Eine Renaissance sehen Experten nicht "Es war nie weg"

Jiddisch ist lebendig

Heute schon geschmust? Oder stecken Sie gerade in einem richtigen Schlamassel? Diese Wörter aus dem Jiddischen haben Eingang in die Alltagssprache gefunden. Das Jiddische ist schon alt - und lohnt eine Betrachtung.

Autor/in:
Leticia Witte
Talmud in der Bibliothek / © Julia Steinbrecht (KNA)
Talmud in der Bibliothek / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Ein junger Journalist berichtet über seinen Vater, der Jiddisch sprach. Hin und wieder bekommt man Musiktipps zu Bands mit jiddischen Melodien, etwa "Quadro Nuevo". Und Netflix plant eine neue Serie, in der neben Englisch auch Jiddisch zu hören sein wird - Drehort Berlin. Was hierzulande durchaus exotisch anmutet, ist andernorts üblich - etwa in einigen Vierteln Antwerpens oder New Yorks. Und bereits 1978 erhielt Isaac Bashevis Singer, jiddischer Schriftsteller, den Literaturnobelpreis.

Die Netflix-Serie "Unorthodox" mit Shira Haas und Jeff Wilbusch beruht auf dem gleichnamigen Bestseller von Deborah Feldman. Ihre Muttersprache ist Jiddisch. Die 1986 geborene Feldman wuchs in der chassidischen Gemeinde im New Yorker Stadtteil Williamsburg auf. Ihr autobiografisches Buch erzählt von einer Frau, die aus einer ultraorthodoxen Gemeinschaft und vor einer arrangierten Ehe nach Berlin flieht und sich ein neues Leben aufbaut.

Stichwort Williamsburg: Ebenso wie Brooklyn und Borough Park ist dieser New Yorker Stadtteil eines der weltweiten Zentren, in denen Jiddisch gesprochen wird, wie Marion Aptroot, Inhaberin des Jiddisch-Lehrstuhls an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, sagt. Hinzu kämen etwa Kiryas Joel nahe New York, Antwerpen und das israelische Bnei Brak - Orte, an denen jeweils eine große (ultra-)orthodoxe Community zuhause ist.

11 Millionen Sprecher vor dem Zweiten Weltkrieg

Dort hört man die Sprache auf der Straße, in Geschäften oder liest sie in Publikationen. Nach Angaben der Abteilung für Jiddische Kultur, Sprache und Literatur der Uni Düsseldorf ist die genaue Zahl der Sprecher heute nicht bekannt. Schätzungen bewegten sich zwischen 100.000 und einer Million. Vor dem Zweiten Weltkrieg habe es etwa 11 Millionen Sprecher gegeben.

Schon damals hätten viele Juden das Jiddische wegen Kampagnen gegen Minderheitensprachen und Dialekte aufgegeben und sich an die Nationalsprachen der Staaten assimiliert, in denen sie lebten.

Während der Schoah töteten die Nationalsozialisten einen großen Teil der Sprecher. Und nicht nur das: Die Wissenschaftler erinnern auch daran, dass der stalinistische Terror und andere Repressionen in den früheren Ostblock-Staaten darüber hinaus zum Rückgang der Sprache beigetragen hätten.

Fast alle aschkenasischen Juden sprachen Jiddisch. Erste Formen des Jiddischen entstanden den Angaben zufolge vor dem 12. Jahrhundert im deutschen Süden auf Basis mittelhochdeutscher Dialekte und entwickelten sich zu einer eigenen Sprache. Wegen der Auswanderung im 19. Jahrhundert und der Verfolgung durch die Nationalsozialisten im 20. Jahrhundert verbreitete sich Jiddisch über die Welt.

"Jiddisch war nie weg"

Und heute? "Von einer Renaissance, wie immer mal wieder zu lesen ist, kann nicht die Rede sein", sagt Professorin Aptroot. "Jiddisch war nie weg." Bestimmte Gruppen seien aktiv, eben Ultraorthodoxe. Es gibt jiddische Kinderbücher und Schulen, in denen die Sprache gesprochen wird. Aptroot berichtet mit Blick auf den jüngsten Masernausbruch in New Yorker orthodoxen Gemeinschaften von Informationen, die die Stadt auf Jiddisch verbreitet.

In Deutschland existiert neben Düsseldorf auch ein Lehrstuhl für Jiddisch in Trier. Der Duden gab kürzlich sein Jiddisches Wörterbuch in dritter Auflage heraus. Vor ein paar Monaten erschien Uwe von Seltmanns ambitioniertes Buch "Es brennt. Mordechai Gebirtig, Vater des jiddischen Liedes". Und wer nutzt nicht mal Wörter wie "Zoff", "schmusen" oder "Schlamassel"?

Im Alter von 19 Jahren fing Alina Bothe an, Jiddisch zu lernen - und blieb dabei. Vor sieben Jahren übersetzte sie sogar einen Roman ins Deutsche: "Grenadierstraße" von Fischel Schneersohn über jüdisches Leben im Berlin der 1920er Jahre. Dort lebt auch Bothe (36). Als Historikerin nutze sie Jiddisch, um Quellen zu erschließen - oder in Gesprächen mit Holocaust-Überlebenden.

"Ich sehe ein zunehmendes Interesse in der Wissenschaft", sagt Bothe.

Eine Renaissance des Jiddischen macht auch sie nicht aus, wohl aber Interesse und Hinwendung - jedoch nicht in der Alltagskultur. Trotz aller Modernität des Jiddischen sagt Bothe auch: "Jiddisch zu sprechen und zu schreiben, ist ein Gedenkakt für eine untergegangene Welt."


Quelle:
KNA
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