Drei Fragen an den Medizinethiker Eckhard Nagel

"Ohne Wenn und Aber kontrollieren"

Nach Betrugsfällen bei der Organspende suchen die beteiligten Institutionen und die Politik nach Wegen, wie sie in der Bevölkerung Vetrauen zurückgewinnen können. Der Medizinethiker Eckhard Nagel fordert im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) mehr Sanktionsmöglichkeiten.

Eckhard Nagel (Deutscher Ethikrat) (KNA)
Eckhard Nagel (Deutscher Ethikrat) / ( KNA )

epd: Herr Nagel, ist das Verteilungssystem bei der Organspende gerecht?

Eckhard Nagel: Die ganz grundsätzliche Frage ist: Wie gehen wir mit Mangel um? Seit Jahrzehnten wird weltweit nach Konzepten gesucht, wie Organe gerecht zugeteilt werden können. Die Mechanismen, die wir entwickelt haben, sind klar: Definiert wurden Parameter, anhand derer man eindeutig nachvollziehen kann, wer ein Organ erhalten soll.



Über diese Parameter kann man dennoch diskutieren. So gibt es beispielsweise eine Diskrepanz zwischen der Dringlichkeit, bedingt durch den Schweregrad der Erkrankung, und dem im Transplantationsgesetz formulierten anzustrebenden langfristigen Erfolg, also dem Nutzen einer Transplantation. Daraus kann sich natürlich ein Widerspruch ergeben: Je kränker ein Patient ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich langfristig erholt. Dieses Spannungsverhältnis durch eine abstrakte mathematische Formel aufzulösen, ist so gut wie unmöglich.



epd: Was erwarten Sie von dem Spitzentreffen am Montag? Was muss verändert werden, um wieder Vertrauen herzustellen?

Nagel: Ich erwarte die klare Handlungsanweisung an alle beteiligten Institutionen, innerhalb einer Frist Vorschläge zu unterbreiten, wie Strukturen und Prozesse verbessert werden können. Dabei geht es im Wesentlichen darum, wie die Einhaltung der verabredeten Regeln ohne Wenn und Aber kontrolliert werden kann. Zudem gibt es die Frage nach Sanktionen: Die Prüfungs- und Überwachungskommissionen haben heute keine Sanktionsmöglichkeit. Letztlich übergeben sie Verdachtsfälle der Staatsanwaltschaft. Das mag prinzipiell richtig sein, aber es kostet viel Zeit, in der schon gehandelt werden sollte. Meine Empfehlung ist deshalb, dass die Kommission autorisiert wird, ein Transplantationszentrum im Verdachtsfall vorübergehend zu schließen.



Außerdem müssen wir beim Verständlichmachen des Systems nachbessern. Ich bin aufgrund meiner Innenansicht davon ausgegangen, dass das Zuteilungswesen für jeden nachvollziehbar ist. Nun muss ich aber feststellen, dass die Kommunikation für die breite Öffentlichkeit nicht ausreichend war und Fragen nicht allgemeinverständlich beantwortet wurden.



epd: Was vermuten Sie: Werden die Organspende-Zahlen nach der Diskussion um Betrug sinken?

Nagel: Ich glaube, dass das Gesetz zur Entscheidungslösung, das im November in Kraft tritt, verhalten starten wird und nicht mit der Euphorie, die man im Frühsommer noch hätte erwarten dürfen. Denn ich fürchte, dass der entstandene Vertrauensverlust dazu führt, dass sich zunächst weniger Menschen als erwartet bereit erklären, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und einen Spenderausweis auszufüllen.



Bis die umfassende Aufklärung, die das Gesetz vorsieht, greift, setze ich meiner Sorge die unerschütterliche Hoffnung entgegen, dass Menschen prinzipiell anderen Menschen in Not helfen wollen. Wenn es gelingt, umfassend zu informieren, bin ich überzeugt davon, dass unsere Mitbürger versuchen werden, die Transplantationsmedizin zu verstehen und am Ende sagen: Ich weiß, wie wichtig meine Entscheidung für viele schwer kranke Menschen in diesem Land ist.



Hintergrund

Voraussetzung für eine Organspende ist die Diagnose des Hirntods. Den müssen in Deutschland zwei Ärzte unabhängig voneinander im Abstand von 24 Stunden feststellen. Es dürfen dabei keine Hirnstammreflexe mehr vorhanden und keine Hirnströme mehr messbar sein. Auch muss der Patient aufgehört haben, selbst zu atmen. Die Hirntoddiagnostik erfolgt nach den Richtlinien der Bundesärztekammer. Jährlich sterben in deutschen Kliniken rund 400.000 Menschen, davon etwa ein Prozent am Hirntod.



Haben die Ärzte den Hirntod zweifelsfrei dokumentiert, sind alle weiteren therapeutischen Bemühungen sinnlos. Ist aus medizinischer Sicht eine Organspende möglich, reden der behandelnde Arzt oder ein Transplantations-Koordinator mit den Angehörigen des Verstorbenen über die Möglichkeit einer Organentnahme. In dieser Zeit wird die künstliche Beatmung aufrechterhalten. Liegt keine Erklärung des Verstorbenen zur Organspende vor, entscheiden die Angehörigen.



Die Ärzte informieren zwischenzeitlich die Organisationszentrale der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Sie koordiniert auf Anfrage die Spende von Herzen, Lungen, Lebern und Nieren in ganz Deutschland. Die DSO arbeitet eng mit 1.400 Krankenhäusern zusammen, ebenso kooperiert sie mit den rund 50 deutschen Transplantationszentren und der Vermittlungsstelle Eurotransplant im niederländischen Leiden, die für die Vermittlung der Organe in den acht europäischen Mitgliedsländern verantwortlich ist.



Wird der Organentnahme zugestimmt, finden umgehend Laboruntersuchungen des Spenderblutes statt, um Blutgruppe und Gewebemerkmale zu bestimmen sowie Infektionen auszuschließen. Letztlich entscheiden die Ärzte erst während des Eingriffs, ob ein Organ wirklich für den vorgesehenen Empfänger geeignet ist.



Nach der Entnahme werden die Organe auf schnellstem Wege zu den Transplantationszentren gebracht, wo die Empfänger bereits auf die Operation vorbereitet worden sind. Im Schnitt werden bundesweit täglich elf Organe übertragen.