Die Scharia, das islamische Gesetz, umfasst die religiösen Pflichten und alle Rechtsvorschriften, die nach islamischer Lehre das Leben gemäß dem Willen Gottes regeln. Ihre Beachtung entscheidet demnach über Lohn und Strafe im Jenseits.
Der arabische Begriff kommt im Koran vor und heißt so viel wie "Weg zur Wassertränke". Nach muslimischer Auffassung regelt die Scharia das Dasein des Einzelnen und der Gemeinschaft umfassend und vollkommen. Sie erfasst dem Anspruch nach alle Bereiche des religiösen, zwischenmenschlichen und staatlichen Lebens. Theoretisch gilt sie auch für Nichtmuslime und besteht unverändert bis ans Ende der Welt.
Entwickelt wurde die Scharia von islamischen Juristen des achten und neunten Jahrhunderts. Die beiden wichtigsten Quellen der Rechtsfindung sind der Koran und die überlieferten Aussagen und Taten des Propheten Mohammed, die Sunna. Daneben dienen der Konsens der Gelehrten und der Analogieschluss auf Grundlage vergleichbarer früherer Fälle als Kriterien für das richterliche Urteil. Die selbstständige Rechtsauslegung, der "idschtihad", gilt im sunnitischen Islam seit dem zehnten Jahrhundert als unzulässig.
Alle menschlichen Handlungen unterteilt die Scharia nach fünf Kategorien: verpflichtend, verboten, erlaubt, verpönt und empfehlenswert. Die einzelnen Bestimmungen sind in den Werken der vier sunnitischen Rechtsschulen kodifiziert, die sich nur in Details unterscheiden. Daneben haben die Schiiten eigene juristische Lehrbücher.
Die meisten islamischen Staaten erkennen die Scharia zwar als Basis und Quelle ihrer Gesetzgebung an, besonders im Familienrecht. Sie weichen aber teils erheblich davon ab, etwa im Strafrecht. Vor allem Saudi-Arabien beansprucht, das islamische Gesetz in reiner Form umzusetzen. (KNA)
05.08.2020
Die UN-Menschenrechtserklärung gilt ausnahmslos, überall und für jeden - oder doch nicht? Vor 30 Jahren verabschiedeten die islamischen Staaten eine eigene Deklaration. Von individueller Freiheit blieb nicht viel übrig.
Von Anfang an hatte die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" in der islamischen Welt keinen leichten Stand. Politische und religiöse Führer empfanden das UN-Dokument von 1948 - eine Lehre aus den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs - zunehmend als kulturfremde Gängelung aus dem Westen. Obwohl seinerzeit auch islamische Länder daran mitgearbeitet hatten.
Für Muslime: nur islamisches "göttliches" Gesetz
Durch die Re-Islamisierung im Nahen und Mittleren Osten seit den 1970er Jahren verlor die Charta mit ihrer Betonung individueller Freiheitsrechte weiter an Boden. Der Vertreter der Islamischen Republik Iran erklärte es 1981 vor der UNO so: Das Regelwerk sei die säkulare Interpretation jüdisch-christlicher Traditionen. Für Muslime jedoch gelte nur das islamische, "göttliche" Gesetz.
"Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam"
Vor 30 Jahren schließlich, am 5. August 1990, verabschiedeten die damals 45 Mitgliedstaaten der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) einen Gegenentwurf: die "Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam". Das Dokument nennt als "einzig zuständige Quelle für die Auslegung oder Erklärung jedes einzelnen Artikels" die Scharia. Die liberalen Ziele der UN-Charta wie Gleichheit aller vor dem Gesetz, unabhängig von Geschlecht oder Religion, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Meinungsfreiheit stellten die Verfasser damit quasi auf den Kopf - im Brustton religiöser Überzeugung.
So heißt es in der Präambel, alle Menschen seien Allah unterworfen, der die islamische Umma "als die beste Nation geschaffen" habe. Diese solle die "Führung der durch Konkurrenzstreben und Ideologien verwirrten Menschheit und bei der Lösung der ständigen Probleme dieser materialistischen Zivilisation übernehmen". Die folgenden 25 Artikel möchte man sich als globalen Lösungsansatz lieber nicht vorstellen.
Keine Gewissens- oder Religionsfreiheit
Beispielsweise sucht man das in der UN-Charta erklärte öffentliche "Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit" in der Kairoer Deklaration vergeblich. Dort wird lediglich verboten, Muslime von ihrem Glauben abzubringen. Dahinter steht die Überzeugung muslimischer Gelehrter, dass es keinen vernünftigen Grund geben kann, am Islam zu zweifeln. Auch die freie Meinungsäußerung ist dem Menschen demnach nur erlaubt, "soweit er damit nicht die Grundsätze der Scharia verletzt" oder "die Gesellschaft entzweit".
