Weiter Empörung über Meisner-Predigt - Amtsbrüder zeigen teilweise auch Verständnis - Experten fordern vom Kardinal eine Entschuldigung

Wenn jeder eine Meinung hat

Die Predigt des Kölner Erzbischofs Joachim Meisner zur Gefahr einer "entarteten Kultur" sorgt weiter für Aufregung. Der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) appellierte am Montag in Bonn an den Kardinal, sich von seiner Äußerung zu distanzieren. Der Kölner Jesuitenpater Friedhelm Mennekes forderte im domradio eine Entschuldigung, nahm den Kardinal aber auch in Schutz. Die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, warnte davor, den "braunen Ungeist" wieder salonfähig zu machen. Unterdessen bekommt Meisner zum Teil Rückendeckung aus den Reihen seiner Amtsbrüder.

 (DR)

Meisner hatte am Freitag im Kölner Dom gesagt, wo die Kultur von der Gottesverehrung abgekoppelt werde, erstarre der Kultus im Ritualismus "und die Kultur entartet." "Entartete Kunst" ist ein von den Nationalsozialisten geprägter abwertender Begriff für moderne Kunst, die sich nicht in das Kunstverständnis der NS-Ideologie einfügte.
In einem vom BKK verbreiteten offenen Brief an Meisner heißt es, es sei wichtig, dass es den im Grundgesetz garantierten Freiraum für Kunst gibt. Wichtig sei aber auch, dass dieser Freiraum von den Menschen akzeptiert wird. Der Verband forderte den Kardinal "nachdrücklich auf, sich von Ihrer, wie wir hoffen, unbedachten Äußerung unverzüglich zu distanzieren".
Mennekes, der in Köln 1987 die Kunst-Station Sankt Peter als Zentrum für zeitgenössische Kunst und Musik gründete, forderte: "Er hat sich versprochen, dann soll er das auch sagen und bedauern." Knobloch sagte in Duisburg, sie hätte von Meisner mehr Sensibilität bei seinen Äußerungen erwartet.
Der Sprecher des kulturpolitischen Ausschusses von ver.di NRW, Lorenz Mueller-Morenius, nannte die Äußerung von Meisner einen "Angriff auf die Demokratie aus der Mitte der Gesellschaft heraus". Der von dem Kardinal benutzte Ausdruck "entartet" sei eine der gefährlichsten Vokabeln der Nazipropaganda und habe der Vernichtung deutscher Kultur und der Verfolgung zahlreicher Künstler Vorschub geleistet. "Es ist zu befürchten, dass solches Denken durch einen der führenden Vertreter der katholischen Kirche wieder gesellschaftsfähig wird", so Mueller-Morenius.
Bischöfe: Zusammenhang von Kultur und Kultus
Auch Ruhrbischof Felix Genn sowie der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst zeigten Unverständnis über die Verwendung des Begriffs "entartet" durch Meisner. Genn und Fürst nahmen Meisner aber teilweise auch in Schutz.
Meisner habe eigentlich nicht "entartete Kunst" im nationalsozialistischen Sinne gemeint, sondern "Kunst, die aus der Art schlägt", sagte Genn. "Was Meisner sagen wollte, ist, dass Kunst, die den Transzendenz-Bezug vermissen lässt, Kopf und Hirn fehlt", erläuterte Genn. Kunst ohne Gottesbezug sei weder herzlich noch vernünftig.
Fürst sagte, der Kern und das Fundament jeder Kultur sei die Religion. Auch gebe es eine tiefe innere Nähe zwischen der Religion und der Kunst. In beidem bringe der Mensch seine Beziehung zur Transzendenz zum Ausdruck und versuche, das Unsagbare in Bildern, Gleichnissen und zeichenhaften Handlungen zum Ausdruck zu bringen. Er verstehe das Anliegen Meisners, der den Zusammenhang von "Kultur und Kultus" betont habe, in diesem Sinne und könne es in dieser Interpretation bejahen.

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