Bericht: Antisemitismus in der Schweiz weiter auf dem Vormarsch

Fokus auf Verschwörungstheorien

2019 gab es in der Schweiz laut aktuellem Bericht ähnlich viele antisemitische Vorfälle wie im Vorjahr. Ein besonderes Augenmerk liegt auf Verschwörungstheorien, die mit zahlreichen Vorfällen zusammenhängen.

Autor/in:
Sylvia Stam
Gefahr durch Verschwörungstheorien in der Online-Kommunikation / © Nicolas Armer (dpa)
Gefahr durch Verschwörungstheorien in der Online-Kommunikation / © Nicolas Armer ( dpa )

Antisemitismus bleibt auch in der Schweiz ein Problem. Zu diesem Schluss kommt ein neuer Bericht, der vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) und der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus herausgegeben wird. Antisemitische Vorfälle ereigneten sich im vergangenen Jahr demnach vor allem online: etwa in Kommentaren zu Online-Artikeln oder auf den Plattformen Facebook und Twitter. Insgesamt kam es 2019 demnach zu 523 antisemitischen Vorfällen (gegenüber 577 im Vorjahr), davon allein 485 online (535 im Vorjahr).

Dabei handelt es sich laut Bericht lediglich um die gemeldeten Fälle. Es müsse von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. Eine vollständige Abdeckung insbesondere des Online-Bereichs sei nicht möglich, hieß es. Laut Bericht sind die Zahlen für verbale und physische Vorfälle in der Schweiz tiefer als in den europäischen Nachbarländern. Online lägen hingegen "die Qualität und das Ausmaß an Übergriffen auf vergleichbarem Niveau".

"Besonderes Augenmerk auf Verschwörungstheorien"

Dem Begriff liegt die Definition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zugrunde, wonach "eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die im Hass auf Juden Ausdruck finden kann", gemeint ist. "Rhetorische und physische Manifestationen von Antisemitismus richten sich gegen jüdische oder nichtjüdische Individuen und/oder ihr Eigentum, gegen Institutionen jüdischer Gemeinden und religiöse Einrichtungen."

Der SIG legt in seiner Analyse "ein besonderes Augenmerk auf Verschwörungstheorien", wie Jonathan Kreutner, Generalsekretär des SIG, dem Portal kath.ch sagte. Diese machten 2019 mit 189 Fällen 36,6 Prozent der Online-Vorfälle aus. Der Begriff bezeichne Theorien, die "oft völlig absurde Schlüsse ziehen und meist eine 'jüdische Weltverschwörung' als Kern haben", heißt es im Bericht.

Bedeutung von Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit Anschlägen

Als Beispiele werden Kommentare genannte, in denen etwa eine jüdische Familie oder ein jüdisches Unternehmen für die Flüchtlingsbewegungen nach Europa verantwortlich gemacht würden. Das Ziel sei dabei eine "stupide 'negroide Mischrasse', die sich von der jüdischen Finanzelite besser kontrollieren lässt", zitiert der Bericht einen antisemitischen Kommentar.

Die Brisanz solcher Verschwörungstheorien zeige sich in den jüngsten rechtsextremistischen Anschlägen: etwa in Halle, Pittsburgh oder Christchurch, so der Bericht weiter. Dass die jeweiligen Attentäter ihre Motive mit bestimmten Verschwörungstheorien erklärt hätten, mache deutlich, "dass die Verbreitung von und Beschäftigung mit Verschwörungstheorien reale Taten mit gravierenden Folgen haben können." Auch beim Täter von Hanau, der offenbar rassistisch motiviert war, wurden in einem Manifest Versatzstücke von Verschwörungstheorien nachgewiesen, wie die "Zeit" zuletzt berichtete.

Regeln für die Online-Kommunikation

Wie aber sollen Medien vorgehen, wenn in Online- oder Social-Media-Kommentaren antisemitische Äußerungen getätigt werden? Kreutner empfiehlt grundsätzlich jedem Medium, eine sogenannte Netiquette einzuführen - also ein Regelwerk für die Online-Kommunikation. Darin sollten die Grenzen der Meinungsfreiheit benannt werden. Durchgesetzt werden könnten diese Regeln auch, indem entsprechende Kommentare gelöscht würden.

Erstmals wurden für die deutsch- und die französischsprachige Schweiz ein je eigener Antisemitismus-Bericht erstellt. Dabei wurde in der Westschweiz im Unterschied zur Deutschschweiz ein Anstieg von körperlichen und verbalen Übergriffen sowie von Vandalismus gegenüber Synagogen festgestellt. In der deutschsprachigen Schweiz sei außerdem die Leugnung der Schoah weniger verbreitet, hieß es. Im Online-Bereich deckten sich die Ergebnisse beider Landesteile.

Für das Tessin gibt es laut SIG keinen eigenen Bericht, weil von dort selten antisemitische Vorfälle gemeldet würden. Solche Einzelfälle würden in den deutschsprachigen Bericht integriert, hieß es auf Anfrage von kath.ch.


Quelle:
KNA