Einer der Organsiatoren der Domwallfahrt im Gespräch

"Freundschaft geht durch Dick und Dünn"

Unter dem Motto "Ich habe Euch Freunde genannt" (Joh 15,15) lädt das Erzbistum Köln vom 23. bis 27. September zum vierten Mal zur Domwallfahrt ein. Markus Roentgen von der Stabsstelle Spiritualität und Gottesdienst des Generalvikariats im Gespräch über die Freundschaft mit Gott.

 (DR)

PEK (Pressestelle des Erzbistum Köln): Erzbischof Joachim Kardinal Meisner hat der Domwallfahrt in diesem Jahr das Motto aus dem Johannes-Evangelium vorangestellt. Worauf soll es aufmerksam machen?

Markus Roentgen: Zunächst ist Freundschaft ein Thema, das jeden anspricht. Jeder spricht gern von seinen Freunden und zeigt damit an, dass er nicht allein ist, mit anderen in Kontakt steht und, etwas umgangssprachlich, kein Stinkstiefel ist. Wer keine Freunde hat, mit dem stimmt etwas nicht. Die meisten Menschen würden jedoch sagen, dass sie, wenn sie ehrlich sind, vielleicht eine Handvoll Freunde haben. Das klingt vielleicht bitter, ist es aber gar nicht, wenn man das Wesen von Freundschaft bedenkt. Freundschaft berührt uns Menschen tief und sie kann uns auch sehr fordern, gelegentlich sogar überfordern. Kardinal Meisner sagt in seinem Vorwort: Im Kern geht Freundschaft durch Dick und Dünn. Was heißt das? Es meint, dass der andere auch unangenehme Seiten hat, trostlose Situationen durchleben muss. Er kann Schuld auf sich laden, die vielleicht sogar unverzeihlich ist und uns eigentlich erschreckt. Wenn wir jemandes Freund sind, dann schließen wir vor diesen Seiten nicht die Augen. Wenn wir uns einen Freund nennen, dann haben wir die ganze Person des anderen im Blick: seine guten und schlechten Facetten. Dazu kommt noch ein weiteres entscheidendes Merkmal, was die Freundschaft von allen familiären Beziehungen unterscheidet: Der Freund kann jederzeit gehen, er ist dem anderen durch kein Gesetz verpflichtet. Freundschaft beruht auf der immer wieder getroffenen Wahl, zu bleiben.
PEK: Wenn Gott uns Freunde nennt, was bedeutet das? Das ist ein ungewöhnliches Angebot - wo liegt das Besondere? Was kann ich mir darunter vorstellen?
Roentgen: Im Johannes-Evangelium hören wir von Jesus, was er uns über Gott sagt: dass Gott keine Knechte möchte, sondern dass er uns Freundschaft anbietet. Das geht weit über unsere Vorstellungskraft hinaus: Eine Freundschaft mit Gott- wie soll die aussehen? Wir sind doch so fehlerhaft und schwach und er so groß! Es ist schwer fassbar, dass Gott nicht mit Autorität, Gewalt und Herrschaft auftritt, vor der ich mich ducken und fürchten muss. Ganz im Gegenteil: Gott zeigt sich zuerst in einem Kind in einer Krippe - mehr Augenhöhe geht nicht! Man hat manchmal den Eindruck, die Menschen würden sich nach einem herrischen Gott sehnen, der ihnen die Entscheidungen abnimmt und blinde Nachfolge wünscht. Aber Gott hat uns Freiheit gegeben; in Freiheit können wir uns für ihn entscheiden, nicht durch Zwang.
PEK: Daraus könnte man schließen, dass Gott sich von uns abhängig macht? Wäre es nicht eine Schwäche, von Menschen abhängig zu sein?
Roentgen: Man kann sagen: In gewisser Weise liefert Gott sich uns aus. In der Person Jesu begibt er sich in die Welt und setzt sich den Urteilen der Menschen aus. Das geht soweit, dass er sich von ihnen kreuzigen lässt. So weit geht sein Angebot der freiheitlichen Nachfolge, dass er die radikale Ablehnung erträgt und auf sich nimmt! Im Christentum möchten wir auf das Freundschaftsangebot Gottes eingehen, diese Freundschaft für uns annehmen und sie als Botschaft leben und in die Welt tragen. Einer Sache können wir uns dabei sicher sein: Gott hat sich für seine Freundschaft fehlerhafte Partner und unsichere Kantonisten ausgesucht, aber er traut ihnen zu, seine Botschaft zu leben! Aus dieser Gewissheit können wir immer wieder einen Aufbruch wagen und unsererseits auf andere zugehen. Gott bittet uns, sein Freundschaftsangebot in der Welt zu leben. Im Kern geht es  bei den Jüngerberufungen und Aussendungen genau darum - er sagt: Geht zu zweit in die Welt und bietet an, was ihr mitzuteilen habt. Und das in aller Freiheit für den anderen.
PEK: Gott verzeiht uns unsere Schuld, wir fallen nicht aus seiner Hand, obwohl wir nicht immer "angenehme Freunde" sind?