Ähnlich zweifelhaft sieht es bei der Gleichberechtigung der Geschlechter aus. Das Kairoer Dokument billigt Frauen die gleiche "Würde" wie Männern zu - nicht jedoch die gleichen Rechte. Sehr wohl habe die Frau aber Rechte und Pflichten, während der Mann für den Unterhalt der Familie verantwortlich sei. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit erklärt die Deklaration für unantastbar, "außer wenn ein von der Scharia vorgeschriebener Grund vorliegt".
Wenn in Riad, Teheran oder Kabul Homosexuelle gehängt, Ehebrecherinnen gesteinigt, Apostaten geköpft, Biertrinker ausgepeitscht oder kritische Blogger eingekerkert werden, können sich die Behörden also auf die "islamischen Menschenrechte" berufen? Schließlich sind diese Strafen je nach Interpretation von der Scharia gedeckt.
Scharia ist "Symboldokument"
Völkerrechtlich ist die Kairoer Erklärung nicht verbindlich. Der Erlanger Rechts- und Islamwissenschaftler Mathias Rohe empfiehlt, ihren Stellenwert nicht zu überschätzen. Er nennt die Erklärung ein "Symboldokument", eine traditionalistisch-islamische Antwort auf die politische Dominanz des Westens. Ihr Scharia-Vorbehalt sei angesichts der Vielfalt islamischer Rechtsfindung derart vage, dass die Deklaration praktisch keine Aussagekraft besitze. "Plakativ gesagt: man kann auf der Basis von Scharia-Begründungen Menschenrechte verteidigen, aber auch mit Füßen treten", sagte Rohe. Allerdings könne die Erklärung dort helfen, wo selbst die minimalsten von der Scharia garantierten Rechte missachtet würden.
Entscheidend für den Zustand der Menschenrechte sind letztlich die Gesetze in den einzelnen Unterzeichnerländern. Und hier reicht die Bandbreite von rigiden Scharia-Staaten wie Saudi-Arabien oder Iran bis zu relativ liberalen Systemen wie Tunesien. Zudem nehmen auch nichtislamische Staaten wie China oder Russland die UN-Menschenrechtscharta bekanntlich kaum ernst.
Die Scharia, das islamische Gesetz, umfasst die religiösen Pflichten und alle Rechtsvorschriften, die nach islamischer Lehre das Leben gemäß dem Willen Gottes regeln. Ihre Beachtung entscheidet demnach über Lohn und Strafe im Jenseits.
Der arabische Begriff kommt im Koran vor und heißt so viel wie "Weg zur Wassertränke". Nach muslimischer Auffassung regelt die Scharia das Dasein des Einzelnen und der Gemeinschaft umfassend und vollkommen. Sie erfasst dem Anspruch nach alle Bereiche des religiösen, zwischenmenschlichen und staatlichen Lebens. Theoretisch gilt sie auch für Nichtmuslime und besteht unverändert bis ans Ende der Welt.
Entwickelt wurde die Scharia von islamischen Juristen des achten und neunten Jahrhunderts. Die beiden wichtigsten Quellen der Rechtsfindung sind der Koran und die überlieferten Aussagen und Taten des Propheten Mohammed, die Sunna. Daneben dienen der Konsens der Gelehrten und der Analogieschluss auf Grundlage vergleichbarer früherer Fälle als Kriterien für das richterliche Urteil. Die selbstständige Rechtsauslegung, der "idschtihad", gilt im sunnitischen Islam seit dem zehnten Jahrhundert als unzulässig.
Alle menschlichen Handlungen unterteilt die Scharia nach fünf Kategorien: verpflichtend, verboten, erlaubt, verpönt und empfehlenswert. Die einzelnen Bestimmungen sind in den Werken der vier sunnitischen Rechtsschulen kodifiziert, die sich nur in Details unterscheiden. Daneben haben die Schiiten eigene juristische Lehrbücher.
Die meisten islamischen Staaten erkennen die Scharia zwar als Basis und Quelle ihrer Gesetzgebung an, besonders im Familienrecht. Sie weichen aber teils erheblich davon ab, etwa im Strafrecht. Vor allem Saudi-Arabien beansprucht, das islamische Gesetz in reiner Form umzusetzen. (KNA)