Präsident des Zentralrats der Juden tritt ab

"Moderner und professioneller"

Beschneidungsdebatte und antisemitische Kundgebungen: Dieter Graumann fand als Präsident des Zentralrats der Juden deutliche Worte. Am Sonntag tritt er ab.

 

Autor/in:
Christoph Arens
Dieter Graumann  (dpa)
Dieter Graumann / ( dpa )

Er wollte das Judentum in Deutschland "moderner, frischer und vor allem positiver" darstellen. Judentum bedeute "eben nicht nur immer Verfolgung und Elend und Katastrophen"; es sei keineswegs "fortwährend meckernd", sondern "herzlich und immerzu begeistert dem Leben zugewandt", hat Dieter Graumann gesagt.

Nur eine Amtszeit hat er als Präsident des Zentralrats der Juden versucht, dieses Ziel umzusetzen. Ende Oktober kündigte der 64-Jährige an, er wolle nicht wieder für diesen aufreibenden Posten kandidieren und wieder mehr Zeit für Privatleben haben. Am Sonntag wählt der Zentralrat in Frankfurt einen Nachfolger.

"Erinnerung an Holocaust verblasst"

Zuvor zog der scheidende Präsident eine gemischte Bilanz: Der Zentralrat arbeite jetzt moderner und professioneller, sagte er. Zugleich werde der Antisemitismus wieder offener zur Schau getragen. "Es ist für manche Menschen kein Tabu mehr, ihre Judenfeindschaft auszuleben und zu zeigen." Als Erklärung nennt Graumann das Verblassen der Erinnerung an den Holocaust: "Auschwitz liegt weiter zurück. Der Schock über die Verbrechen der Nazis sitzt bei einigen offenbar nicht mehr so tief."

Dennoch ließen sich die Juden nicht einschüchtern. Graumann wurde 2010 Nachfolger von Charlotte Knobloch. Als Zentralratspräsident war er der erste, der die Zeit des Holocaust nicht selbst miterlebte. Zentrale Aufgabe des Zentralrats ist seit den 90er Jahren die Integration der vielen aus der ehemaligen Sowjetunion zugezogenen Juden. In den Verhandlungen mit der Bundesregierung hat der Präsident die Verdoppelung der finanziellen Zuwendungen erreicht, auch weil die Integrationsleistung der jüdischen Gemeinschaft damit anerkannt wird.

Klare Worte

Graumann ist ein politischer Kopf und ein glänzender Redner, der deutliche Worte nicht scheut - etwa im Kampf gegen Antisemitismus von Rechts und Links, Islamismus und Rechtsradikalismus. "Sorgen macht mir vor allem, dass heutzutage das Wort 'Jude' auf deutschen Schulhöfen als Schimpfwort benutzt wird und es offenbar keinen groß zu kümmern scheint", sagte er. Der Zentralratspräsident zählte auch zu den überzeugten Befürwortern eines NPD-Verbots durch das Bundesverfassungsgericht.

In seine Amtszeit fiel darüber hinaus die Auseinandersetzung um die Beschneidung: Das Kölner Landgericht hatte die Beschneidung aus religiösen Gründen als strafbare Körperverletzung gewertet - was laut Graumann viele Juden stark verletzt hat. Beschneidungen würden im Judentum seit über 4.000 Jahren vorgenommen; ein juristisches Verbot würde jüdisches Leben in Deutschland faktisch unmöglich machen, argumentierte er. Dass die beiden großen Kirchen in dieser Frage die jüdische Position deutlich unterstützten, registrierte er mit großer Dankbarkeit.

Neuer Vorname

Geboren wurde Graumann 1950 nahe Tel Aviv - und zwar mit dem Vornamen David. Die aus Polen stammenden Eltern hatten die Nazi-Konzentrationslager überlebt und waren anschließend nach Palästina ausgewandert. Weil der Vater das heiße Klima nicht vertrug, verließ die Familie das Land aber zu Beginn der 50er Jahre wieder und kam nach Frankfurt, wo Graumann zur Schule ging und Volkswirtschaft studierte.

Damit der Junge nicht sofort als Jude erkennbar war, nannten die Eltern ihn Dieter. Graumann promovierte 1979 über die Europäische Währungsunion und war für zweieinhalb Jahre Mitarbeiter in der Volkswirtschaftlichen Abteilung der Deutschen Bundesbank.

Nicht verstecken

Ignatz Bubis, früherer Präsident des Zentralrates und davor Chef der Frankfurter jüdischen Gemeinde, ermunterte Graumann Mitte der 90er Jahre, in die Gemeindearbeit einzusteigen. "Von ihm habe ich auch gelernt, dass die Juden sich nicht verstecken dürfen", sagt er.

In der Frankfurter Gemeinde, die heute mit mehr als 7.000 Mitgliedern zu den vier größten in Deutschland gehört, war Graumann Dezernent für Finanzen, Schule, Kultur und Presse. Die Bildung war ihm besonders wichtig: In einer wertegebundenen Erziehung von Kindern sieht er eine grundlegende Gemeinsamkeit von Judentum und Christentum und einen wesentlichen Sinn ihres Dialogs. "Ich bin ein gläubiger Mensch; für mich hängen Werte und Religion eng zusammen."


Quelle:
KNA