CDU-Abgeordneter Liese zu Medizin-Nobelpreisträgern

"Großer Fortschritt aus katholischer Sicht"

Der EU-Abgeordnete Peter Liese (CDU) wertet die Verleihung des Medizin-Nobelpreises an Shinya Yamanaka und John Gurdon als wichtiges ethisches Signal für die Forschungspolitik. Ihre Ergebnisse machten die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen überflüssig, sagte der Politiker und Mediziner im domradio.de-Interview.

 (DR)

domradio.de: Alfred Nobel hat bestimmt, dass der Preis für herausragende Leistungen zum Nutzen der Menschheit verliehen werden soll. Worin liegt denn der Nutzen für die Menschheit bei der Forschung der beiden Preisträger?

Peter Liese: Ich glaube, der ist in doppelter Hinsicht sehr, sehr groß der Nutzen. Zunächst einmal wird es durch diese iPS-Zellen wahrscheinlich doch Entwicklungen in der Medizin geben, die es möglich machen, Krankheiten, die wir bisher nicht behandeln können, zu behandeln. Er ist aber auch in einem viel tieferen Sinne nützlich für die Menschheit, weil diese iPS-Zellen, die insbesondere der Herr Yamanaka aus Japan entwickelt und beschrieben hat, es ermöglichen, die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen überflüssig zu machen. Wenn es überhaupt eine Begründung gab, menschliche Embryonen für die Forschung zu zerstören - ich habe das immer aus ethischen Gründen für völlig inakzeptabel gehalten - aber dann ist die Begründung in dem Moment weg, wo man auf einem anderen Weg, der ethisch weniger problematisch ist, das gleiche Ergebnis erzielen kann. Deswegen ist der Nobelpreis für Yamanaka und seinen britischen Kollegen auf jeden Fall gerechtfertigt.   



domradio.de: Heißt das auch, der Preis ist eine Art Bestätigung der Bedeutung von Forschung an nicht-embryonalen Stammzellen, möglicherweise auch das Ende der embryonalen Stammzellenforschung?   

Liese: Ich hoffe das sehr und ich finde, das ist die logische Konsequenz aus der Erfindung und dann aber auch aus dem Nobelpreis. Es hat zum Glück - nach meiner Kenntnis- niemand einen Nobelpreis für Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen bekommen. Das ist jetzt eine ganz, ganz wichtige Bestätigung, dass die Alternativen, die viele Menschen, zum Beispiel auch die katholische Kirche, Laien und Bischöfe immer gefordert haben, dass wir die Alternativen zu menschlichen embryonalen Stammzellen unterstützen sollen, weil sie eben das ethische Problem nicht haben und mindestens genauso erfolgsversprechend sind. Das ist jetzt praktisch vom Nobel-Komitee bestätigt worden. Das sollte die politische Debatte in Deutschland, Europa und darüber hinaus auch beeinflussen.



domradio.de: Auf die Forschung der beiden Wissenschaftler, die jetzt preisgekrönt sind, gründen sich zum Beispiel Hoffnungen für Therapien bei zerstörten oder defekten Nervenzellen. Können sich jetzt dadurch Querschnittsgelähmte Hoffnung machen, vielleicht irgendwann wieder gehen zu können durch diese Art von Therapie?  

Liese:  Man muss in der medizinischen Forschung immer sehr vorsichtig sein mit Heilversprechen. Als ich vor 25 Jahren Medizin studiert habe, hat mir ein Professor gesagt, in 20 Jahren werden wir den Krebs besiegt haben. Leider erleben wir alle, dass der Krebs überhaupt nicht besiegt ist. Wir erleben es auch in unserem Freundeskreis und in unseren Familien und deswegen sollte man mit solchen Aussagen, was man alles in Zukunft heilen kann, vorsichtig sein.



