CDU-Politiker Mißfelder zu Einsparungen bei Senioren-OPs

"Spitzenmedizin für alle kostet einfach mehr Geld"

Mit 85 Jahren noch ein künstliches Knie bekommen - Wenn es nach Gesundheitsminister Daniel Bahr soll damit jetzt Schluss sein. Der FDP-Politiker fordert, die Zahl "unnötiger" Operationen zu reduzieren. Philipp Mißfelder hatte schon 2003 Ähnliches vorgeschlagen. Im domradio.de-Interview erläutert Mißfelder, warum er die Dinge heute anders sieht.

 (DR)

domradio.de: Denken Sie, Daniel Bahr geht es wirklich darum, Senioren künftig wichtige OPs zu verweigern?

Mißfelder: Nein, das glaube ich nicht, dass das die Zielrichtung seines Interviews war. Ich glaube, es geht ihm darum, die Kosten einzudämmen. Aber zur Wahrheit gehört natürlich auch dazu, dass 83 Prozent  der Operationen von Knie- und Hüftgelenken  bei Über-60jährigen gemacht werden. Insofern, die Menschen, die sich gestern angesprochen gefühlt haben, sind auch meistens die Betroffenen.  



domradio.de: Auch Sie haben das Thema angeschnitten schon im Jahre 2003 und haben dafür heftigen Gegenwind geerntet. Warum aber sind wir in Deutschland Weltmeister bei den Endprothesen für Knie und Hüften?

Mißfelder: Das kann ich so nicht sagen. Ich bin sehr überrascht gewesen von Daniel Bahrs Vorstoß. Ich habe mich auch über den Zeitpunkt sehr gewundert. Ob er strategisch gewählt war oder nicht, das mag ich  nicht beurteilen. Ich weiß noch nicht, was er genau damit bezwecken will. Ob er wirklich Kosten eindämmen will.  eine Begrenzung dieser Operation wird natürlich auch zur Diskussion führen, denn der Personenkreis, den ich gerade beschrieben habe, der ist nun einmal über 60. Und die Menschen werden sich dann schon fragen: Ja, bekomme ich denn jetzt eine Hüfte? Bekomme ich keine? Wer soll das entscheiden? Der Arzt, die Krankenkasse oder etwa die Politik? Ich glaube, am Ende muss es der Arzt entscheiden. Und wir müssen allerdings den Ärzten auch die notwendige finanzielle Ausstattung geben, um dauerhaft die Operationen, die notwendig sind, finanzieren zu können. Und jetzt rede ich nicht über dieses Jahr, sondern über die Perspektive der nächsten 20 und 30 Jahre. Ich glaube schon, dass wir momentan von der Hand in den Mund leben in der Gesundheitspolitik. Und wenn wir in Zukunft, also in 20 oder 30 Jahren, auch noch für jeden - unabhängig von Einkommen und Alter - eine Hüfte bezahlen wollen, dann müssen wir jetzt dafür Geld ansparen, sonst werden wir uns das nicht mehr leisten können.  



domradio.de: Zumal es dann natürlich immer mehr ältere Menschen. Da gibt es ja die entsprechenden Hochrechnungen, dass 2020 schon jeder dritte über 60 Jahre alt ist und dann wird wahrscheinlich der Bedarf auch entsprechend größer sein.  

Mißfelder: Ja, das kommt hinzu. Deshalb glaube ich auch, dass ein ganz wichtiger Aspekt ist. Im Vergleich auch zum Hüftgelenks -Interview, was damals von mir ja sehr umstritten war  und wo ich sicherlich auch in der Wortwahl und im Ton viele Leute ja verängstigt habe. uNd dafür habe ich mich damals auch entschuldigt und bin auf die ältere Generation zugegangen. Und viele ältere Menschen haben mir auch verziehen. Aber ich glaube, dass im Unterschied zu vor 10 Jahren, wir jetzt eine Situation haben, wo der demographische Wandel schon spürbarer wird. Es gibt Sektoren im Arbeitsmarkt, es gibt Anzeichen in der Gesundheitspolitik, wo wir merken: Ja, die Gesellschaft wird einfach älter. die Menschen leben Gott sei Dank länger. Aber gleichzeitig ist das auch eine Herausforderung, wenn so wenig Kinder in unserer Gesellschaft vorhanden sind. Weil die Sozialsysteme ja irgendwie finanziert werden müssen. Und das ist, glaube ich, eine riesen Herausforderung.  



domradio.de: Ängste liegen aber zum Beispiel auch in dem Punkt, dass der Wilkür der Kassen ja vielleicht Tür und Tor geöffnet sein könnte, wenn sie einfach eine OP verweigern dürften.