Roentgen: Ja, die Freundschaft mit Gott ist nicht immer leicht durchzuhalten. Papst Johannes Paul II. hat das einmal sehr beeindruckend umgesetzt: Er ging auf seinen Attentäter zu, sprach mit ihm und verzieh ihm. Das hat er in der Nachfolge Jesu getan. Und diese Geste hat ihn etwas gekostet; das war nicht einfach. Er wird auch Zeit gebraucht haben, bis das vom Entschluss zur ehrlichen Umsetzung gekommen ist.
PEK: In dieser duldenden Haltung erscheint manchen Menschen das Christentum schwach; als ob es den Menschen jeden Stolz und jede Selbstachtung verbietet.
Roentgen: Das Christentum unterscheidet sich in der Tat von den anderen Weltreligionen in einem wichtigen Punkt: In allen anderen Weltreligionen sucht der Mensch Gott und trachtet danach, die Welt irgendwie hinter sich zu lassen. Im Christentum sucht Gott den Menschen; er sucht ihn auf und will sich verständlich machen. Diese Distanzlosigkeit und das Gesprächsangebot sind einzigartig: Es beginnt mit Maria; danach teilt Gott sich den Hirten mit und dann den drei Weisen, die wir als heilige drei Könige im Dom verehren.
PEK: Welches Signal geht von der Domwallfahrt im Jahr der Priester aus?
Roentgen: Das Freundschaftsangebot Gottes ist Auftrag und zugleich Befähigung zur Nachfolge Jesu. Jesus beruft die Jünger in seine Nachfolge, es sind nicht seine Untertanen. Er möchte nicht Kultmenschen, die die fehlerhaften Menschen mit dem zornigen Gott versöhnen. Sondern er möchte Menschen, die das Freundschaftsangebot, diesen eindeutigen Liebesdienst in seiner Nachfolge leben. Im Jahr der Priester setzen wir einen besonderen Schwerpunkt auf die geistlichen Berufungen. Wir wollen fragen, was es heute den Menschen so schwer macht, diesen Weg zu gehen. Genauso interessiert es uns zu erfahren, wie Menschen den inneren Ruf hören und sich mit ihrem Lebensweg ganz konkret in die Nachfolge Jesu begeben und das Zeugnis von der Freundschaft mit Gott leben. Wer in die Nachfolge Jesu eintritt, lässt sich auf eine Variante menschlicher Vervollkommnung ein, die sich Menschen gegenseitig nicht erfüllen können.
PEK: Was bedeutet also Gottes Freundschaft für uns?
Roentgen: Pater Alfred Delp schrieb während seiner KZ-Haft "Lasst uns dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt." Darin scheint die unschätzbare Gabe der Freundschaft Gottes auf: Echte Freundschaft beginnt da, wo der andere mir auch das Schwerste, seine dunkelste Seite zumuten kann. Zwar kokettieren wir gern mit dem einen oder anderen Laster, aber unsere wirklich schwachen Seiten verbergen wir gern. Freundschaft heißt auch, dass wir uns nicht in einfache Lösungen flüchten, nur damit es wieder lustig wird. Es bedeutet, schwierige Situationen auszuhalten. Der Freund bleibt und der Bekannte kommt wieder, wenn man es geschafft hat. Der Freund belastet sich mit der Schwäche des anderen. Er steht bei und liefert echtes Mitleiden statt billigen Trost. Am Kreuz begegnen wir keinem Jesus mit triumphierendem Gesichtsausdruck, sondern einem Leidenden. Freundschaft ist alles andere als die Aufforderung, bloß nett miteinander zu sein. Durch Dick und Dünn bedeutet, dem anderen auch etwas Unbequemes sagen zu können und sich nicht einfach an den Schwierigkeiten vorbei zu manövrieren, um selber nett dazustehen. Man nennt es correctio fraterna - jemanden auf einen Irrweg aufmerksam machen. Das ist schwer und es kann sogar zum Zerbrechen der Freundschaft führen, aber um des anderen willen muss es gewagt werden. Gottes Freundschaft ist keine Kumpelei, sondern nimmt uns ernst: Wir dürfen uns angstfrei zeigen, weil Gott uns ganz sieht und nicht nur unsere Sonnenseite. Gott steht uns in der Welt bei. Wenn einem die Welt und die anderen Menschen egal sind oder man sich über die alltäglichen Sorgen hinweg hebt, sie als Niederungen der Ebene abtut und sich auf dem Berg der Erleuchtung isoliert - das ist weit ab vom Kern der christlichen Botschaft und entspricht nicht dem, was Jesus uns vorgelebt hat.
PEK: Wie kommt dieses Thema bei der Wallfahrt zum Tragen?
Roentgen: Freundschaft ist ein Bedürfnis, das die Menschen eint. Keiner würde ehrlich sagen: "Ich will keine Freunde haben; ich brauche keine Freundschaft." Bei der Domwallfahrt fragen wir für jede Generation neu: Was schafft Freundschaft? Was braucht eine Freundschaft? Aber auch: Was kostet sie mich und wie kann ich meine Freundschaft mit Gott pflegen? Jeder Einzelne ist auf die Frage eingeladen: Was wird der Welt gegeben, wenn von der Gegenwart Gottes die Rede ist? Was kann geschehen, wenn wir unser Leben auf diese Freundschaft stützen?
Das Gespräch führte Patricia Jungnickel.