Efrat Gal-Ed schreibt über den jiddischen Literaten Itzik Manger

Eine Reise ins Jiddischland

Jiddische Literatur im Sturm des 20. Jahrhunderts: Zwischen Weltkriegen, Verfolgung und dem Gefühl der Heimatlosigkeit versuchen jüdische Autoren Fuß zu fassen. Ihre literarische Heimat finden viele von ihnen im Jiddischen. 

Autor/in:
Pia Steckelbach
Jüdisches Leben in Europa gefährdet? (dpa)
Jüdisches Leben in Europa gefährdet? / ( dpa )

Jiddisch ist "hefker", was übersetzt so viel bedeutet wie "vogelfrei". "Hefker" meint den Zustand von Heimat- und Herrenlosigkeit. Zwar war die Sprache Jiddisch offiziell nie verboten, ihre Sprecher aber sahen sich bisweilen großem sozialen Unmut und Unterdrückung ausgeliefert.

Trotzdem oder gerade deswegen hat sich Itzik Manger, einer der bekanntesten jiddischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, ganz bewusst dazu entschieden, auf Jiddisch zu schreiben. Eine folgenträchtige Entscheidung: Denn Manger gilt noch heute als einer der bedeutendsten Verfechter der jiddischen Kulturbewegung.

Wer ist Itzik Manger?

Manger wurde im Jahr 1901 in Czernowitz, der damaligen Hauptstadt von Österreich-Ungarn geboren. Er sprach Rumänisch und Deutsch, und auch Jiddisch hörte und sprach er zu Hause. Schon früh begeisterte ihn die deutsche Literatur und er beschloss, Dichter zu werden.Manger wählte Jiddisch und stellte sich damit bewusst den Herausforderungen, die eine "Niemandssprache" mit sich bringt:

Eine Sprache ohne Territorium und Institutionen, die sie beschützen kann.

Was bedeutet Jiddisch?

Als vor mehr als eintausend Jahren Juden aus Norditalien und Frankreich in die Rhein- und Donauländer sowie nach Lothringen einwanderten, brachten sie ihre eigenen Sprachen mit. Hebräisch und Aramäisch benutzen sie für die religiösen Studien und den schriftlichen Verkehr. Für säkulare Belange nutzen sie "La’as", eine jüdischromanische Sprache. Das Jiddische entstand aus einer Vermischung dieser drei Sprachen mit dem Mittelhochdeutschen, das die Einwanderer in ihrer Umgebung aufnahmenen.

Deswegen können auch heute noch deutsche Muttersprachler einige Wörter aus dem Jiddischen ohne Probleme verstehen. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg soll es weltweit gut elf Millionen Sprecher gegeben haben. Wie viele Menschen heute noch des Jiddischen mächtig sind, lässt sich allerdings nicht feststellen.

Jiddischland liegt auf der ganzen Welt

Wie Manger erging es vielen Autoren, die auf Jiddisch schrieben. Es ist ein Bekenntnis gegen den sprachlichen Mainstream und eine Entscheidung für die Rückbesinnung auf die eigene, jüdische Kultur. Das war freilich nicht risikolos, denn jüdische Presse war immer wieder Opfer von staatlicher Unterdrückung und Verfolgung.

So galt auch Jiddisch als korrumpiertes Deutsch und im besten Fall als Umgangssprache. Trotzdem sprossen in der Zwischenkriegszeit Gegenbewegungen für den Erhalt des Jiddischen in Form von Kulturinstitutionen aus dem Boden: Zeitschriften, literarische Vereine und Verlage.

Sie nennen sich "Kulturtuer"

Itzik Manger schloss sich solchen Vereinigungen an und veröffentlichte erste jiddische Gedichte, hielt Vorträge und tauschte sich mit anderen Literaten aus. Was die "Kulturtuer", wie sie auf Jiddisch heißen, zusammenhielt, war die Idee einer eigenen Kulturnation: dem Jiddischland. Fernab von geographischen Grenzen bezeichneten sie damit ein ideelles Konstrukt, das seine Heimat in der gemeinsamen Sprache fand. 