Fakt ist, dass die menschlichen embryonalen Stammzellen bisher keine Heilerfolge gebracht haben. Es gibt ganz wenige Versuche am Menschen. Der wichtigste ist abgebrochen, bei den anderen gibt es keinerlei Ergebnisse. Auf der anderen Seite gibt es bei den bisher vorhandenen Alternativen, also Stammzellen aus dem Körper Erwachsener und aus dem Nabelschnurblut, 73 Erkrankungen, die schon zum Teil sehr erfolgreich behandelt werden und beispielsweise allein mit Stammzellen aus dem Knochenmark 6000 sehr erfolgreiche Versuche am Menschen.



Die iPS-Zellen eröffnen uns zusätzlich ein weiteres Feld. Ich glaube, dass sie für die Grundlagenforschung wichtiger sein werden, als für die praktische Anwendung. Bei der praktischen Anwendung halte ich die Stammzellen aus dem Körper Erwachsener für überlegen. Aber bei der Grundlagenforschung, zum Beispiel bei der Erforschung neuer Medikamente können diese iPS-Zellen helfen. Trotzdem sollte man keine Heilversprechen machen.



Wir werden als Gesellschaft nach wie vor die Aufgabe haben, den Patienten zu helfen, auch wenn wir sie nicht heilen können. Die großen Hoffnungen, die sich an die Forschungen richten, sollten nicht vergessen machen, dass es auch notwendig ist, jetzt das Leid zu mildern, auch wenn wir die Krankheit noch nicht heilen können.  



domradio.de: Bei alldem, was die iPS-Zellen vielleicht für die Forschung und für die Grundlagenforschung bringen können  gibt es auch durchaus Kritik an den Verfahren der beiden Wissenschaftler. Zum Beispiel sagt Weihbischof Losinger, Mitglied im deutschen Ethikrat, mit dieser Forschung könnte auch das Klonen von Menschen bald möglich werden. Sehen Sie das auch so?

Liese: Man muss natürlich sehr wachsam sein, wie die Forschungsergebnisse benutzt werden. Zunächst ist das Thema iPS-Zellen eine Möglichkeit, das Klonen in der Debatte zurückzudrängen, denn es gab Forscher, die gesagt haben, um maßgeschneidertes Gewebe von Patienten herzustellen, müssen wir menschliche Embryonen herstellen nach der Methode des Klonschafs Dolly und daraus dann die Zellen gewinnen. Da die embryonale Stammzellenforschung jetzt weniger Bedeutung hat und man ähnliche Zellen aus Erwachsenenzellen gewinnen kann, wenn man sie eben entsprechend umprogrammiert, wie der Nobelpreisträger Yamanaka es getan hat, glaube ich, dass die Forderung des Klonens von Menschen, das Klonen von menschlichen Embryonen zu erlauben erst einmal leiser werden wird.



Natürlich können diese Forschungsergebnisse indirekt genutzt werden, um das Klonen von Menschen dann doch möglich zu machen und das ist Aufgabe der Politik auf allen Ebenen, da entsprechend gegenzusteuern, dass die Forschungsergebnisse  in einer ethisch-verantwortbaren Weise genutzt werden. Aber das Ergebnis von Yamanaka an sich ist aus meiner Sicht ethisch nicht zu kritisieren. Es könnte missbraucht werden, wenn man es weiterentwickelt, wie Bischof Losinger das befürchtet. Aber das Ergebnis selber und die Arbeiten von Yamanaka selber sind aus meiner Sicht von einem katholischen Standpunkt her ein großer Fortschritt.  



Das Interview führte Matthias Friebe (domradio.de)



Hintergrund

Mit dem Medizin-Nobelpreis sind in diesem Jahr der Japaner Shinya Yamanaka und der Brite John Gurdon ausgezeichnet worden. Yamanaka war es gelungen, aus erwachsenen Zellen durch Umprogrammierung die sogenannten iPS-Zellen zu schaffen. Diese haben ähnliche Eigenschaften wie menschliche embryonale Stammzellen, für ihre Herstellung müssen aber keine Embryonen getötet werden. Gurdon hatte zuvor mit seiner Forschung wichtige Voraussetzungen für Yamanakas Durchbruch in der Stammzellforschung geschaffen.