Kritik und Lob: Messianische Juden in Israel

Jesus wird koscher

Jesus war Jude, spielt im jüdischen Glauben aber keine Rolle. Viele Israelis lehnen ihn als Symbol der Judenverfolgung durch die Kirche ab. Eine kleine, aber wachsende Gruppe geht jedoch einen eigenen Weg: die "messianischen Juden".

Autor/in:
Sara Lemel
Ein Jude lässt sich im Jordan in Israel taufen. (dpa)
Ein Jude lässt sich im Jordan in Israel taufen. / ( dpa )

Der Israeli Yoel Ben David und seine deutsche Frau Adel sind als Juden aufgewachsen. Doch heute glauben sie auch an Jesus als den Erlöser - und stehen damit in klarer Opposition zu der Mehrheit der Juden, die Jesus nicht als Gottessohn, sondern als Abtrünnigen sehen. Ben David ist der stellvertretende Leiter der Organisation "Jews for Jesus" in Israel. "Ich bin hier vor allem der Lehrer", erzählt der 38-jährige bärtige Mann in seinem hochmodernen Büro mit schönem Blick auf Tel Aviv. "Ich unterrichte Menschen, die sich für Jesus interessieren, für das alte und das neue Testament."

Ben David und seine 37 Jahre alte Frau gehören zu den "messianischen Juden" in Israel. Es gibt mehrere verschiedene Gruppierungen, nach ihren eigenen Angaben haben sie insgesamt etwa 15.000 Anhänger. In dem Land mit rund neun Millionen Einwohnern sind sie immer noch eine kleine Minderheit, doch die Zahl der Anhänger wachse kontinuierlich, sagt Ben David.

Erzogen zu "guten Juden"

Viele jüdische Israelis sehen ihre Aktivitäten als schlimme Provokation. Aus ihrer Sicht untergraben die "Juden für Jesus" die Werte des jüdischen Staates, der nach Jahrhunderten der Verfolgung von Juden durch Christen als sichere Heimstätte gegründet wurde. Christliche Missionierung ist allerdings in Israel nicht verboten, außer wenn sie mit finanziellen Anreizen verbunden ist oder sich ohne Zustimmung der Eltern an Minderjährige wendet.

Geboren wurde Ben David in der israelischen Stadt Rechovot, seine Mutter ist Jüdin mit marokkanischen Wurzeln, sein Vater christlicher Schotte. Aufgewachsen ist er in England. "Ich bin als Kind in die Synagoge und in die jüdische Schule gegangen", erzählt er. "Meiner Mutter war es sehr wichtig, dass mein Bruder und ich gute Juden sind - genau wie sie."

"An Jesus glauben"

Nach seiner Rückkehr nach Israel lernte er in einem Hebräischkurs seine zukünftige Frau Adel kennen, die aus Berlin eingewandert war. Gemeinsam wurden sie zunächst religiös - im klassischen jüdischen Sinne. Yoel Ben David trug damals einen schwarzen Anzug, einen langen Bart, Schläfenlocken und Gebetsfransen; Adel züchtige Kleidung und eine Kopfbedeckung. Sie zogen nach Jerusalem.

Die Wende kam, als Ben David in der Armee diente - ausgerechnet in einer Basis des Militär-Rabbinats. "Eine Bekannte aus Jerusalem stellte uns vor eine Herausforderung: Die ganze Bibel ohne Auslegungen zu lesen", erzählt Ben David. "Adel und ich haben um die Wette gelesen." Während des Bibelstudiums kamen beiden Zweifel an der klassischen jüdischen Religionsauslegung. Besonders als er das Buch Jesaja las, in dem es um einen leidenden Gottesknecht geht. "Ich fragte unsere Bekannte, und sie sagte, da geht es um Jesus - und dann wurde mir klar, dass sie an Jesus glaubt."

Erst reagierte Ben David ablehnend, doch allmählich, binnen eines Jahres, übernahm er den Glauben an Jesus als jüdischen Messias. Yoel und Adel ließen sich in Jerusalem taufen. "Mir persönlich war die Suche nach der Wahrheit am wichtigsten", sagt er ernst. "Für mich ist es das Jüdischste überhaupt, den wahren Gott Israel zu finden."

Abneigung vs. soziales Engagement

Menschen in seinem strengreligiösen jüdischen Umfeld reagierten zutiefst schockiert. "Leute haben uns auf der Straße aufgelauert und uns hinterhergerufen: 'Verräter, Verräter'." In einer Zeitung religiöser Juden sei sein Bild als Warnung mit der Überschrift "Yoel Ben David, der gefährlichste Mann" veröffentlicht worden.