Der Begriff "Jiddischland" trat im Jahr 1927 zum ersten Mal auf, als ein Zusammenschluss jiddischer Schriftsteller in die internationale Autorenvereinigung P.E.N. eintreten wollte. Bei der Frage nach ihrer Nationalität gaben sie schlichtweg "Jiddisch" an.

Vor dem zweiten Weltkrieg gab es gar richtige Hauptstädte des Jiddischlands: In Warschau, Vilna (Vilnius), Kiew und Moskau leben bedeutende jiddischsprachige Publizisten. Nach 1945 werden New York, Montreal, Buenos-Aires und Tel-Aviv zu neuen Zentren.

Shoah raubte die ideelle Heimat

Auch Itzik Manger zog es in den zwanziger Jahren in eine dieser Hauptstädte: Er ging nach Warschau, wo jiddische Bücher für den internationalen Markt produziert wurden. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs floh er ins Exil nach Paris, später nach London. Dort überlebte er zwar den Krieg, aber der Dichter in ihm war nicht mehr derselbe - hatte er doch seine Heimat, die jiddische Kultur, mitsamt vielen ihrer Sprecher verloren.

Manger veröffentlichte in der Folgezeit nur noch wenig, unternahm aber in den fünfziger Jahren Vortragsreisen in die USA und wurde schließlich in New York in ausverkauften Sälen gefeiert; später auch in Israel. Bei seinem Tod im Jahr 1969 war er einer der bekanntesten Vertreter einer jiddischen Literaturbewegung - die es so nie mehr geben wird.

Lebenslange Begleitung durch Manger

Die Jiddischexpertin Efrat Gal-Ed hat sich nun in einer kritischen Biografie mit der Person Mangers und dessen Wirken auseinandergesetzt. Dafür hat sie bisher unbekannte Dokumente und Zeitzeugnisse ausgewertet und ist auch auf Widersprüche gestoßen: Manger gibt beispielsweise selbst über sich an, schon im Jahr 1900 in Berlin geboren worden zu sein, wahrscheinlich um seiner Herkunft und Entscheidung, auf Jiddisch zu schreiben, einen kulturpolitischen Hintergrund zu verleihen.

In ihrem Buch unternimmt Gal-Ed Reise durch das Jiddschland der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts und erzählt anhand der Stationen im Leben von Itzik Manger und seinen Weggefährten die Verhältnisse im jüdischen Osteuropa und im europäischen Exil nach. Dabei folgen die einzelnen Seiten einem besonderen Aufbau: Die Lebensgeschichte Mangers wird optisch von literarischen Beispielen und historischer Einordnung abgegrenzt, und ermöglicht so verschiedene Lesarten. Die Gestaltung erinnert an den jüdischen Talmud mit dem Mischnatext, eingefasst in die Kommentare.

Zeitlose Worterepublik

Die Ideen der Anhänger des Jiddischlands sind für Gal-Ed noch heute relevant. Sie sieht in ihnen "echte Europäer", sie hätten damals schon den Gedanken an eine Nation jenseits von politischen oder territorialen Grenzen tradiert. Trotzdem bemängelt die Autorin, dass die Themen rund um die jiddische Kultur und Lebensweise im kollektiven Bewusstsein in Vergessenheit geraten sind. Mit ihrer Biographie wolle sie einen Beitrag dazu leisten, Jiddischland und seine Literaten lebendig zu halten.

Bei einer Veranstaltung im Domforum hat sie ihr Buch vorgestellt. Der Abend war Teil einer Vortragsreihe des katholischen Bildungswerks in Kooperation mit der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit.


Professorin Efrat Gal-Ed / © Pia Steckelbach (DR)
Professorin Efrat Gal-Ed / © Pia Steckelbach ( DR )
Quelle:
DR