Mißfelder: Also ich habe ja vorhin gesagt, wenn die Kassen, die Ärzte oder Politiker es entscheiden sollten, dann wird es ein Tohuwabohu geben. Im Zentrum muss der Arzt stehen, der das medizinisch Notwendige entscheidet. Aber wir müssen den Arzt so stark machen und auch finanziell so gut ausstatten, dass er nicht nach irgendwelchen Fallpauschalen, nach irgendwelchen Rationierungsvorstellung in der Koalition in Berlin oder durch die örtliche Krankenkasse eingeschränkt wird, medizinische Leistungen zu geben. Wenn wir das so wollen und dieser Grundkonsens wird ja von fast allen Politikern betont. Dass ist mir ja auch immer entgegen gehalten worden, dass ich diesen Konsens habe brechen wollen. Dieser Konsens wird von fast allen Politikern immer betont. Dann müssen die Politiker, die das behaupten auch so ehrlich sein und sagen: Spitzenmedizin für alle kostet einfach mehr Geld. Und diese Ehrlichkeit ist dringend notwendig.



domradio.de: Gesundheitsexperte Bahr fordert also ein besseres Qualitätsmanagement, damit unnötige OPs vermieden werden. Stimmen Sie dem zu und wie kann so ein Qualitiätsmanagement aussehen?  

Mißfelder: Ich bin wie gesagt sehr überrumpelt worden durch den Vorschlag vom Kollegen Bahr. Ich werde mir das auch genau anschauen, ob ich dem überhaupt so zustimmen kann. Denn das klingt erstmal gut, aber meine Frau ist selber Ärztin und ich habe von meiner Frau schon oft gehört, wie das dann abläuft. Die Politik beschließt etwas nach hehren Zeilen, also einerseits sagen alle Politiker in Berlin: Spitzenmedizin für alle. Gelichzeitig wird gesagt: Die Preise dürfen nicht steigen, weil wir wollen die Bürger nicht mehr belasten. Und dann heißt es vor Ort: Naja, irgendwie die Kosten dürfen nicht überschritten werden und das in einer alternden Gesellschaft. Sie haben es ja eben schon beschrieben, die Menschen werden älter und dadurch kommen auch die Krankheisbilder mehr zum Vorscheinen. Da die Verantwortung und den Spardruck auf die Ärzte abzuschieben.  Ich glaube, da machen wir uns das dann auch viel zu einfach. Die Gefahr ist doch dann, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nachher leidet. Und das dürfen wir nicht in Gefahr bringen.



domradio.de: Das heißt, die Diskussion ist noch nicht abgeschlossen aus Ihrer Sicht?

Mißfelder: Aus meiner Sicht noch nicht. Wir können das machen und sagen, wir wollen Kosten dauerhaft begrenzen, die Zahl der Operationen auch diskutieren. Ich möchte aber den Menschen hier bei der Gelegenheit auch sagen: Ich habe aus dem Hüftgelenk-Interview sehr viel gelernt. Vorallem auch, dass man das im Konsens machen muss. Ich kenne natürlich die medizinische Arbeit meiner Frau, die Situation in Krankenhäusern sehr gut und weiß, unter welchem großen Druck auch die Ärzte stehen. Kostendruck, der von der Geschäftsleitung ausgeübt wird. Der Druck der Krankenkassen und eine Erwartungshaltung der Patienten, die natürlich alle sagen: Wieso hat eigentlich mein Nachbar die Leistung so und so bekommen und warum soll ich sie jetzt  nicht bekommen. Ich bin doch genauso alt und habe genauso viel gezahlt wie er. Das ist eine Debatte, die immer ein Balanceakt ist. Deshalb glaube ich, Ehrlichkeit gehört dazu und die Perspektive der nächsten Jahrzehnte ist eben, dass wenn wir das Gesundheitsniveau des Gesundheitssystems in Deutschland so halten wollen, was wirklich gut ist, dann müssen wir alle mehr Geld dafür mobilisieren.          

Das Interview führte Dagmar Peters.



Hintergrund

Gesundheitsminister Daniel Bahr hatte diese Woche betont, dass Experten an der Notwendigkeit vieler Knie- und Hüftprothesen zweifeln. Fast 400 000 neue Hüft- und Kniegelenke setzen Deutschlands Ärzte laut Krankenhaus-Report 2010 der Barmer GEK im Jahr ihren Patienten ein. Seit 2003 gab es 18 Prozent mehr Hüft- und 52 Prozent mehr Knie-OPs. Um das Gesundheitssystem finanziell zu entlasten, hatte der FDP-Politiker vorgeschlagen, bei jedem medizinischen Eingriff zu prüfen, ob er sinnvoll sei.  



Die Opposition protestiert vehement gegen Bahrs Vorschlag. Von "Altersrationierung" warnt zum Beispiel SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Aber auch die CDU-Sozialausschüsse nennen die Vorstellung, ältere Menschen von Hüft- und Knieoperationen auszuschließen, menschenverachtend.