Erzbischof Koch ruft zur Diskussion mit AfD-Wählern auf

Des Wählers Wille in Vorpommern

Eine tiefe Nachdenklichkeit hat sich bei vielen nach der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern breit gemacht - so auch beim Berliner Erzbischof Heiner Koch. Er fordert die Kirche auf, sich mit dem Ergebnis auseinanderzusetzen und zu handeln.

Erzbischof Heiner Koch / © Oliver Berg (dpa)
Erzbischof Heiner Koch / © Oliver Berg ( dpa )

domradio.de: Von Schockstarre bei den etablierten Parteien war heute in manchen Zeitungen zu lesen - alle etablierten Parteien haben gestern bei der Landtagswahl Wähler verloren. Hat Sie das Ergebnis auch schockiert?

Erzbischof Heiner Koch (Erzbischof von Berlin): Ich habe es erwartet. Vorpommern gehört ja zum Erzbistum Berlin und ich bin dort in den vergangenen Wochen viel unterwegs gewesen. Das Ergebnis war ja so mehr oder weniger prognostiziert worden. Von daher hat mich das nicht mehr geschockt, sondern bei mir eher zu einer tiefen Nachdenklichkeit schon vor der Wahl geführt: Wie kann es dazu kommen? Was heißt das?

domradio.de: Mecklenburg-Vorpommern hat in den vergangenen Jahren wirtschaftlich aufgeholt und doch spricht auch die Kirche jetzt von einem Alarmsignal nach der Landtagswahl. Wenn die AfD aus dem Stand mehr Stimmen holt als die CDU – wie groß ist da Ihre Sorge um das gesellschaftliche Miteinander in dem Bundesland?

Koch: Es ist auf jeden Fall eine große Herausforderung. Über 20 Prozent für die AfD bedeutet eben, dass sie keine von den kleinen Splitterparteien ist, die ab und zu mal auftauchen. Ich erlebe bei den Diskussionen, die ich in den vergangenen Wochen hatte, dass unter den AfD-Wählern alle Schichten und Berufsgruppen vertreten sind; dabei sind Professoren, Arme, Reiche, Atheisten, Katholiken, Protestanten und so weiter. Da kann man nicht sagen, das sind alles Rechtsradikale oder Nazis und sie wissen nicht, was sie da machen. Wir müssen jetzt in die Offensive gehen und mit den AfD-Wählern diskutieren. Es geht aber auch um die Übernahme von Verantwortung – es wird sich zeigen, wie die AfD Verantwortung annimmt und dabei wird manches demaskiert werden.

domradio.de: Die AfD wird vor allem als Protestpartei gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin gesehen – auch die Kirchen unterstützen diese Politik der Kanzlerin, Stichwort Willkommenskultur. Warum folgen so viele Wähler der Anti-Haltung der AfD?

Koch: Ich glaube nicht, dass es nur um die Flüchtlingspolitik ging. Die Parolen und die Inhalte der AfD sind sehr stark von Angst besetzt – die Angst, die die Menschen spüren und die sie vielleicht auch wachruft – das ist Angst vor Europa, vor dem Islam, Angst vor Migranten. Dahinter steckt sicherlich in diesen Regionen Deutschlands eine große Unsicherheit. Die Menschen fragen sich: wie soll es angesichts der vielen Umbrüche, der vielen Veränderungen weitergehen? Wir kommen ja gar nicht mehr zur Geltung, sondern wir müssen das machen, was andere bestimmen – das ist dann wieder die Angst, die sich gegen Brüssel richtet. Diese Grundstimmung ist, dass man sich ausgeliefert fühlt und sagt, dass die da oben doch das machen, was sie wollen. Diese Polarisierung "Die da oben und wir hier unten" und die Erfahrung, dass sich immer weniger Leute aktiv in die Politik engagieren, das sind die größten Herausforderungen.

domradio.de: Sie sagen als Kirche, es braucht weniger Polarisierungen und mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wie kann die Katholische Kirche diesen Zusammenhalt stärken?

Koch: Wir werden uns auf jeden Fall weiterhin politisch äußern und als Kirche unsere Meinung sagen, das gehört zur Demokratie. Wir werden versuchen, die Menschen in ihren Nöten auch mitzunehmen. Es bringt nichts, wenn man etwas tabuisiert oder sagt, mit denen sprechen wir nicht. Wir werden alles tun, um alle Menschen anzusprechen – nicht nur die Katholiken. Auch wenn wir eine kleine Minderheit sind, werden wir doch oft zu Gesprächen an vielen Orten eingeladen, weil wir als Katholiken einen Vertrauensvorschuss haben – diese Chance werden wir wahrnehmen.

domradio.de: Die Kirchen haben im Vorfeld zur Wahl aufgerufen, die Wahlbeteiligung ist tatsächlich gestiegen. Und dennoch gibt es jetzt große Betroffenheit über den Ausgang der Wahl.

Koch: Es ist natürlich so, dass die Leute jetzt sagen: Was wollt ihr als Kirche, ihr habt doch zur Wahl aufgerufen – zehn Prozent mehr Wahlbeteiligung ist doch ein Erfolg. Jetzt dürft ihr aber nicht sagen, dass wir nicht wählen dürfen, wie wir gewählt haben. Da kommt schnell der Vorwurf, dass wir als Kirche ein komisches Demokratieverständnis haben - so nach dem Motto: Demokratie ist nur dann, wenn die Leute so wählen, wie wir als Kirche das wollen. Da zeigt sich wieder der Reizpunkt der Leute, sie sagen: wir wollen uns nicht mehr vorschreiben lassen, wie wir uns zu verhalten haben, wir sind frei!

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR