Wissenschaftler sieht Vorrang der Kirchen zu anderen Religionen

"Vernachlässigte Religionspolitik"

"Die Politik in Bund und Ländern reagiert auf die wachsende Religionsvielfalt nur langsam", kritisiert Politikwissenschaftler Ulrich Willems. In Deutschland würden die beiden christlichen Kirchen gegenüber Minderheits-Religionen bevorzugt.

Der Münsteraner Politikwissenschaftler Ulrich Willems kritisiert eine staatlich Bevorzugung des Christentums und der beiden großen Kirchen gegenüber Konfessionslosen und Minderheitsreligionen wie dem Islam. / © EPA/Grzegorz Michalowsk (dpa)
Der Münsteraner Politikwissenschaftler Ulrich Willems kritisiert eine staatlich Bevorzugung des Christentums und der beiden großen Kirchen gegenüber Konfessionslosen und Minderheitsreligionen wie dem Islam. / © EPA/Grzegorz Michalowsk ( dpa )

Der Münsteraner Politikwissenschaftler Ulrich Willems kritisiert eine staatlich Bevorzugung des Christentums und der beiden großen Kirchen gegenüber Konfessionslosen und Minderheitsreligionen wie dem Islam. "Die deutsche Religionspolitik weist eine religiös-christlich-großkirchliche Schlagseite auf", sagte er am Dienstagabend in Münster. Als Beispiel für diese "Asymmetrie" nannte er hohe Hürden, um den Status "Körperschaft des öffentlichen Rechts" zu erlangen. Zudem gäben zahlreiche gesetzliche Maßnahmen den Kirchen Vorrang etwa im Sozial- und Bildungssektor.

"Die Politik in Bund und Ländern reagiert auf die wachsende Religionsvielfalt nur langsam", so Willems. Dabei verursache die historische Nähe von Staat und Kirchen einen wesentlichen Teil der heutigen religionspolitischen Probleme, wie die Konflikte um Kopftuch, Beschneidung, Kruzifix, Schächten, Islamunterricht oder Moscheebau zeigten. Von einer Sicherung der gleichen Religionsfreiheit von Muslimen könne bisher nicht die Rede sein.

"Vernachlässigte Religionspolitik"

Die Bevölkerung ist nach Ansicht des Wissenschaftlers nur unzureichend auf die wachsende religiöse Vielfalt und daraus folgende nötige Reformen vorbereitet. Diese "vernachlässigte Religionspolitik" führe zu großen Unsicherheiten, welche die Partei Alternative für Deutschland (AfD) ausnutze. Weil die etablierten Parteien die religionspolitische Integration der Muslime als besonders problematisch behandelten, seien sie mitverantwortlich für die Skepsis vieler Menschen gegenüber dem Islam.

"Freundliches Desinteresse am religionspolitischen Feld"

Mit Blick auf Partei- und Wahlprogramme aus den Jahren 2000 bis 2013 sagte der Wissenschaftler: "Die SPD zeigt bislang ein freundliches Desinteresse am religionspolitischen Feld, während sich die CDU - mit wenigen Ausnahmen wie dem islamischen Religionsunterricht und islamischen Fakultäten an deutschen Hochschulen - zu einem beherzten 'Weiter so!' bekennt." Nur die Grünen hätten sich dem Politikfeld systematisch gewidmet.

"Wir brauchen differenzierte Gespräche"

Willems plädierte für eine Expertenkommission, die über den Umgang mit religiöser Vielfalt berät: "Wir brauchen differenzierte Gespräche darüber, ob sich das Modell einer engen Staat-Kirche-Kooperation noch eignet, um den religiösen Mehr- und Minderheiten gleichermaßen Religionsfreiheit zu gewähren." Der Forscher äußerte sich zum Auftakt der Ringvorlesung "Religionspolitik heute" des Centrums für Religion und Moderne und des Forschungsverbundes "Religion und Politik" an der Universität Münster.


Wissenschaftler Ulrich Willems / ©  Julia Holtkötter/Exzellenzcluster Religion und Politik der Uni Münster (dpa)
Wissenschaftler Ulrich Willems / © Julia Holtkötter/Exzellenzcluster Religion und Politik der Uni Münster ( dpa )
Quelle:
KNA