Politikwissenschaftler sieht Union in der Bringschuld

"Wähler werden CDU an Vorhaben messen"

Auf dem CDU-Parteitag ist in der Flüchtlingspolitik wieder weitgehend Frieden mit der CSU geschlossen worden. Nun müsse die Union aber "liefern", um ihre Wähler zu halten, bilanzierte Politikwissenschaftler Prof. Werner Patzelt bei domradio.de.

Horst Seehofer spricht auf dem CDU-Parteitag / © Michael Kappeler (dpa)
Horst Seehofer spricht auf dem CDU-Parteitag / © Michael Kappeler ( dpa )

domradio.de: Wo sind denn die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Schwesterparteien hin verschwunden?

Prof. Werner Patzelt: Die Meinungsverschiedenheiten haben sich in der Semantik aufgelöst. Denn, ob man von Obergrenzen, von Kontingenten oder von einer drastischen Drosselung des Zuzugs nach Deutschland spricht, meint im Grunde immer das Gleiche und wird nur zielgruppenspezifisch anders ausgedrückt.

domradio.de: Wird der Wähler es denn der Union abnehmen, dass sie nun wieder geschlossen hinter der Kanzlerin steht?

Prof. Werner Patzelt: Der Wähler will von der Union einerseits eine an christlichen Werten oder zumindest am Grundsatz der Humanität orientierte Politik. Er will andererseits aber auch eine Politik, die die Leistungsfähigkeit und den Leistungswillen des Landes nicht überfordert. Das bedeutet, dass der Wähler eine grundsätzliche Offenheit für Geflüchtete auf der ganzen Welt, die gute Gründe haben, ihr Land zu verlassen, haben möchte. Er will aber auch, dass die öffentliche Ordnung, die soziale Sicherung und der gesellschaftliche Zusammenhalt in unserem Land nicht gefährdet wird. Folglich wünscht er sich eine Drosselung der Zuwanderungszahlen. Beides stellt die Union wieder in Aussicht, und das dürfte viele zunächst einmal beruhigen. Allerdings muss dann auch geliefert werden. Sollte sich nächstes Jahr im Sommer der Zustrom von Flüchtlingen im gleichem Umfang fortsetzen wie heute im Frühherbst, dann wird der Wähler ziemlich unnachsichtig mit der CDU und ihrer Vorsitzenden umgehen.

domradio.de: Die Begründungen, die gerade auch Kanzlerin Merkel für ihre Flüchtlingspolitik benannt hat, waren ja ganz interessant. Sie waren teilweise religiös motiviert und die Union hat sich auf den konservativen Kern zurückgezogen. Was würden Sie dazu sagen?

Prof. Werner Patzelt: In der Bibel steht die schöne Stelle, an der Jesus sagt, man müsse Gott geben, was Gottes sei und dem Kaiser geben, was des Kaisers sei. Ins Moderne übersetzt bedeutet das, dass man der Politik auch ihre Eigenlogik, ihre eigenen Funktionszusammenhänge überlassen muss. Man kann religiös gerne einen Widerpart setzen. Aber bloß, weil jemand religiös etwas anderes sieht als es andere sehen, ändert sich nicht die Weise wie Politik funktioniert und wieviel eine Volkswirtschaft verkraften kann. An dieser Stelle ist gerade die Union aufgefordert, eine Balance zwischen dem zu halten, was christlich-religiös wünschenswert ist und dem, was politisch möglich ist.

domradio.de: Wenn wir beim Thema Religion bleiben: Auch beim Burka-Verbot ist die Partei zurückgerudert. Eine Ablehnung ist kein Verbot, das hätten viele Konservative doch auch lieber anders gesehen, oder?

Prof. Werner Patzelt: Das ist wohl so. Hierüber kann man sich trefflich streiten, ob eine Burka zur Ausdrucksgebung persönlicher religiöser Identität und auch zur Nutzung der Religionsfreiheit dient oder ob eine freie Gesellschaft es einfach notwendig macht, einem anderen auch ins Gesicht zu sehen, um aus seinen Reaktionen zu erkennen, wie man mit ihm zu verfahren hat. Das ist eine Debatte, die alle westlichen Gesellschaften prägt, und es wäre ein Wunder, wenn in Deutschland und in der CDU da sehr schnell eine allgemeine, konsensfindende Lösung gefunden werden könnte.

domradio.de: Die Parteitage der CDU und auch der SPD sind nun vorüber. Wie stehen die großen Volksparteien denn nun da, wenn wir auch einen Blick auf die AfD werfen, die bei den gegenwärtigen Umfragen so etwa um die acht Prozent liegt?

Prof. Werner Patzelt: Es scheint so, als würde die CDU doch noch die Kurve hin zu einer Politik kriegen, die der Bevölkerung glaubhaft macht, dass die Sache mit den vollständig offenen Grenzen für alle Zufluchtsuchenden der ganzen Erde doch nicht so ernst gemeint war wie sie lange Zeit formuliert hat. Sollte das durch die Politik der Bundesregierung auch untersetzt werden, also sollte Deutschland tatsächlich eine Reduktion der Flüchtlingsströme demnächst erleben, dann könnte der Höhenflug der AfD gestoppt werden. Sollte es sich aber zeigen, dass die Union gemeinsam mit der starken SPD Position zugunsten einer weiteren, völlig offenen Einwanderungspolitik in den nächsten Monaten einnimmt, dann wird sich ein großer Teil der Deutschen sagen, wir haben eine Art Allparteienkoalition von der Linkspartei bis weit in die Union hinein, welche gleichsam die Grenzen der Belastbarkeit unseres Landes auszutesten gedenkt. Und dagegen könne man sich nur durch die Wahl der AfD schützen. Es ist eine innenpolitisch offene Frage, die an den Wahlurnen möglicherweise bei der nächsten Bundestagswahl die abschließende Entscheidung findet.

Das Interview führte Dr. Christian Schlegel.


Quelle:
DR