht zur Wiederwahl - weil seine Beliebtheitswerte zuletzt bei 4 Prozent lagen. Daneben kristallisiert sich langsam heraus, wer die Kandidaten für die Wahl sein werden. Die Frage wird sein, wem Frankreichs praktizierende Christen und gemäßigte Muslime am meisten vertrauen können - immerhin ein Wählerpotenzial von jeweils vielen Millionen Stimmen. Wer Werte will und auch sozialen Zusammenhalt, hat ein Problem.

Der Kandidat der Republikaner, François Fillon, kommt mit seinen wertkonservativen Ansichten so manchen traditionell denkenden Gläubigen entgegen. Bei den "Manif pour tous"-Demos gegen die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe ging der 62-jährige Abtreibungsgegner vorneweg.

Wirtschaftlich ein Liberaler

Aber: In seinem Wirtschaftsprogramm ist Fillon überaus liberal. Wer schon bei den eher zurückhaltenden Sozial- und Wirtschaftsreformen der Hollande-Regierungen Barrikaden baute, für den könnte der als liberal geltende Kurs Fillons zu Befürchtungen führen. Zudem hat er angekündigt, die französischen Muslime administrativ überwachen zu lassen.

Eine echte Gefahr für Marine Le Pen - die auch prompt reagiert: Sie nennt Fillon einen "Kandidaten der Rotarier und Golf-Clubs". Klar ist: Wer die 48-jährige Rechtspopulistin verhindern will, wird republikanisch oder sozialistisch wählen müssen. Doch die traditionellen Wählermilieus wanken. So votierte bei den Regionalwahlen 2015 eine gestiegene Zahl Enttäuschter und mit der Globalisierung fremdelnde Katholiken für den rechtsextremen Front National - lange undenkbar.

Das "gute alte Frankreich"?

Le Pen beschwört das "gute alte Frankreich" und seine Souveränität, schimpft auf Einwanderer und die EU und hält sich aus religiösen und gesellschaftsethischen Fragen weitgehend heraus. Doch ihre Nichte Marion Marechal-Le Pen, ab kommender Woche 27, bedient einerseits die religiöse Flanke: Verheiratet, Mutter und praktizierende Katholikin, kann sie auch Katholiken für den Front National gewinnen. Zugleich versöhnt sie die Anhänger des geschassten Parteigründers Jean-Marie Le Pen (88).

Für die rund sechs Millionen Muslime in Frankreich ist der Front National keine Option. Bei den Regionalwahlen 2015 um Marseille, die Hafenstadt mit einem Migrantenanteil von 40 Prozent, sagte die knapp unterlegene Le Pen: "Wir wollen kein Multikulti, sondern blau-weiß-rot!" oder: Es werde Zeit, dass Frankreichs Fahne angesichts von Islamisierung und Überfremdung "aus der Gosse geholt" werde.

Unterschiedliche Signale der Sozialisten

Bleiben die Sozialisten. Doch da kann es für manche Konservative Hindernisse geben: Die Sozialisten haben die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt, embryonale Stammzellforschung bedingt zugelassen; dazu das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare, ein Gesetzesvorstoß für aktive Sterbehilfe und eine Liberalisierung von Abtreibung.

Favorit für die Vorwahlen der Linken ist Premier Valls. Der 54-Jährige mit katalanischen Wurzeln ist für einen Linken eher Rechtsausleger. Mit seiner Sicherheitspolitik und Wirtschaftsliberalität punktet er eher in der Mitte. Der linke Parteiflügel wäre mit dem laizistischen Sozialdemokraten Valls weniger vertreten - es sei denn, der entdeckte eine neue, globalisierungskritische Seite an sich.

Natürlicher Rivale ist der ehemalige Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, die linke Galionsfigur der Partei. Der 54-jährige Globalisierungsgegner hat seine Kandidatur ebenso angekündigt wie sein erst 38-jähriger Nachfolger im Amt, Emmanuel Macron. Der politische Aufsteiger und frühere Investmentbanker erfindet sich derzeit neu als Gegner des Establishments.


Quelle:
KNA