"Wir sind manchmal auf der Straße, wir wenden uns an Leute, sprechen mit ihnen über Jesus. Wer sich dafür interessiert, spricht mit uns. Natürlich will ich, dass jeder an das glaubt, was ich glaube. Aber jeder muss für sich selbst entscheiden." Viele messianische Juden in Israel setzen sich für wohltätige Zwecke ein, helfen Drogensüchtigen und Prostituierten. Etwa hundert Gebetshäuser haben sie in Israel, einige treffen sich aus Furcht vor Sanktionen heimlich, andere wollen sich nicht verstecken. "Wir haben immer mehr Anhänger und immer mehr Mitglieder, die sich offen zeigen", sagt Ben David.

Kritik und Skepsis

Damit sind sie vielen strengreligiösen Juden ein Dorn im Auge. Rabbi Schmuel Lifschitz und seine Organisation "Yad LaAchim" (Hand den Brüdern) kämpft gegen messianische Juden, deren Aktivitäten er als "Betrügerei" beschreibt. "Ihr Glaube ist christlich, aber sie präsentieren sich als Juden und so locken sie Juden ins Netz", sagt er. Sie betrieben letztlich "Seelenraub", sagt Lifschitz.

Auch der deutsche Leiter der Dormitio-Abtei in Jerusalem, Pater Nikodemus Schnabel, beobachtet die Aktivitäten der messianischen Juden mit Skepsis. "Wir als katholische Kirche lehnen Judenmission ab", sagt Schnabel. "Das ist für uns ein Tabu - Juden sollen Juden bleiben." Gleichzeitig betont er, jedem Menschen stehe sein eigener Glaube zu. "Ich bin ein großer Fan von Religionsfreiheit."

Aktive und teilweise aggressive Missionierungsversuche von Christen und messianischen Juden lehnt er jedoch ab. "Das vergiftet den jüdisch-christlichen Dialog." Außerdem fürchtet er, übergriffige Missionare könnten anti-christliche Gewalt nähren, die er fast täglich in Jerusalem erlebt. "Eine Quelle des Hasses ist, dass Juden meinen, wir wollten sie missionieren." Es sei dabei wichtig, den geschichtlichen Hintergrund zu bedenken - die Judenverfolgung durch Christen sei Vorbote des Nationalsozialismus gewesen. "Ich verstehe Juden, wenn sie sehr empfindlich darauf reagieren, von Missionaren bedrängt zu werden."

Angst vor dem Christentum

Die Religionsforscherin Marcie Lenk vom Hartman-Institut in Jerusalem sieht bei vielen jüdischen Israelis immer noch "eine bewusste oder unbewusste Angst vor dem Christentum, vor allem wenn es dem Judentum so nah ist wie im Fall der messianischen Juden". Hintergrund sei die jahrhundertelange Verfolgung von Juden durch Christen und der Vorwurf, die Juden hätten Jesus ermordet. Gleichzeitig gebe es heute in Israel "auch Menschen, die sich mit Jesus und seinen Jüngern identifizieren, sozusagen als Juden der ersten Generation. Denn sie waren ja alle Juden."

"Die ganz überwiegende Mehrheit der Juden - heute und im Verlauf der Geschichte - ist jedoch überzeugt, dass es unmöglich ist, gleichzeitig Jude zu sein und an Jesus zu glauben. Es ist ein Widerspruch", sagt Lenk. "Aber: Die persönliche Identität widersetzt sich einfachen Definitionen." Es gebe zwar ein tiefes menschliches Bedürfnis nach klaren Kategorien. In der heutigen Welt sei jedoch immer mehr Platz für "ungewöhnliche Formen der Identität".

Christlich-jüdische Paare

Unter den messianischen Juden finden sich viele russische und äthiopische Einwanderer. Gerade unter den Juden aus der ehemaligen Sowjetunion gibt es viele christlich-jüdische Paare. Viele Einwanderer werden vom Rabbinat auch nicht als jüdisch anerkannt. "Bei einigen ist die öffentliche Identität jüdisch, aber der private Glaube ist christlich", sagt Lenk. "Sie gehen aber lieber in messianische Gebetshäuser als in Kirchen, weil sie sich immer noch als Juden sehen."

Adel und Yoel Ben David haben im Jahr 2000 noch ganz klassisch in der Synagoge geheiratet. Heute könnten sie das womöglich nicht mehr. Im vergangenen Monat entschied das für Eheschließungen zuständige Rabbinat, ein Paar messianischer Juden könne nicht in einer traditionellen jüdischen Zeremonie heiraten - außer sie geben ihren christlichen Glauben auf.

Adel und Yoel geben ihre Identität an der Schnittstelle der beiden Religionen auch an ihre vier Kinder weiter: Zwei von ihnen gehen auf eine jüdische und zwei auf eine christliche Schule. "Sie kennen unseren Glauben", sagt die Mutter lächelnd. "Ihren eigenen Weg müssen sie später selbst wählen."


Yoel Ben David und seine deutsche Frau Adel / © Sara Lemel (dpa)
Yoel Ben David und seine deutsche Frau Adel / © Sara Lemel ( dpa )

Pater Nikodemus Schnabel / © Stefanie Järkel (dpa)
Pater Nikodemus Schnabel / © Stefanie Järkel ( dpa )
Quelle:
dpa